
Pater Anselm Grün ist ein Mensch der Öffentlichkeit. Mag er kraft Amtes auch hinter schweren Klostermauern der Abtei Münsterschwarzach zu Hause sein, so geht er doch immer wieder zu den Menschen hinaus oder die Menschen kommen zu ihm. Der 77-Jährige hat mehr als 300 Bücher geschrieben, meist Ratgeber fürs Leben, er hält Seminare für Starke, Schwache und Gebeugte, und mitunter taucht er auch im Fernsehen auf. Wie am Freitagabend in der kurz zuvor aufgezeichneten Sendung "Riverboat" aus Leipzig.
Im Gespräch mit Moderator Jörg Kachelmann berichtet Pater Anselm über ein Leben mit Gott und für Gott, aber es wird eine Unterhaltung, die mehr bietet als ein paar nette Geschichten und Anekdoten. Denn Anekdoten passen nicht auf die größte Krise der katholischen Kirche, die sich gerade schwer tut, ihre jüngere Vergangenheit zu bewältigen. Pater Anselm, längst ein versierter Öffentlichkeitsarbeiter, spricht offen über Versäumnisse und Versagen der Kirche, und am Ende wird es in der von rbb und MDR zeitgleich ausgestrahlten Sendung ein bewegender Fernsehmoment werden.
Kachelmann plaudert mit dem Benediktinermönch erst mal ein bisschen über Gott und die Welt. Er nennt ihn die "Schreibmaschine Gottes", verweist auf die vielen hundert Bücher, die Pater Anselm geschrieben hat, und spielt eine fast steinzeitlich wirkende Sequenz der einst so beliebten Sendung "Montagsmaler" ein: Pater Anselm mit schwarzem Haar und wallendem schwarzen Bart im Kreise dreier Mitmönche, als er den Begriff "Liebesbrief" zeichnen soll. Nach dem lockeren Entree kommt auch Kachelmann nicht an dem alles beherrschenden Thema dieser Tage vorbei. Es ist das "Böse in der katholischen Kirche", wie er es auf den Punkt bringt.
Pater Anselm nennt die Missbrauchsfälle und den Umgang der Kirche mit dem Thema "beschämend". Seit 31 Jahren begleite er im Recollectiohaus der Abtei Männer und Frauen in Lebenskrisen. Deshalb sei das Thema für ihn "nicht total neu, aber im Ausmaß schon erschütternd". Jetzt redet Pater Anselm offen über Verfehlungen der Kirche. "Das Schlimme war, dass die Kirche immer moralisiert hat und den Leuten ein schlechtes Gewissen gemacht hat und selbst nicht gelebt hat, was sie verkündet. Das ärgert die Menschen zurecht." Die Herausforderung an die Kirche sei nun, sich nicht zu rechtfertigen, sondern zu betrauern. Sie müsse demütiger werden, die Menschen aufrichten statt zu richten.
Pater Anselm betet für die Kirche und ihre Opfer
Dann fragt Kachelmann Pater Anselm, ob er "mit uns für die katholische Kirche beten" wolle, "dass sie es besser macht". "Wenn Sie mich einladen", sagt Pater Anselm, "sonst würde ich mich nicht trauen, hier zu beten." Es folgt ein denkwürdiger TV-Moment. Die Gäste im Studio falten die Hände, als der Gottesmann sein spontanes Gebet spricht. "Barmherziger und guter Gott: Sende deiner Kirche deinen Geist der Wahrheit, dass sie alles aufdeckt, was sie verletzt hat (. . .); sende ihr deinen Geist der Klarheit, dass sie gereinigt wird durch diese Krise, und sende ihr deinen Geist der Liebe, dass sie die Menschen nicht mehr beugt, sondern aufrichtet, dass die Menschen sich in ihr verstanden fühlen und nicht bewertet fühlen und dass sie einen Raum schafft, wo (. . .) die Menschen sich aufrichten können und den Sinn ihres Lebens neu entdecken."
Kachelmann spricht Pater Anselm auch auf den Zölibat an, und auch dazu vertritt der 77-Jährige eine klare Haltung: Bei Mönchen im Kloster mache die Ehelosigkeit noch Sinn. "Für Weltpriester wäre es ehrlicher und gut, wenn sie heiraten."
Damit hat Kachelmann die kritischen Themen abgeräumt. Was aber bleibt sonst hängen von diesem Gespräch?
Pater Anselm und das Priestersein
Schon bei der Erstkommunion habe er damit geliebäugelt, ins Kloster einzutreten. Doch die Entscheidung für ein Leben als Mönch sei langsam gereift. Die Pubertät durchlebte der mit sechs Geschwistern in München aufgewachsene Junge als Internatsschüler in Münsterschwarzach, es gab Krisen, etwa kurz vor dem Abitur, und er fragte sich, ob ihm das Kloster nicht "zu eng", eine reine Männergemeinschaft nicht "zu steril" sei. Heute halte ihn seine Berufung als Seelsorger wach; er halte Kurse, begleite Menschen, "eine spannende Aufgabe".
Pater Anselm und das Schreiben
Warum die Menschen sich von seinen Büchern angesprochen fühlen? "Ich schreibe nichts Abstraktes, sondern zu den Menschen. Ich schreibe einfach, will nicht belehren." Sehr viele Bücher hat Pater Anselm bislang verfasst, "nicht die typischen Ratgeber". Er liebe die Menschen, für die er schreibe, vermittle ihnen Hoffnung. Sein neuestes Buch: Im Wandel wachsen. Es geht um den ewigen Anspruch des Menschen, sich zu verändern. Dabei gehe es nicht um oberflächlichen Wandel über Sport oder Ernährung. Ziel müsse es sein, zu sich selbst zu finden, "immer mehr in die Gestalt hineinzuwachsen, die ich selber bin". Weitere Bücher sind bereits im Werden: über Selbstbestimmung im Alter und über Abschiedlich leben.
Pater Anselm und das Alter
Gerade ist der Pater 77 Jahre alt geworden, aber er habe eine "komplett faltenfreie Stirn", so Moderator Kachelmann. Ob er das Geheimnis der Jugend nicht an dieser Stelle teilen wolle? Die Antwort Pater Anselms: Es gibt kein Geheimnis. Weder halte er sich durch Trimm-dich-Kurse fit, noch mache er sonst ausgiebig Sport. Im Kloster nimmt er die Treppe statt des Aufzugs und im Urlaub wandert er, "sonst nichts".
Pater Anselm und das Geld
Was er denn mit den "vielen Milliarden" mache, die seine Bücher abwerfen, will Kachelmann wissen. Nichts, sagt Pater Anselm. Er bekomme "nicht mal Taschengeld", brauche er aber auch nicht. Selbst beim Tanken zahle er inzwischen mit Karte. Und das Geld fließe entweder in die Mission nach Afrika, Korea oder Südamerika oder wie gerade in die 30 Millionen Euro teure Sanierung des zum Kloster gehörenden Gymnasiums.
https://www.katholisch.de/artikel/17436-anselm-gruen-habe-an-boerse-10-millionen-euro-verloren
die Gier ist auch in den Klostermauern zu finden.
Es müssen Taten folgen, doch die sind bis jetzt ausgeblieben, außer Entschuldigungen. Ob sie noch kommen, ich bin gespannt,
- Hier irrte Herr Eike Lenz:
- Das Gebet des Paters galt nicht den Missbrauchsopfern – sondern seiner Kirche. Das ist nicht ganz untypisch für diese Institution.
Und dann sein Gebet: „ Sende deiner Kirche deinen Geist der Wahrheit, … sende ihr deinen Geist der Klarheit, … sende ihr deinen Geist der Liebe …“. Ein Gebet das auch (300 ungeschriebene) Bände spricht und die Kirche charakterisiert als Ort der Lüge, der Vertuschung und der Empathielosigkeit. Wenn man auf das Gesülze verzichtet.
Es muss in der Tat erschütternd sein, Mitglied einer Institution zu sein, die so sehr mit Füssen tritt, was man in über 300 Büchern verkündet. Ob man mit 77 Jahren noch zu mehr fähig ist, als zu einem „same procedure as every year“ ?