
Katharina B. (Namen von der Redaktion geändert) aus Biebelried war vor kurzem an einem Freitagmittag gerade im Garten, als ihr Mann aufgelöst zu ihr eilte und das Telefon in die Hand drückte. Dort meldete sich angeblich ihr Großcousin Peter H., der bitterlich weinte. Die 69-Jährige war erschrocken.
Peter H., der sich gerade in einer Reha-Klinik in Bad Kissingen von einer Operation erholte, erzählte ihr, dass er sich dort mit der schlimmsten Form der Corona-Delta-Variante infiziert habe. Er sei ins hiesige Krankenhaus verlegt worden und brauche dringend eine spezielle Infusion, die aus den USA komme und in Deutschland nicht zugelassen sei. Dafür benötige er sofort 14.000 Euro von ihr.
Die Rentnerin zweifelte keine Sekunde an der Echtheit des Anrufs
Katharina B. zweifelte keine Sekunde, dass es sich bei dem Anrufer tatsächlich um ihren Großcousin handelte, so echt klang seine Stimme. "Er sprach sogar mit hessischem Akzent", sagt sie im Nachhinein erstaunt. "Außerdem wusste der Anrufer, dass Peter auf Reha in Bad Kissingen ist."
Obwohl sie Mitleid mit dem vermeintlichen Großcousin hatte, ging sie auf seine Forderung nicht ein. Sie sagte ihm, dass sie auf die Schnelle nicht so viel Geld beschaffen könnte. Daraufhin fragte der Anrufer, wie viel Bargeld sie denn zu Hause hätten. "Nicht viel", antwortete Katharina B. und fragte, warum er denn nicht seine Eltern anrufe. Weil sie nicht an ihr Geld herankämen, war seine Antwort.
Vermeintlicher Großcousin weint und fleht am Telefon
Während des etwa zehnminütigen Gesprächs versuchte ihr vermeintlicher Großcousin immer wieder, Katharina B. mit Weinen und Flehen zu überzeugen, die erforderliche Summe zu zahlen. "Er hat sogar vorgeschlagen, dass seine Mutter aus Kelkheim bei Frankfurt zu uns fahren könnte, um das Geld abzuholen. Da dachte ich: So ein Quatsch." Als der Anrufer merkte, dass es bei der 69-Jährigen nichts zu holen gibt, verabschiedete er sich mit den Worten "Ich melde mich heute Abend wieder", und legte auf.
Die 69-Jährige war aufgewühlt und besorgt. Sie war noch immer der Überzeugung, dass sie gerade mit Peter gesprochen hatte. Erst als sie ihn am nächsten Tag zurückrief, wurde ihr klar: Er hatte sie gar nicht angerufen und die ganze Geschichte war erfunden. Sie war geschockt.
Und auch heute noch kann sie nicht verstehen, wie das alles möglich ist. "Dass man eine Stimme so echt nachahmen kann, ist mir unbegreiflich. Und dass die wussten, wo sich Peter aufhält und dass wir mit ihm Kontakt haben, ist beängstigend."
Angezeigt hat die Rentnerin aus Biebelried den Schockanruf nicht, da ihr und ihrem Mann kein finanzieller Schaden entstanden sei. Trotzdem, sagt sie, stecke er ihr immer noch in den Knochen und sie ist misstrauischer geworden.
Schadenssumme nur in Bayern betrug 2023 mehr als 13,5 Millionen Euro
So wie dem Ehepaar B. ergeht es jedes Jahr Tausenden Menschen allein in Bayern. Laut einer aktuellen Statistik des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) lagen die Fallzahlen bei betrügerischen Telefonaten im Jahr 2023 bei mehr als 13.500 Anzeigen und über 600 Vollendungen. Die Schadenssumme betrug mehr als 13,5 Millionen Euro. Damit sind die Anzeigen in den vergangene vier Jahren um etwa 350 Prozent gestiegen.

In Unterfranken hingegen konnte die Polizei im vergangenen Jahr bei Callcenter-Betrug einen Rückgang verzeichnen. "2023 ist die Anzahl der Anzeigen mit 2106 um 22,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen, die Anzahl der Vollendungen mit 332 sogar um 30 Prozent. Der erfasste Vermögensschaden fiel von 4,0 auf 2,6 Millionen Euro", sagt Denis Stegner, Polizeioberkommissar im Polizeipräsidium Unterfranken.
Die Polizei macht bei Schockanrufen allerdings keinen Unterschied zwischen denen mit KI oder ohne. "Wir können bei solchen Anrufen nicht eindeutig feststellen, ob es sich wirklich um eine KI-erstellte Stimme handelt. Dafür müssten wir in dem jeweiligen Callcenter, von dem der Anruf kam, eine genaue Untersuchung durchführen", erklärt Fabian Puchelt, Kriminalhauptmeister beim BLKA. Daher seien KI-Betrugsanrufe praktisch nicht erfassbar und zählen in der Statistik zu den gängigen Schockanrufen.
Katharina B. ist jedoch davon überzeugt, dass es bei ihrem Schockanruf eine KI-generierte Stimme war. Nicht der erste Vorfall im Landkreis. Im Februar wurde Andrea Müller aus Sickershausen von ihrer vermeintlichen Tochter Nina angerufen – zum Glück ebenfalls ohne finanziellen Schaden. Doch die Gefahr ist groß, dass man auf eine bekannte Stimme noch leichter hereinfällt.
Mit Sprachfetzen manipulieren Betrüger die Stimmen
Heutzutage ist es ziemlich einfach, eine Stimme mit KI nachzuahmen. Es genügen schon einige Sprachfetzen, die die Betrüger zum Beispiel aus öffentlichen Social-Media-Plattformen ziehen und manipulieren. Diese manipulierten Audio-Dateien heißen Deep-Fakes.
Im Internet finden sich mittlerweile zahlreiche frei zugängliche Dienste, mit denen diese erstellt und anhand von Stimmreglern angepasst werden können. Um sich davor zu schützen, sollte man also möglichst wenige persönliche Informationen im Internet preisgeben. Und falls man doch einen Schockanruf erhält – egal ob mit oder ohne KI –, sollte man versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren.