Nein, Liebe auf dem ersten Blick war es nicht. Aber dafür ist sie jetzt umso tiefer. Sabrina Altieri liebt Giovanni. Nicht ihren Mann, der hat zwar auch italienische Wurzeln, sondern ihren vier Jahre alten weißen Iveco-Bus. Sabrina Altieri ist Busfahrerin - mit so viel Leidenschaft für ihr Gefährt und vor allem für ihre Gäste, dass sie zu Deutschlands Lieblingsbusfahrerin gekürt wurde.
Die Auszeichnung haben der Fahrgastverband Pro Bahn, DB Regio und andere Partner in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben. Eine Jury aus Branchenvertretern wählte aus 2300 Bus-Geschichten, die Fahrgäste eingereicht hatten, die witzigsten, schönsten, bewegendsten aus. Der Preis soll die engagierte Arbeit der vielen Busfahrerinnen und Busfahrer würdigen. Und Sabrina Altieri, die in Ebelsbach im Landkreis Haßberge wohnt, ist eine von vier Preisträgern - und "von ganzem Herzen dankbar über die Auszeichnung".
Deutschlands Lieblingsbusfahrerin hat ein großes Herz für Menschen
Neben Urkunde, Anstecknadel, einem Fahrtraining und 500 Euro bekam die 30-Jährige einen eingerahmten Modellbus. "Leider ist es nicht Giovanni", sagt die Busfahrerin, die für das Unternehmen Busclassic aus Wiesentheid (Lkr. Kitzingen) fährt, schmunzelnd. Der Titel Lieblingsbusfahrerin sei zwar ihr verliehen worden - aber: "Er ist für uns Busfahrer generell. Das ist die Anerkennung unserer Arbeit, die zu wenig wertgeschätzt wird."
Von dem Wettbewerb wusste Sabrina – "Bitte sagen Sie du zu mir"– nichts. Ein Stammgast hat die Busfahrerin wohl vorgeschlagen. Was vermutlich an ihrer sympathischen Art und ihrem großen Herzen liegt. Sie stellt für die Kleinsten einen eigenen Fahrschein aus oder wartet schon mal, wenn sie einen Pendler an der Bushaltestelle vermisst.
Der erste steigt auf Sabrinas Tour – Linie 991 – vom Baumwipfelpfad nach Bamberg gleich in Ebrach ein. Er arbeitet bei einem Sicherheitsdienst und scherzt gleich an der Tür: "Ah, hast du uns heute einen Teppich ausgerollt!" Damit keiner bei dem Nieselwetter im Bus ausrutscht, hat Sabrina einen Lappen an den Eintritt gelegt. Zwei Männer, drei Frauen steigen ein. Alle werden einzeln mit einem fröhlichen "Guten Morgen" begrüßt.
"Die Leute wissen, dass sie bei mir vorne einsteigen müssen", erzählt Sabrina. "Und dass sie mich grüßen müssen." Für die Berufskraftfahrerin eine Frage des Respekts. Dabei nimmt sie sich nicht aus. Auch sie habe mal einen schlechten Tag, aber das sollen ihre Fahrgäste nicht abbekommen.
Ein Plastikkrönchen für die Prinzessin der Straße
Kötsch, Mönchsherrnhof, Dürrhof. Geschickt lenkt Sabrina ihren Bus durch die Ortschaften. Seit Januar 2023 arbeitet sie in Wiesentheid, seitdem fährt sie Giovanni. "Der Anfang mit dem neuen Bus war schlimm", erzählt die Ebelsbacherin lachend. "Aber nach der zweiten Fahrt hat er seinen Namen gekriegt." Giovanni, weil er ein italienisches Gestell hat. "Ist wahrscheinlich so ein Frauending." Die festzugeteilten Busse ihrer Kollegen hätten keinen Namen. Die ihrer sechs Kolleginnen schon.
Der Bus hat nicht nur einen Namen, Giovanni ist auch geschmückt. Kinderbilder hängen über dem Fahrerplatz, ein Plüsch-Ottifant steht am Fenster, eine goldfarbene Plastikkrone ziert den Fahrkartendrucker – das Geschenk eines Stammgasts: "Für die Prinzessin der Straße."
Einen besonderen Platz hat das Foto ihres Vaters. "Meine Geradeausfahrerin, hat er immer gesagt", erinnert sich Sabrina. Im vergangenen Jahr ist der Maurer, der aus Ostfriesland kam und der Liebe wegen nach Franken zog, gestorben. Er zog sie damit auf, dass sie Busfahrerin wurde und nichts anderes mache als nur gerade auszufahren. "Aber eigentlich war er stolz auf mich." Stolz darauf, dass sie sich als Frau in diesem Beruf behauptet.
Auch Opa und Onkel sind Busfahrer. Der Opa fährt sogar immer noch kleinere Touren. "Ich kann also nichts dazu, ich habe Benzin im Blut." Genauer gesagt Diesel, etwa 23 Liter braucht Giovanni auf 100 Kilometern. Bis zu 80.000 Kilometer fährt Sabrina im Jahr - Linie, Ausflüge, was ihr der Chef gibt.
Der Nervenkitzel, wenn der Bus über dem Abgrund hängt
Dass sie mal keinen typischen Mädchenberuf ergreifen würde, war Sabrina Altieri schon als Kind klar. Nix mit rosa, nix mit Barbie. Nach der Hauptschule in Ebelsbach fing sie in Zückshut (Lkr. Bamberg) bei einem kleinen Betrieb mit einer Ausbildung als Mechanikerin an. Dann lernte sie beim Ausflug mit der Berufsschule eine Busfahrerin kennen und wechselt in die Klasse der Berufskraftfahrer. Auch die müssen kleine Reparaturen an ihren Lastwagen oder Bussen machen. Oder ein Rad wechseln.
Sabrina erinnert sich noch an eine Fahrt in ihrer Lehrzeit in Viereth (Lkr. Bamberg), als plötzlich ein Reifen platt war. "Da kam kein Ersatzbus. Da kam mein Ausbilder mit einem Ersatzrad im Auto." Dann hieß es mitten auf der Straße Reifen wechseln – vor den Augen der Fahrgäste. "Da wächst du dran."
Ebenso wie an einer Gruppenreise durch die Schweizer Alpen. Blut und Wasser habe sie geschwitzt, nie zuvor war sie enge Bergstraßen und Kurven gefahren. "Die Gäste sollten natürlich nichts von meiner Nervosität mitkriegen", erzählt die 30-Jährige. Das Gefühl mit dem Bus über den Abgrund zu hängen – "was nur so extrem wirkt, weil der Fahrersitz vor der Achse ist"– diesen Nervenkitzel, den genießt sie auch nach über zehn Jahren im Beruf noch.
Die Strecke nach Bamberg hat da weniger Spannung zu bieten. Die Haltestellenansage kracht und rauscht. Ruft die Fahrerin eben die Stopps in den Bus. Unruhig wird sie, als der Motor ein leise klapperndes Geräusch macht. "Hört sich nach der Spannrolle an." Nichts Schlimmes, bringe sie nachher in Ordnung.
Dabei war Giovanni erst vier Wochen in der Werkstatt. Eine harte Zeit. Der Ersatzbus habe sich für sie wie Fremdgehen angefühlt, sagt Sabrina. "Seinen Mann gibt man ja auch nicht her."
Apropos. Natürlich ist ihr Mann Busfahrer, in dem Vierether Bus-Unternehmen, in dem sie Azubi war. Auch wenn Sabrina ihren Giovanni mit nach Hause nach Ebelsbach nimmt, bestimmen die Busse nicht das Gespräch beim Abendessen. Jeder erzählt das Wichtigste vom Arbeitstag, dann geht's um was anderes. Neben den zwei Vollzeitjobs sind da auch noch zwei Söhne. 40 Stunden ist Sabrina laut Vertrag in der Woche unterwegs. Meistens mehr, denn es fehlt Personal. Rund 30 Fahrer und Fahrerinnen arbeiten bei Busclassic, Arbeit gäbe es für doppelt so viel.
Wäre mehr Geld die Lösung für mehr Busfahrer?
Doch wie junge Menschen überzeugen vom Busfahrer-Beruf? Sabrina Altieri hat auch keine Idee. Sicher wäre mehr Geld ein Teil der Lösung. Im Durchschnitt verdient ein Busfahrer laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit etwa 3039 Euro brutto, aber das hängt stark vom Bundesland und dem Geschlecht ab. Den Chefs seien oft die Hände gebunden, sagt die Fahrerin. Wer Linien-Ausschreibungen gewinnen will, müsse sich den ständig neuen und meist teuren Anforderungen stellen: "Wie sollen sich denn das vor allem kleine Unternehmen leisten können?"
Dazu die Verantwortung. "Wir Busfahrer sind immer schuld", sagt Sabrina. Schneidet ihr ein Wagen den Weg und sie fährt auf, wird sie haftbar gemacht. Die 30-Jährige überlegt kurz: "Eigentlich ist der Job undankbar." Es wird in den Bus gekotzt, Müll bleibt liegen. "Neulich meinte einer, er muss um 7 Uhr morgens in meinem Bus einen Döner essen", erzählt sie, immer noch empört. Nach zwei höflichen, aber bestimmten Ermahnung habe sie ihn an der nächsten Haltstelle aus dem Bus geworfen. Trotzdem: "Ohne Bus bin ich kein Mensch."
Die Fahrt durch Bamberg als kleiner Nervenkitzel des Alltags
Bahnhof Bamberg, Endhaltestelle. Sabrina holt sich einen Kaffee. Zeit für einen kurzen Ratsch mit Busfahrerin Julia. Bekommen die beiden blöde Kommentare von Männern zu hören? Ja, die gebe es immer noch. "Da hilft nur ein blöder Spruch zurück", sagt Julia. Auch für sie ist Busfahrerin ein Traumjob. Ihr Bus heißt Gustav.
Geht es nach Sabrinas Chef, Christian Weiglein, würde er gerne noch mehr Fahrerinnen einstellen, Fahrer natürlich auch. Aber Sabrina sei einmalig. "Sie ist Busfahrerin durch und durch", sagt Weiglein. "Die Fahrgäste lieben sie."
Sabrina öffnet Giovannis Türen, es geht zurück nach Ebrach. Sofort steht eine Schlange vor dem Bus. Zwei asiatische Touristinnen wollen wissen, wo der Stadtbus losfährt. Ein Mann fragt auf Englisch, ob das der Bus nach Eberau ist. Er darf bei Giovanni einsteigen. "Ich bin ja nicht nur Busfahrerin", sagt Sabrina. "Ich bin Informationscenter, Psychologin, Krankenschwester und Pausenclown."
Wer große Maschinen mag, aber keine Menschen, wird Lkw-Fahrer. "Wer dazu noch Menschen mag, der wird Busfahrer", philosophiert Sabrina und schaut konzentriert auf den Verkehr. "Und wer einen an der Waffel hat." Ihr Lachen schallt durch den Bus. "Go, Giovanni, go!", ermutigt sie ihren Bus, als sie durch die enge Bamberger Innenstadt fährt. Eine Baustelle reiht sich an die andere. Ein kleiner Nervenkitzel im Alltag.
Lieber fränkische Landschaft als Berliner Stadtverkehr
In Berlin zu fahren, würde sie mal reizen. "Bremsen, Gas geben, auf die Taktung achten. Das wäre mal eine Erfahrung." Sabrina fährt gern übers Land. Am liebsten, wenn's regnet oder schneit. Bei Leerfahrten hält sie auch mal an und macht ein Foto, "weil ich so viele schöne Sachen sehe".
Sabrina stoppt Giovanni in einer Haltebucht an der B22. "Here is Eberau", ruft sie in den Bus. Der Mann nimmt sein Gepäck, Sabrina ruft ihm ein besonders fröhliches "Schönen Tag noch" nach. Die Busfahrerin setzt den Blinker, Giovanni rollt weiter.
Etwas mehr Rücksicht von den anderen Verkehrsteilnehmern wünscht sich Sabrina Altieri. Dann hätten es doch alle leichter. Ihr Feierabend ist in Sicht, nur noch die Ebracher Schulkinder sicher nach Hause bringen. Die Haltestellenansage aus der Sprechanlage krächzt noch immer. Egal. Hauptsache Giovanni schnurrt wie ein Kätzchen.