Das Verfahren ist reich an skurrilen Momenten, sie sind der Krankheit des Beschuldigten geschuldet. Gleich zu Beginn des Prozesses um den gewaltsamen Tod in einer Asylbewerberunterkunft in Kitzingen gibt der 37-Jährige zu: Er habe mit zwei Pflastersteinen nachts im Dunkeln auf den Kopf seines schlafenden Mitbewohners eingeschlagen. Dann sei er geflohen, mit dem Zug Richtung Schweden. Und eine Minute später versichert er: "Es war nicht meine Schuld!"
Es bleibt nicht der einzige Moment am Landgericht Würzburg an diesem Dienstag, an dem die Richter staunend innehalten. Das Gericht versucht zum Auftakt der Verhandlungen um den Tod eines Geflüchteten im Kitzinger Inno-Park im Dezember 2021, die krude Gedankenwelt des Mannes auf der Anklagebank zu begreifen. Nach eigenen Angaben leidet er unter Schizophrenie. Er höre ständig Stimmen im Kopf, vier männliche und eine weibliche.
Der Beschuldigte zum Gericht: "Gott hat mich zu Ihnen geschickt"
Außenstehenden fällt es schwer, die Äußerungen zu begreifen. Die größte Angst des Mannes aus Afghanistan scheint es, abgeschoben zu werden: "Gott hat mich zu Ihnen geschickt", versichert der 37-Jährige dem Gericht.
Was klar wird: Dass der getötete Mitbewohner noch leben könnte, wenn die Heimleitung im Auftrag der Regierung von Unterfranken dem mehrfachen Flehen beider Männer nachgegeben hätte, den erkrankten Beschuldigen wieder in ein Einzelzimmer zu verlegen. So schwelte die ständige Aggression zwischen beiden weiter, den der 37-jährige in seinem Wahn als "williges Werkzeug" des iranischen Geheimdienstes ansah. Mehrfach gerieten beide aneinander.
Zeugen sagen aus: Das Opfer hatte die Tat genau so befürchtet
Die Heimleitung hatte offenbar vermerkt: Der Beschuldigte sei "eine tickende Zeitbombe". Mehrere Flüchtlinge sagten im Zeugenstand, das Opfer habe genau dies befürchtet: Es habe Angst gehabt, nachts im Schlaf von dem anderen Mann erschlagen zu werden.
Zu den paradoxen Fakten gehört, wie der Tod bekannt wurde. Im Bahnhof in Kiel war der Verdächtige am Morgen nach der Tat zufällig einer Polizeistreife in die Arme gelaufen - und gestand. Erst als die Kieler Polizei ihre Kollegen in Kitzingen informierte, wurde die Leiche im Bett gefunden. 24 Stunden lang hatte niemand bemerkt, dass der Mann tot war.
Warum hat die Heimleitung die Männer nicht getrennt?
Die in Kitzingen tätige ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Silke Babel erhebt schwere Beschuldigungen: Heimleitung und Polizei hätten durch mehrere Hinweise gewusst, dass der 27-jährige Mitbewohner in Gefahr war - aber nicht das Erforderliche unternommen. In einem Brief attackiert sie die Regierung von Unterfranken: "Wie kann man Worte finden nach der schrecklichen Tat, die man hätte verhindern können?"
Der Vorsitzende Thomas Schuster sagte auf Nachfrage von Anwalts Roj Khalaf, der in der Nebenklage die Familie des Getöteten vertritt: Die Aussage Babels bei der Polizei sei in den Akten, aber von geringem Erkenntniswert für den Fall. Die Flüchtlingshelferin selbst gab an: Sie habe Strafanzeige erstattet wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen - gegen die Heimleitung sowie die Leitung des Bezirkskrankenhauses Werneck, das den Kranken in die Unterkunft zurückgeschickt hatte.
Strafanzeige gegen Heimleitung und Ärzte
Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach bestätigte, dass der Beschuldigte im Mai 2021 zeitweise in der Psychiatrie zur Behandlung war. "Er wurde dort entlassen aufgrund fehlender Anhaltspunkte für eine Fremd- und Eigengefährdung." Ein weiteres Gutachten sei zwei Monate vor der Tat zum gleichen Ergebnis gekommen. Die Unterbringung in eine "geeignete Einrichtung" sei aber angeregt worden.
Streitigkeiten zwischen beiden Männern seien zwar bekannt gewesen, so Seebach - aber "polizeiliche Anzeigen des späteren Opfers sind nicht bekannt". Eine Strafanzeige gegen Heimleitung sowie verantwortliche Ärzte in Werneck liege vor. Sie sei "zurückgestellt bis zum Abschluss des Unterbringungsverfahrens" des Beschuldigten.
Der Prozess wird an diesem Mittwoch fortgesetzt.