
Thomas Schell aus Geiselwind steht gerade in einer langen Schlange. Er und alle um ihn herum warten. Auf den Bus, der sie nach Wacken bringt, zum berühmten Metal-Festival. "Wir sind hier und trinken Bier", reimt der 27-Jährige am Handy. Er klingt entspannt. Und auch das Stimmengewirr im Hintergrund, garniert mit Gejohle und Gesängen, zeugt von vielen Festival-Freunden, die sich von Wetterkapriolen nicht die Laune vermiesen lassen.
Die schleswig-holsteinische Gemeinde Wacken, die alljährlich zum Mekka für Zehntausende Hard-Rock- und Heavy-Metal-Fans wird, ist rund 20 Kilometer entfernt. "Schelli", der gerade sein Physik-Studium beendet hat, und Tausende andere campieren auf einem der Ausweichplätze. Denn: Das Original-Zeltplatz-Areal ist nach monströsen Regenfällen im Schlamm versunken. Das Festival-Gelände zum Teil ebenso, doch echte Metaller schreckt das nicht.

Thomas Schell hat sich am Dienstagfrüh extra noch schnell Gummistiefel gekauft und ist gleich danach mit seinem Kumpel losgefahren: "Da ist das Thema Anreisestopp gerade aktuell geworden." Als sie auf Höhe von Hamburg waren, hieß es: Keiner darf mehr anreisen. "Da haben wir uns gesagt, wir stellen uns einfach mal dumm, fahren weiter und schauen, was passiert."
Auf Ausweichplatz umgeleitet

Am Ende sind wir gar nicht nach Wacken reingefahren, sondern direkt auf einen Ausweichparkplatz umgeleitet worden. Ohne Schlamm und gut befestigt, wir kommen da auch am Sonntag wieder gut weg." Nun pendeln die Musikfans jeden Tag mit Bussen, die der Veranstalter organisiert hat, vom Campingplatz zum Festivalgelände.

"Das Wetter ist absolut wechselhaft – mal beschissen, mal wieder gut", schreit "Schelli" unter dem Gejohle seiner Schlangennachbarn ins Telefon. "Heute früh war quasi Weltuntergang, es hat geschüttelt wie aus Eimern. Jetzt ist es gerade wieder sonnig. So geht es jeden Tag mehrmals hin und her." Am Freitagfrüh ist der Geiselwinder mit nassen Füßen aufgewacht. "Ich hab dann erst mal mein Zelt ausgeräumt, da stand das Wasser drin."
"Wir sind heilfroh , dass wir noch anreisen durften"
Ähnlich gelassen nimmt Annalena König aus Rödelsee die Wetterkapriolen. Auch die 30-jährige Teamleiterin einer Vinothek und ihre Freunde, die am Montagabend in Rödelsee losgefahren sind, zelten auf einem Ausweichplatz, dem Campground B. "Der ist ziemlich trocken, das passt." Die Duschen dagegen seien verschlammt, "Aber was soll's, es geht auch mal ohne!"
Die Rödelseer brauchen 25 Minuten zum Infield, wo die Konzerte stattfinden, aber das nehmen sie gern in Kauf. "Es ist unser erstes Wacken – und wir sind heilfroh, dass wir noch anreisen durften. Andere duften ja nicht mehr. Von daher: echt genial!"
Wo sich alle gegenseitig über Matschhügel helfen
Letzteres gilt offenbar auch für die Stimmung an sich. "Alle sind hier total nett, jeder gibt sein Bestes, um die Lage so gut wie möglich zu gestalten", sagt die frühere Rödelseer Weinprinzessin. "Ich hab' noch nirgendwo so viele nette Menschen getroffen! Alle helfen sich gegenseitig, auch über die Matschhügel. Es ist wirklich mega-cool." Heißt das auf gut Fränkisch: Der Schlamm schweißt zamm? "Ja, echt! Die Stimmung ist top. Ich möchte es nicht missen!"

Zum ersten Mal in Wacken? Bei Stefan Belik ist das schon ewig her. Heuer ist der Willanzheimer schon zum 25. Mal dabei, viele Jahre hat er für ein Internet-Rockmagazin übers Festival berichtet. Diesmal ist er aber ganz privat da. "Mein Wacken-Festival-Jubiläum war das bisher anspruchsvollste und anstrengendste: Absaufen im Wattenmeer", sagt Belik lachend. Die Stimmung sei total ausgelassen und "echt gut", erzählt auch er. Der Veranstalter habe das Menschenmöglichste getan, damit das Event stattfinden kann.

Natürlich gibt es Hürden – gerade auch für seinen Kumpel Kai Schaible aus Stuttgart, mit dem er gemeinsam auf dem Festival ist und der im Rollstuhl sitzt. „Rollitauglich ist das Gelände definitiv nicht.“ Aber die Hilfsbereitschaft sei riesig. „Das ist echt Wahnsinn“, erzählt Belik. „Immer gleich ein paar Mann packen mit an, tragen, helfen und unterstützen.“

Wenn Metal-Leute friedlich feiern
Thomas Schell aus Geiselwind stimmt der Rödelseerin und dem Willanzheimer zu. Auch er hat es nicht bereut, ins verschlammte Wacken gekommen zu sein – im Gegenteil. "Die Stimmung ist bei allen gut, wie letztes Jahr, also quasi wetterunabhängig", stellt er fest. "Hier sind nur nette Leute, eine super Gemeinschaft. Da zeigt sich halt mal wieder, dass Metal-Leute friedlich und ohne Ausschreitungen feiern können."
