Rainer Fell versteht es, seine Zuhörer zu fesseln. Er erzählt anschaulich, kompetent, pointiert. Mit ihm durch den Wald zu streifen, ist wie ein Besuch im Theater der Natur. Immer neue Bilder und Kulissen präsentiert er seinem staunenden Publikum, in diesem Fall den Damen und Herren des Iphöfer Stadtrats, die einmal im Jahr zur Tour durch den Stadtwald aufbrechen.
Der Förster führt sie an morbide Standorte, dorthin, wo bizarre Baumskelette in den Himmel ragen, die auch auf der Bühne des absurden Theaters stehen könnten. Und er nimmt sie mit in wunderbare Welten, wo der Wald sich voller Vitalität zeigt und zu tanzen scheint. Der Wald ist immer auch eine Geschichte von Leben und Sterben.
Erst die Ulmen, jetzt die Eschen
An diesem heißen Juli-Abend geht es zunächst ums Sterben. Der erste Akt spielt im Dornheimer Wald, die Besucher stolpern über welkes Gebüsch, das hier den Platz der einst mächtigen Ulmen eingenommen hat. Zu Beginn der 1990er Jahre machte ein Pilz, übertragen vom Ulmensplintkäfer, fast einer ganzen Baumart den Garaus. Laut Fell hat er 90 Prozent der Ulmen dahingerafft, nicht nur an dieser Stelle. „Hier standen mal zur Hälfte Ulmen.“ Die Stadt reagierte, setzte auf Eschen und glaubte an ein Happy End. Doch dann wurde sie von der Dramaturgie der Natur überrascht: Vor fünf Jahren begannen die Triebe der Eschen zu welken. Das Phänomen wuchs sich aus zu einer Pandemie – über die Region, das Land, inzwischen hat das Eschentriebsterben ganz Europa erreicht. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Frist muss Fell in die Kulisse des Waldes eingreifen. Nach den Ulmen sterben nun die Eschen.
Und wieder ein Pilz
Wieder ist ein Pilz – das Falsche Weiße Stengelbecherchen – der Auslöser für den massenhaften Exodus einer Baumart. Er hält sich im dürren Laub, dringt durch seine Sporen über die Blattnarbe ins Holz ein und bringt den Baum um seine Existenz. Ein Gegenmittel gibt es nicht. Fell rechnet damit, dass ein bis zwei Prozent der Eschen Resistenzen bilden und sich dem Feind erfolgreich zur Wehr setzen. Forstpolitisch betrachtet aber ist die Esche schon heute tot, sie wird nicht mehr gepflanzt.
Es wird teuer für die Stadt
An der „Eckspitze“ im Dornheimer Wald – dort, wo die Stadträte an diesem Abend immer wieder den Blick auf kahle Kronen richten – sollen Büsche und betroffene Bäume auf fünf Hektar niedergemacht werden. Die Fläche könnte dann neu bepflanzt werden, Zäune müssen her, um die Jungbäume vor dem Verbiss von Wildtieren zu schützen. Das Ganze wird sehr aufwändig und vor allem: teuer für die Stadt. Aber vielleicht ist das Aus für die Esche eine Chance für andere Bäume, die sich besser für die Standorte eignen.
Die Stadt hat kaum eine Wahl
Zweiter Akt im Drama um die Esche: ein Waldstück im Mönchsondheimer Wald, Auftritt Förster Fell „Meine Damen und Herren, so sieht Eschentriebsterben aus.“ Alle Köpfe gehen nach oben, der weißblaue Himmel illustriert eine Idylle, die es hier nicht mehr gibt. Wo man auch hinschaut, hilflos strecken die Eschen ihre kahlen Äste aus. Selbst der Laie erkennt: Diesen Bäumen ist nicht mehr zu helfen. Waldsterben auf insgesamt 100 Hektar. Das ist die Fläche, die im Iphöfer Stadtwald von Eschen bedeckt ist; das ist die Fläche, die der Stadt derzeit am meisten Sorge bereitet.
Zwang zur Wiederaufforstung
Für jeden Hektar, der entkernt, neu bepflanzt und gepflegt werden muss, rechnet der Förster mit Kosten von 20 000 bis 30 000 Euro. Bei der Hochrechnung wird einigen Räten schwindlig. Aber im Grunde haben sie gar keine Wahl. „Das Gesetz zwingt Waldbesitzer zur Wiederaufforstung“, sagt Fell. Und Bürgermeister Josef Mend schärft den Stadträten an Ort und Stelle ein: „Wir als Kommune müssen in dieser Hinsicht besonders vorbildhaft wirtschaften.“
Zuwachs wird weggefressen
Gefordert ist die Stadt auch an anderer Stelle: Da der Verbiss laut Fell wieder in letzter Zeit zugenommen habe, müssten Jungpflanzen flächendeckend umzäunt werden. Der Förster steht in einem Teilstück des Iphöfer Mittelwalds, Abteilung Schellenberg. Von dort sollen die gut 100 verbliebenen Holzrechtler der Stadt in ein paar Jahren ihr Brennholz bekommen, aber wenn es so weitergeht mit dem Verbiss, wird davon nicht viel bleiben. „Der Zuwachs wird weggefressen“, sagt Fell. Und Bürgermeister Mend fügt hinzu: „Wir müssen sehen, dass die Zusammensetzung der Baumarten nicht gefährdet wird.“ Für ihn ist der Fall klar: „Die Jäger müssen verstehen, dass sie mehr Wild schießen müssen.“
Szenerie wie aus dem Märchenwald
Der dritte Akt, ein paar Kilometer weiter. Am Rande eines ausgefahrenen Waldwegs lagern Douglasien-Stämme, die zur Abholung bereit liegen. Sie sind so dick und schwer, dass schon fünf davon einen Sattelschlepper an die zulässige Gewichtsgrenze bringen. Als Fell das erzählt, strahlen seine Augen. Er steht wie ein König des Waldes auf einem Stamm und ruft auf Nachfrage den Preis auf, den die Stadt dafür erzielt. „550 Euro!“ Auf der anderen Seite des Weges ragen in einer kleinen Senke eine ganze Reihe solcher Zukunftsbäume in den Himmel. Fichten, Kiefern, Lärchen – es sieht aus wie im Märchenwald. Dass nur sieben Prozent der 2300 Hektar Stadtforst Nadelhölzer sind, verschwindet in diesem Moment zur Fußnote. Hier wächst und gedeiht der Ertrag künftiger Generationen.