An einem freundlichen März-Tag steht Lisa Berger hinter ihrem Tresen und brüht Kaffee. Die Maschine faucht wie ein heiserer Drache, es dampft und rattert. Eine Art Testlauf. Draußen über dem Iphöfer Marktplatz gleißt die Sonne von einem stahlblauen Himmel, zwei Männer in Arbeitskleidung spitzen durch die Glastür, huschen dann wie Statisten durch die Szenerie – „mal schnell“ einen Blick in den Technikraum werfen.
Es sind nur noch wenige Tage, und Lisa Berger fühlt sich wie vor einer mit Spannung erwarteten Premiere. Sie sagt: „An der Scheibe drückt man sich die Nasen platt.“ Einige wollen schon vorher einen Blick erhaschen auf das, was sich im Inneren tut. Sie schauen auf Lisa Berger wie auf einen Fisch im Aquarium.
An diesem Sonntag um 11 Uhr öffnet in Iphofen das neue Genusshaus am Marktplatz seine Pforten – viel später als erwartet, aber das ist kaum Lisa Berger und ihrem Geschäftspartner Heiko Kolb anzulasten. Eigentlich sollte hier, im Süden des Iphöfer Marktplatzes, schon längst ein Genussreich entstanden sein, von dem der frühere Bürgermeister Josef Mend träumte, seitdem die Stadt im Jahr 2001 erstmals Gastgeberin der Fränkischen Feinschmeckermesse war.
Regionale Köstlichkeiten unter einem Dach – das war die Vision des bekennenden Gourmets im Rathaus. 17 Jahre sollte es dauern, bis die Stadt diese Vision aufgriff, und weitere drei Jahre, bis aus dem Traum schließlich Wirklichkeit wurde.
Stadt und Planer mussten sich erst mühsam zusammenraufen
Zunächst war die Eröffnung für Mitte 2020 angekündigt, dann für Anfang 2021, dann für September 2021, und nun ist erneut ein Corona-Winter vergangen. Aber in diesem Fall war es ausnahmsweise nicht die Pandemie, die den Starttermin immer wieder verzögert hat. Stadt und Planungsbüro hatten sich im Sommer 2020 überworfen und mussten sich erst mühsam wieder zusammenraufen.
Es ging um Fristen und Versäumnisse, um Kosten und Kompetenzen. Dem Zeitplan hat das nicht gutgetan, und es fällt im Nachhinein schwer, den Schwarzen Peter einer der beiden Seiten zuzustecken. Man kann wohl sagen, dass alle Beteiligten die Dimension des Projekts unterschätzt hatten.
Von all dem Zwist ist an diesem Nachmittag nichts mehr zu spüren. Lisa Berger ist einfach nur erleichtert, dass es nun endlich losgeht: nach Monaten der Planung und Abstimmung, nach Wochen grübelnder Gedanken über Einrichtung und Konzept, nach Tagen hektischer letzter Besorgungen.
Wenige Tage vor der Eröffnung hat zwar noch nicht alles seinen bestimmten Platz. Doch der Geist dieses Ladens lässt sich schon atmen; das Ambiente, das an ein altes Warenhaus erinnert. Den grauen Boden übertönen warme Holznoten der Tische und Bänke, die Regale sind an eine Backsteinwand geschraubt. „Industrial Style“ nennt es Lisa Berger. Die Rohre verlaufen offen an der Decke, der Raum gewinnt damit an Höhe.
Beim Stöhr gab es alles: von der Batterie bis zu den Gummistiefeln
So kehrt wieder Leben in das alte Kaufhaus Stöhr ein, das in Iphofen und darüber hinaus als Institution galt, beliebt als Anlaufstelle für alle Eventualitäten des Alltags. Schrauben für ein Wandregal – Stöhr hatte sie; eine Batterie für die Armbanduhr – Stöhr hatte sie; Gummistiefel für die Kinder – Stöhr hatte sie. Josef Mend kaufte, lange bevor er Bürgermeister dieser Stadt war, von seinem Taschengeld die ersten Schallplatten im Stöhr, andere ihren Elektroofen oder ihre Waschmaschine.
Dann sperrte Adolf Stöhr im November 2018 den Laden zu. Ohne Abschiedsparty. Ohne Ankündigung. Ohne Sonderschlussverkauf. Weshalb auch? Die ganzen Jahrzehnte fühlte man sich zwischen all den Restposten, Schnäppchen und Sonderangeboten, als wäre bei Stöhr ständig Schlussverkauf. Nur einmal, ein einziges Mal, wich Stöhr von seiner Niedrigpreis-Strategie ab – als es nach der Schließung darum ging, das alte Gebäude zu versilbern.
Im Stadtrat schimpften sie über eine „Schrottimmobilie“, die man sich da für angeblich eine Million Euro habe andrehen lassen. Das verkorkste Innenleben des Gebäudes wurde erst nach und nach sichtbar, als die Handwerker und Statiker bei der Sanierung Schicht für Schicht in die Substanz vordrangen. Einer der Fachplaner staunte über Technik aus einer Zeit, in der er noch gar nicht geboren war. Wenig verwunderlich also, dass außer der reinen Hülle nicht mehr viel übrigblieb.
Installation, Heizung, Kabel, Leitungen, Rohre – alles musste neu gemacht werden, weil alles aus der Zeit gefallen war. Auch darin lag begründet, dass der Eröffnungstermin im Kalender immer weiter nach hinten rückte – und die Kosten für den Umbau des gesamten Hauses auf zweieinhalb Millionen Euro stiegen.
Lisa Berger und Heiko Kolb haben sich einst am gemeinsamen Arbeitsplatz kennengelernt. Sie machte eine Lehre bei Bernhard Reiser in Würzburg, er war Küchenchef. Beide sind gelernte Köche, verstehen also ihr Fach. Kolb ist in Iphofen geboren und aufgewachsen, Berger stammt aus Rothenburg ob der Tauber, hat später in der Schweiz und am Bodensee gearbeitet. Aber ihre Heimat, sagt sie, sei Unterfranken. Schon bevor das mit dem alten Kaufhaus aktuell wurde, wollte sie in Iphofen „was aufmachen“.
Das Genusshaus richtet sich auch an die 400 000 Tagestouristen
Dann ergab sich diese Möglichkeit plötzlich in einer der besten Lagen der Stadt mit ihren jährlich 400 000 Tagestouristen. Mit Heiko Kolb präsentierte sie ihr Konzept dem Stadtrat – und bekam den Zuschlag. Es war zwar nicht eins zu eins das, was Bürgermeister und andere sich einst gewünscht hatten, nämlich ein Genuss-Kaufhaus, das die Köstlichkeiten Frankens auf 200 Quadratmetern bündelt. Aber immerhin.
Konfrontiert man Lisa Berger mit der Ursprungsidee, dann kann auch sie sich dafür erwärmen. Die Sache hat aber einen Haken. „Nur vom Lebensmittelhandel kann man nicht leben“, sagt Berger. Sie und Kolb wären bloß Wiederverkäufer gewesen mit geringen Margen, betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll. Also änderten sie den Schwerpunkt; er liegt nun auf der Gastronomie. An sechs Tagen die Woche – Donnerstag ist Ruhetag – bieten die beiden in ihrem Genusshaus kleine Snacks, auch zum Mitnehmen, an.
Es gibt Saure Zipfel in Silvaner-Buttersud oder pochiertes Ei
Berger beschreibt die Idee so: „Wir wollen Regionales und Saisonales mit dem gewissen Etwas auf den Teller bringen.“ Das sind dann eben nicht die klassischen fränkischen Gerichte, sondern Saure Zipfel in Silvaner-Buttersud mit Kartoffelschaum und Blattspinat. Oder pochiertes Birklinger Ei. Oder Fleisch vom fränkischen Charolais-Rind. „Kurze Lieferwege“ sind ihr wichtig, genauso wie nachhaltige Erzeugung.
Vieles von dem, was der Kunde schmeckt, kann er anschließend im Laden kaufen. „Die Produkte, die wir anbieten, verarbeiten wir auch in den Speisen“, sagt Lisa Berger. Essig und Öl für den Salat, Nudeln, Senf, Meerrettich, dazu Obstbrände und Iphöfer Wein. Es ist die kulinarische Vielfalt ganz Frankens, die sich in den Regalen spiegelt. Auch eine kleine Obst- und Gemüsetheke wird es geben. Man kann aber auch nur kommen, um Kaffee und selbstgebackenen Kuchen zu genießen.
Noch verschwindet das Gebäude hinter einem Gerüst, und das wird auch noch eine Weile so bleiben, da über dem Laden an vier Wohnungen gewerkelt wird und auch die Fassade noch nicht verputzt ist. Lisa Berger und Heiko Kolb wollten aber nicht länger warten, bis sich der Vorhang hebt. Sie haben ein Versprechen gegeben, das sie ab sofort bei der Kundschaft einlösen müssen: „Bei uns ist jetzt jeden Tag Feinschmeckermesse.“
Gibt es dann ein fast identisches Angebot in einem Abstand von 200m? Da wird sich manch ein Touri wundern wenn er schon nach einem Schoppen doppelt sieht.