Rainer Fell steht am Rande einer kleinen Schonung, die einmal die Zukunft des Iphöfer Stadtwalds werden sollte. Doch nun ist aus dem Hoffnungsareal eine Geisterkulisse geworden: vertrocknete, kraftlose Bäume, so weit das Auge reicht. „Vielleicht“, sagt Fell, „erholt sich mancher noch.“ Dieses „Vielleicht“ ist zu einer Lieblingsvokabel deutscher Förster geworden, weil selbst die Erfahrensten unter ihnen keine verlässliche Prognose wagen, wohin sich der Wald in Zeiten des Klimawandels entwickeln wird. Fell hat Iphofens Stadtrat an diesem heißen Montagabend bewusst hierher geführt. Es ist einer jener Standorte, an denen die Vergänglichkeit der Natur beispielhaft zu beobachten ist. Wenn ein langjähriger Stadtförster wie Fell Wald sieht, dann sieht er nicht nur Bäume. Er sieht vor allem Probleme.
Der Wald stirbt. In den 1980er-Jahren war es der stark schwefelhaltige saure Regen, der ihm zusetzte, 30 Jahre später sind es Trockenheit und Schädlinge, die zersetzende Synergien bilden. Schlecht steht es vor allem um die Fichten, die ein Viertel des deutschen Waldes bedecken und so stark befallen sind wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Fichte ist der Profitbaum der deutschen Waldbesitzer ist. Neun von zehn Euro Umsatz werden mit der Fichte gemacht. Doch das Geschäft lohnt sich kaum noch, seitdem der Borkenkäfer sich großflächig über sie hermacht. Der Schädling hat es dieser Tage leicht, weil das Immunsystem der Bäume nach dem Dürresommer 2018 stark geschwächt ist. Sie sind kaum noch in der Lage, Harz zu bilden und sich so gegen die gefräßigen Käfer zur Wehr zu setzen.
Fichten leiden besonders unter der Trockenheit
Auf rund 90 Prozent schätzt Fell den Anteil der von Trockenschäden befallenen Fichten. Viele werden den Stress durch Hitze, Wasserentzug und Schädlingsbefall nicht überleben. Dabei kommen Fell und seine Leute schon jetzt kaum hinterher, die großen Mengen an Schadholz aus dem Stadtwald zu holen. Seit Herbst vergangenen Jahres sind es etwa 8500 Festmeter – so viel, wie in einem normalen Jahr insgesamt im Stadtwald geschlagen werden. Doch es könnten noch mehr werden. Der Förster kalkuliert mit 15 bis 20 Festmeter Trockenholz je Hektar. Hochgerechnet auf den 2400 Hektar großen Stadtwald, türmen sich da also 40 000 Festmeter kaum zu vermarktenden Holzes. Eile ist vor allem bei den Fichten geboten. Liegen sie zu lange im Wald, sind sie die ideale Brutstätte für den Borkenkäfer. Sie zu entsorgen wird für die Besitzer zu einem kostspieligen Geschäft; der Aufwand übersteigt inzwischen den Ertrag.
Wer dieser Tage beim Blick auf den Schwanberg etwas genauer hinschaut, erkennt zwischen wucherndem Grün mehr und mehr braune Flecken. Sie stammen von kranken Schwarzkiefern, viele von ihnen stützen seit mehr als 100 Jahren den Berg am Iphöfer Rangen, einem von der prallen Mittagssonne beschienenen Südhang. Fell gibt sich keinen Illusionen hin: Auch diese Bäume werden sterben. An exponierten Stellen wie diesen geht es um die nackte Existenz des Waldes. Ihn als Vegetationsform zu erhalten, auch um den Berg vor Erosion zu schützen, ist das vorrangige Ziel.
Auch 90 Prozent der Buchen sind vertrocknet
Dass mit Fichten und Kiefern in diesen Breiten kein Staat mehr zu machen ist, weiß man seit Längerem. Neu ist, dass es nun auch Baumarten erwischt, die als robust und wehrhaft galten und die bislang keiner auf der Agenda hatte, wenn es um die Effekte des Klimawandels ging. Die Hainbuche oder Rotbuche zum Beispiel. „90 Prozent der Buchen hier sind vertrocknet“, sagt Fell im Iphöfer Waldabteil Kugelspiel. 5400 Bäume wurden in den 1990er Jahren gepflanzt, aber etablieren wird sich hier wohl nur die Eiche. Die Eiche ist der König der deutschen Wälder. Was der Löwe im Tierreich, ist die Eiche in der Pflanzenwelt: ein Symbol der Stärke. Auf dem 50-Pfennig-Stück war einst ein Stück Eichenlaub geprägt. „Unsere ältesten Eichen“, sagt Fell, „haben die Französische Revolution erlebt.“
Und so ruhen die Hoffnungen nicht zuletzt auf ihnen, aber auch auf Robinien, Feldahorn oder Vogelbeere – Bäumen, die mit der Hitze besser umgehen können. Die Zukunftsinseln liegen etwa im Abteil Poppengrund, einer Art Kinderstube des Iphöfer Stadtwalds. Geschützt hinter massiven Zäunen entwickeln sich hier auf 16 Hektar junge Eichen. „So muss Naturverjüngung aussehen“, sagt Fell und strahlt. Es sind Projekte wie diese, die Fell und den Iphöfer Bürgermeister Josef Mend weiter an eine profitable Waldbewirtschaftung glauben lassen. Mend sagt: „Wir haben immer vorgegeben, dass wir mit dem Wald zumindest eine schwarze Null erreichen.“ Der Klimawandel hat dieses Ziel zuletzt in Gefahr gebracht, und das müsse man auch dem Bürger draußen bewusst machen, sagt der im nächsten Jahr scheidende Bürgermeister. „Wenn der Wald grün aussieht, heißt das noch nicht, dass er auch gesund ist.“