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Main-Spessart
Abschusszahlen für Rehe zu hoch? Jägerinnen und Jäger in Main-Spessart drohen mit rechtlichen Schritten
Jägerinnen und Jäger aus der Region kritisieren, dass in Bayern der Waldschutz vor allem über "die Büchse" stattfinde. Wie ermittelt wird, wie viele Rehe in einem Gebiet geschossen werden sollen.
Lassen sich Verbissschäden durch Rehe ausschließlich durch höhere Abschusszahlen regulieren? Jägerinnen und Jäger aus Main-Spessart bezweifeln das. (Symbolfoto)
Foto: Thomas Warnack, dpa | Lassen sich Verbissschäden durch Rehe ausschließlich durch höhere Abschusszahlen regulieren? Jägerinnen und Jäger aus Main-Spessart bezweifeln das. (Symbolfoto)
Stefanie Koßner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:36 Uhr

Müssen im Landkreis Main-Spessart zu viele und immer mehr Rehe geschossen werden? Das jedenfalls beklagen die Jägerinnen und Jäger. Auf der Hegeschau des Landratsamts im Mai in Hundsbach sagte der Vorsitzende der Kreisgruppe Karlstadt des Bayerischen Jagdverbands (BJV), Wolfgang Kunz, dass einige Jäger sogar über rechtliche Schritte nachdenken würden.

Die Jagdpächter würden auch den Weg zum Verwaltungsgericht nicht scheuen, wenn die Abschussvorgaben nicht reduziert und zusätzlich auf andere Maßnahmen gesetzt würde. Kunz sagt dazu im Gespräch mit dieser Redaktion: "Man kann Waldbau nicht mit der Büchse machen."

Wie werden die Abschusszahlen ermittelt und für welchen Zeitraum?

Die Bayerische Forstverwaltung erstellt alle drei Jahre für die 750 Hegegemeinschaften im Freistaat Forstliche Gutachten vor allem zur Situation der Waldverjüngung – landläufig "Verbissgutachten" genannt. Das nächste wird 2024 erarbeitet, das aktuelle stammt aus dem Jahr 2021. Der Verbiss wird dabei in vier Stufen bewertet: günstig, tragbar, zu hoch, deutlich zu hoch. Die Abschussempfehlung lautet dann: deutlich senken, senken, beibehalten, erhöhen, deutlich erhöhen.

Kreisjagdberater Ernst Kunesch
Foto: Helmut Hussong (Archivfoto) | Kreisjagdberater Ernst Kunesch

Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Karlstadt fertigt dieses Gutachten mithilfe eines komplexen Stichprobenverfahrens und einer Waldinventur unter anderem für die 15 Rehwild-Hegegemeinschaften mit 318 Revieren im Landkreis Main Spessart an. Auch Jäger, Grundstückseigentümer und Waldbesitzer werden eingebunden und können sich äußern.  

Am Ergebnis orientiert sich laut Ernst Kunesch, selbst Jäger und seit über 20 Jahren ehrenamtlicher Jagdberater für das Landratsamt, der Rehwildabschussplan. Auch der muss alle drei Jahre neu erstellt werden. Aktuell gilt er noch bis 31. März 2025.

Warum braucht es eine regelmäßige Abschussplanung?

Manches Wild, etwa Rehe oder Hirsche, darf nur im Rahmen eines Abschussplanes erlegt werden. Diesen stimmt jeder Revierinhaber (Jäger) individuell mit den Grundeigentümern (Jagdgenossen) ab. Auch innerhalb der Hegegemeinschaft gibt es einen Austausch. Die Untere Jagdbehörde am Landratsamt bestätigt die Planung oder setzt sie fest, wenn sie nicht damit einverstanden ist.

In einigen Gegenden in Deutschland sei der Rehabschuss bereits ungeregelt, die Jäger hätten mehr Freiheiten. "Ich denke, dass wir auch in Bayern nicht mehr weit entfernt davon sind", vermutet Kunesch. Forstdirektor Wolfgang Grimm vom AELF weiß allerdings noch von keinen konkreten Plänen. Auch wenn er der Meinung sei, dass die Zahl der Rehe in der Region – etwa durch mildere Winter oder ein starkes Äsungsangebot – zugenommen hat: Niemand könne sagen, wie viele Tiere tatsächlich im Revier stehen. Sie zu zählen sei so gut wie unmöglich, sagt Kunesch. Das bestätigen Landratsamt und AELF.

Was kritisieren die Jägerinnen und Jäger in Main-Spessart genau?

"Kritik am Forstlichen Gutachten gibt es schon immer", sagt Kunesch. Was die Jäger vor allem störe: "Von Beginn an hat die Forstverwaltung darin gefordert, den Abschuss zu erhöhen." Ein Jäger wolle jetzt juristisch klären lassen, inwieweit die Abschussempfehlung des AELF bindend ist. Laut Wolfgang Grimm soll das Gutachten als Grundlage dienen, das stehe so im Gesetz. 

Empfehlungen für begleitende Maßnahmen zum Schutz des Waldes wie Äsungs- oder Ruhezonen für das Wild vermisst Kunesch im Gutachten. Schon Kleinigkeiten wie Blühstreifen mit Kräutern könnten viel bewegen. In Bayern gelte laut Waldgesetz der Grundsatz: Wald vor Wild. "Das ist für uns Jäger unerträglich. Es müsste heißen: Wald mit Wild."

In Zeiten des Klimawandels seien sie die letzten, die dem Wald etwas Böses wollten. Kunesch: "Wir tun viel, ich habe etwa immer Einzelschützer für junge Triebe dabei." Trotzdem müsse man auch dem Wild Nahrung zugestehen – "es soll halt den Wald nicht auffressen. Um das zu verhindern, sind wir Jäger da". Es gebe durchaus Reviere, in denen der Verbiss "unerträglich" sei, sagt Kunesch. Wichtig sei hier, dass die Beteiligten miteinander sprechen.

"Der Grundsatz Wald vor Wild ist für uns Jäger unerträglich. Es müsste heißen: Wald mit Wild."
Kreisjagdberater Ernst Kunesch

Forstdirektor Grimm: "Wir sind offen für Gespräche, aber schreiben keine Maßnahmen wie Blühstreifen vor. Das müssen die Jäger in erster Linie mit ihren Verpächtern klären." Fakt sei: Je höher die Populationsdichte der Rehe, desto mehr Pflanzen werden verbissen – besonders ab Oktober und über den Winter. Die Jägerinnen und Jäger könnten zudem über die Art der Bejagung, etwa nur in kurzen Intervallen, vermeiden, die Rehe unnötig in Stress zu versetzen.

Warum wurden die Abschusszahlen in Main-Spessart erhöht?

Forstdirektor Wolfgang Grimm
Foto: Sabine Froehlich (Archivfoto) | Forstdirektor Wolfgang Grimm

In Unterfranken ist der Verbiss sowohl aktuell als auch rückblickend bis 1997 im Vergleich zu den anderen Regierungsbezirken am höchsten. Das zeigt das letzte Gutachten von 2021. In drei der 15 Hegegemeinschaften in Main-Spessart wurde die Belastung durch Rehe, die Jungpflanzen fressen, zuletzt als tragbar und in zwölf als zu hoch gewertet (2018: in fünf tragbar, in zehn zu hoch) – eine Verschlechterung. Von 2009 bis 2021 war der Verbiss in acht Hegegemeinschaften durchgehend zu hoch.

Im Sinngrund und im Bereich Lohr – also grob im Spessart mit relativ armen Böden, kaum Landwirtschaft und viel Wald – ist der Verbiss laut Grimm eher geringer als im Bereich Arnstein, Karlstadt und Marktheidenfeld. Hier gebe es "insbesondere sehr viel mehr Äsungsangebot aufgrund deutlich längerer Wald-Feld-Grenzlinien und deutlich üppigerer Krautvegetation". 

Abschusszahlen für Rehe zu hoch? Jägerinnen und Jäger in Main-Spessart drohen mit rechtlichen Schritten

"Meiner Erfahrung nach führt ein nachhaltig relativ hoher Rehwildabschuss zu einer Reduzierung der Verbissbelastung", so Grimm. Deshalb lautete die Empfehlung des AELF 2021: In zehn Hegegemeinschaften den Abschuss erhöhen, in zwei deutlich erhöhen und in drei beibehalten (2018: in acht erhöhen, in zwei deutlich erhöhen und in fünf beibehalten).

Wie steht Main-Spessart im bayernweiten Vergleich da?

In 50 Prozent der bayerischen Hegegemeinschaften lautete die Empfehlung 2021 "Abschuss beibehalten" (2018: 53 Prozent) und lediglich für drei Gemeinschaften "Abschuss senken". Für 46 Prozent empfahlen die Forstbehörden eine Erhöhung der Abschusszahlen (2018: 41 Prozent). Die Empfehlung "deutlich erhöhen" wurde für vier Prozent ausgesprochen (2018: sechs Prozent).

Laut Gutachten wird eine Senkung "nur bei einer sehr positiven Entwicklung und günstigen Ausgangslage" empfohlen. In vielen Gegenden mit "günstiger Verbisssituation" halte der Abschuss "Wald und Wild in Einklang" und werde deshalb weder gesenkt noch erhöht. 

Was passiert, wenn Jägerinnen und Jäger die Vorgaben nicht einhalten?

Auf einer sogenannten Streckenliste müssen die Revierpächter alle Abschüsse eines Jagdjahres dokumentieren und diese der Unteren Jagdbehörde vorlegen. Um zu überwachen, ob die Abschusspläne erfüllt wurden, finden jährlich öffentliche Hegeschauen mit Präsentation der Hörner statt. Die Nichteinhaltung kann als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden.

Was sagt das Landratsamt Main-Spessart zur Kritik der Jägerschaft?

"Wo verschiedene Interessen und Ziele miteinander in Einklang zu bringen sind, wird es fast immer auch Kritik geben. Das ist in einer offenen Gesellschaft legitim", so Rill. Beim Jagdrecht gehe es aber mitnichten nur um den Abschuss. Dieses sei mit der "Pflicht der Hege verbunden". Dabei soll sowohl ein gesunder Wildbestand als auch die Natur gepflegt werden. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ohne Wildschäden möglich sind.

Rill verweist hier auf das Bayerische Jagdgesetz und den kürzlich mit forstlichen Verbänden geschlossenen Waldpakt – in dem sich die Landesregierung jedoch auf die Seite der Waldbesitzerinnen und -besitzer stellt.

 
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  • Ulrich Wilhelm Kretzer
    Ich kann aus vielen Beobachtungen nur sagen, dass momentan so viele Rehe wie noch nie in der Flur unterwegs sind.
    So mal um 10.30 Uhr in den Wernwiesen zwischen Eußenheim und Gössenheim bis zu 7 Rehe gesehen; zwischen Eußenheim und dem Saupurzel mal sogar 9 Stück am hellichten Vormittag in einem Rudel gesehen.
    Soll die "Abschßquote" vielleicht deswegen so niedrig gehalten werden, damit der Preis für Rehfleisch nicht ins Bodenlose sinkt?
    Man darf ja mal markt-/betriebswirtschaftlich denken.
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  • Heinrich Höllerl
    Auch wenn es manche Jäger immer noch nicht wahrhaben wollen: Doch, ein sehr wichtiger Teil des Waldbaus findet mit der Büchse statt. Unsere Wälder befinden sich durch den Klimawandel in einer akuten Bedrohungssituation. Da kann das Wild nichts dafür, klar. Aber um den Lebensraum überhaupt lebenswert zu erhalten, müssen wir in vielen Bereichen den Wildbestand deutlich absenken, damit wir eine junge Waldgeneration etablieren können. Wenn das gelungen ist, können auch wieder mehr Rehe und Hirsche dort leben. "Wald vor Wild" ist nicht unerträglich - es bedeutet nur, dass das gesamte Ökosystem im Zweifelsfall wichtiger ist als einzelne Tierarten. Sehr viele Jäger haben das verstanden und helfen nach Kräften mit. Es sind nur noch wenige Traditionalisten, denen ihr Hirsch oder Rehbock wichtiger ist als ein zukunftsfähiger Wald.
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