
Rosa und Glitzer für die Mädchen, blau und Bagger für die Jungs – wie typisch. Diese Zweiteilung zeigt sich in allen Lebensbereichen, bei Spielzeug, Kleidung, Lebensmittel oder gar bei sportlichen Wettbewerben. Überall begegnen Eltern Rollenklischees. Doch beeinflussen diese oft unbewussten Denkmuster die Erziehung der Kinder? Welche Rolle spielt das Geschlecht? Und: Wie wirken sich Stereotype bei Kindern und Jugendlichen und im später im Berufsleben aus? Darüber sprechen am 6. Oktober Almut Schnerring und Sascha Verlan, Autoren des Buches "Die Rosa-Hellblau-Falle“, in einem Vortrag über geschlechtersensible Pädagogik in der Alten Synagoge in Kitzingen.
Sascha Verlan: Ja, angesichts der drohenden Klimakatastrophe und zunehmender Armut in Deutschland und weltweit kann der Eindruck entstehen, wir hätten drängendere Probleme. Allerdings sind insbesondere Frauen von Armut betroffen. Auf der anderen Seite ist das alltägliche Engagement gegen den Klimawandel weiblich. Beides hat mit Rollenklischees zu tun und nimmt seinen Anfang in der Kindheit, in der Erziehung.
Almut Schnerring: Frauen und insbesondere Mütter von Töchtern erleben die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten jeden Tag selbst, sie sind persönlich betroffen, und entsprechend größer ist der Leidensdruck. Der Grund für den Unmut vieler Männer ist oft Unsicherheit: Wenn der Einfluss von Rollenbildern wirklich so groß ist, wer bin dann eigentlich ich? Was sind meine ureigenen Interessen, Wünsche und Fähigkeiten? Und wo passe ich mich doch nur äußeren Zwängen an? Und vielleicht ist es insgesamt auch ein schlechtes Gewissen, von diesem System so bevorzugt zu werden.
Schnerring: Das ist das große Missverständnis: Geschlechtssensible Erziehung heißt eben nicht, alle gleich zu behandeln, sondern auf das einzelne Kind und seine individuellen Bedürfnisse zu achten, unabhängig vom Geschlecht. Um in einem zweiten Schritt dann das auszugleichen, was durch die einengenden Rollenbilder vielleicht zu kurz kommt. Es geht um eine ganzheitliche Erziehung, und da spielt natürlich auch die Kategorie Geschlecht eine wichtige Rolle.
Verlan: Das ist ein interessanter Punkt. In der Steinzeit zum Beispiel waren die körperlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, also Größe, Kraft und Schnelligkeit längst nicht so ausgeprägt. Und wir wissen inzwischen, dass unsere Vorfahren auf die Jagd und zum Sammeln gingen, gemeinsam. Die Unterschiede waren also nicht schon immer da.
Schnerring: Warum sie auch über 200 Jahre nach der Französischen Revolution immer noch da sind, hängt vor allem mit der ungleichen Verteilung und mangelnden Wertschätzung von Sorgearbeit zusammen. Wer sich um andere Menschen kümmert, erziehungsbedingt meist Frauen, hat weniger Zeit und Kraft, sich politisch und kulturell, wissenschaftlich und beruflich zu engagieren. Und die Folgen sehen wir dann in der Zusammensetzung der Führungsetagen.

Verlan: Durch ihre pink- und rosafarbene Kleidung signalisiert Ihre Tochter, dass sie zur Gruppe der Mädchen gehört. Und dieses Zugehörigkeitsgefühl ist richtig und wichtig. Sie müssen ja jetzt nicht gleich noch das Kinderzimmer und einfach alles rosa gestalten. Wichtig ist, die Kinder zu ermutigen und zu unterstützen, Erfahrungen zu sammeln in all jenen Bereichen, die in diesen geschlechtergetrennten Welten nicht vorkommen, für Mädchen also Technik, Abenteuer, Sport und raumgreifende Spiele, für Jungen eher der Bereich der Für- und Selbstsorge, feinmotorische Beschäftigungen.
Schnerring: Wir verstehen die Sorge dahinter und das Bedürfnis, geben aber zu bedenken, dass Eltern sich dadurch genau jene Regeln zu eigen machen und sie ihrem Kind weiterreichen, die ja erst zu der befürchteten Ausgrenzungssituation führen. Ist es nicht viel mehr Aufgabe der Eltern, dem Kind den Rücken zu stärken und es in seinen Wünschen zu unterstützen? Schließlich muss nicht das Kind, das sich untypisch kleidet, lernen, mit Hänseleien umzugehen, sondern die hänselnden Kinder (Eltern und Fachkräfte) müssen lernen und verinnerlichen, dass „anders“ nicht gleich „falsch“ ist.
Verlan: Sie sind es, die lernen müssen, dass ihr Hänseln, ihre Intoleranz, ihre engen Vorstellungen von einem „richtigen“ Jungen Kritik erfährt und nicht akzeptiert wird. Und nicht das Kind mit dem altmodischen Pullover, jenes mit der dunkleren Haut oder der Junge mit rosa Hausschuhen, oder das Kind, das seinen Papa nicht kennt, das eine Gehhilfe hat oder das Mädchen, das (noch) kein Deutsch versteht.
Verlan: Momentan scheint leider die Seite von Industrie, Werbung und Medien in ihren Einflüssen stärker zu sein. Damit das nicht so bleibt, haben wir den Goldenen Zaunpfahl gegründet, ein Preis für absurdes Gendermarketing (goldener-zaunpfahl.de). Das ist eine ehrenamtliche Initiative, mit der wir und ein Team von inzwischen über 20 Engagierten auf die gesellschaftlichen Folgen dieser zunehmend eingeengten Rollenbilder aufmerksam machen.
Schnerring: Ich fürchte es. Was wir erreichen können, ist, dass "Mädchen" aus dem offiziellen Bußgeldkatalog wieder gestrichen wird und Gerichte das Wort nicht mehr als Beleidigung sanktionieren. Das wäre doch eine Petition wert, die wir gerne unterstützen.
Den Vortrag "Die Rosa-Hellblau-Falle - Geschlechtersensible Pädagogik" halten Almut Schnerring und Sascha Verlan am Mittwoch, 6. Oktober, um 18 Uhr in der Alten Synagoge in Kitzingen. Es gilt die 3G-Regel: genesen, getestet , geimpft. Außerdem ist eine Anmeldung erforderlich unter familie@kitzingen.de