Die Geschädigte ist als eine der Ersten im Verhandlungssaal des Amtsgerichts Kitzingen anwesend. Sie wirkt gefasst und fokussiert. Ihr ist förmlich anzusehen, dass sie die Tortur beenden möchte, die sie jahrelang über sich ergehen lassen musste. Und doch kann die 26-Jährige die Tränen nicht zurückhalten, als sie vor der Verhandlung mit der Staatsanwältin über den Ablauf des Prozesses spricht. Zu tief sitzt die Fassungslosigkeit über das, was sie erlebt hat. Zu groß ist die Angst, dass der Mann, der ihr so lange nachgestellt und sie beleidigt hat, ihr irgendwann körperlichen Schaden zufügen könnte.
Die junge Frau ist ohne Begleitung erschienen. Sie wollte nicht, dass sich ihre Mutter und ihre Schwester eigens für die Verhandlung frei nehmen müssen, wie sie sagt. Als der Angeklagte mit seinem Verteidiger den Saal betritt, bleibt sie auch ohne Unterstützung stark. Sie sieht nicht weg.
Stalking endet auch nach Verurteilung nicht
Alles soll laut Anklageschrift 2021 begonnen haben. Die beiden Beteiligten hatten keine Beziehung zueinander – weder sexuell, noch freundschaftlich. Der 34-Jährige soll der Kitzingerin verkündet haben, dass er sie heiraten will. In der Folge stellte er ihr nach. Im April vergangenen Jahres wurde er deshalb zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wurde.
Doch das schien den Angeklagten nicht zu beeindrucken. Offenbar weiß er, wo die junge Frau wohnt. Immer wieder taucht er am Bahnhof in Kitzingen auf, besteigt den selben Zug wie sie und folgt ihr bis zu ihrer Arbeitsstelle nach Würzburg. Er folgt ihr, wenn sie sich mit ihrer Schwester im Café trifft. Er spuckt das Auto an, in dem sie an einer Ampel steht. Ruft ihr obszöne Dinge zu.
Einmal kommt er ihr zu Fuß entgegen. Die Frau will das Geschehen dokumentieren und filmt ihn. Wieder beleidigt er sie. Ein anderes Mal zeigt er ihr den Mittelfinger. Auch nachdem sie im Dezember vergangenen Jahres ein Kontaktverbot gegen ihn erwirkt hat, hört das Grauen nicht auf.
Beschuldigter räumt alles ein
Nachdem die Anklageschrift verlesen ist, muss der Beschuldigte erkannt haben, dass er sich nicht aus der Sache herauswinden kann und räumt die Vorwürfe ein und gibt an, die Taten zu bereuen.
Um ein umfängliches Bild vom Opfer zu bekommen, vernimmt Richterin Ingrid Johann die Geschädigte im Zeugenstand. Die Frau ist psychisch angeschlagen, sagt sie aus. Während der Verhandlung kommen ihr immer wieder die Tränen. Sie habe Angst, auf die Straße zu gehen. Sie lasse sich von ihren Eltern zum Bahnhof bringen und dort auch wieder abholen. Ist sie alleine unterwegs, könne sie sich nahezu sicher sein, vom Angeklagten belästigt zu werden, berichtet sie dem Gericht. Immer wieder sei sie deshalb bei der Polizei gewesen. Oftmals fehle ihr dafür aber auch schlicht die Kraft.
Ob das Stalking nach der Verurteilung im vergangenen Jahr nachgelassen habe? Die Zeugin schüttelt den Kopf. Ihre Tränen hat sie inzwischen weggewischt. Jetzt schwingt Frust in ihrer Stimme mit: "Ganz im Gegenteil. Es wurde immer schlimmer. Das hat mir gezeigt, dass er nichts zu verlieren hat." Und: "Ich habe das Gefühl, dass das nie ein Ende hat."
Handschellen klicken noch im Gerichtssaal
Bereits in seinem letzten Prozess wurde dem Beschuldigten volle Schuldfähigkeit attestiert. Für ein psychologisches Gutachten – das der Verteidiger des Angeklagten beantragt – sehen sowohl die Staatsanwältin als auch die Richterin keine Anhaltspunkte.
Dass der Angeklagte seine Taten bereut, nimmt ihm die Staatsanwältin nicht ab. Trotz seiner einschlägigen Vorstrafen häufen sich die Vergehen, gibt sie in ihrem Plädoyer zu Protokoll. Die Abstände werden kürzer. Sie fordert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Gestützt auf die mögliche Fluchtgefahr des Angeklagten beantragt sie außerdem Haftbefehl.
Dass der Mann ein Geständnis abgelegt hat, kommt ihn im Urteilsspruch zugute. Auch eine etwaige geringe psychische Eingeschränktheit schließt das Gericht nicht aus. An die Reue seiner Taten glaubt auch sie nicht. Das Urteil: Zehn Monate Gefängnis – diesmal ohne Bewährung. Weil auch das Gericht eine Flucht für möglich hält, klicken noch im Gerichtssaal die Handschellen.
"Wenigstens für zehn Monate ein bisschen Ruhe", sagt die junge Frau leise, nachdem sie den Gerichtssaal verlassen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Wenn sie kann, rechtzeitig wegziehen? Und Namen ändern, ggf. alle möglichen Infos in Social Media löschen usw. ?
Ich habe sowas bei einer Mitarbeiterin miterlebt, er lauerte ihr um die Ecke der Firma auf. Da bin ich oft zum Parkplatz mitgegangen, der hat sie sogar auf der Autobahn verfolgt und bedrängt, zum Schluss Morddrohungen. Damals war das noch nicht strafbar. Die Polizei sagte, was sie denn wolle, es sei doch nichts passiert. Der Kerl ist - entsetzlich aber hilfreich - einmal bei seiner Aktion tödlich verunglückt. Trotzdem schlimm.
Mir selbst ist das zwar harmloser, jedoch beängstigend und zudem peinlich passiert. Der parkte nachts vor dem Zweifamilienhaus, in dem ich wohnte, der Vermieter war stocksauer und forderte mich! sinnbefreit auf, das zu beenden. Fast hätte ich meine Wohnung verloren.
Warum gibt es nicht schon mehr Schutz, bevor die sich hineinsteigern? Erfahrungen liegen doch genug vor?
Dass einerseits die Vorfälle als so gravierend eingestuft werden andererseits dem Angeklagten "volle Schuldfähigkeit" - im letzten Absatz dann wieder der Hinweis "geringe psychische Eingeschränktheit" ??) - wirft Fragen auf.
Dass die "Haft" in irgendeiner befriedend, deeskalierend und präventiv wirkt, kann man jedenfalls ausschließen - im Gegenteil: in 10 Monaten wird hier ein hoch emotionaler, sich sozial ausgegrenzter und vermutlich hochaggressiver Mann entlassen werden.
Die Frage ist daher: WIE wollen die Behörden hier für tatsächlichen Schutz und eine weitere tragfähige Deeskalation sorgen!?
Die Fallhöhe wurde hier jedenfalls durch die Verurteilung zu Haftstrafe und die Festnahme im Gerichtssaal wegen "Fluchtgefahr" (?) massiv erhöht - dass Justiz und Strafverfolger sich nun selbstzufrieden "zurücklehnen", ist keine Strategie.
Niemand kann wohl richtig ermessen, was die junge Frau erlebt hat und welche Folgen weiterhin bleiben werden. Sowas vergißt man icht so leicht.
Leider geht der Bericht nicht darauf ein, ob auch die Bewährung widerrufen und eine Gesamtstrafe gebildet wurde.
So oder so - was muß man hierzulande "verbrechen", um eine spürbare Strafe zu erhalten?
Lt. Gesetz sind bis zu 5 Jahre Haft möglich.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber offenbar weniger wert als ein Auto oder gar eine folgenlose Trunkenheitsfahrt mit selbigem?
Wann fängt unsere Justiz an, die Würde des Menschen, d.h. der Opfer zu schützen?