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IPHOFEN
Wo Genuss zum Geschäft werden soll
Es sieht aus, als seien die Handwerker gerade in der Mittagspause. Tatsächlich gibt es für das Ende 2018 geschlossene Kaufhaus Stöhr in Iphofen neue Ideen.
Foto: Eike Lenz | Es sieht aus, als seien die Handwerker gerade in der Mittagspause. Tatsächlich gibt es für das Ende 2018 geschlossene Kaufhaus Stöhr in Iphofen neue Ideen.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:36 Uhr

Es gibt Dinge, die einen Bürgermeister auch nach knapp 29 Dienstjahren noch herausfordern. Die Suche nach einem Lichtschalter zum Beispiel. Mit einem fixen Dreh hat Josef Mend die große Glastür aufgesperrt, nun steht er wie ein Fragezeichen im Halbdunkel des verlassenen Kaufhauses Stöhr und tastet sich auf dem Weg zur Erleuchtung durch einen Korridor spärlich gefüllter Regale. Wo immer er auch hinläuft, die Treppe hoch, die Treppe runter, vorbei an zwei ineinander verkeilten Einkaufswagen, den Blick hin und her werfend: Der Lichtschalter bleibt unauffindbar.

Kein rauschendes Abschiedsfest

Seit Ende November hat das Kaufhaus am Iphöfer Marktplatz für immer die Pforten geschlossen – ohne große Gefühle, ohne rauschendes Abschiedsfest. Einfach so. 99 Jahre, nachdem Großvater August Stöhr es als Sattlerei begründete, 66 Jahre, nachdem Vater Adolf senior dort eine Eisenwarenhandlung eröffnete, machte es Enkel Adolf junior dicht. Auch wenn das Gerücht in Iphofen schon länger in den Gassen wurzelte wie Unkraut: Am Ende waren es ein paar dürre Zeilen im Amtsblatt, dass die Postfiliale am Marktplatz schließen werde – und mit ihr das Kaufhaus.

Noch einmal zum Leben erwacht

Doch die Gerüchte sind seither nicht verstummt. Sie ranken sich nun um die Zukunft des in Bestlage liegenden Gebäudes. Deshalb steht der Bürgermeister nun in der noch einmal hell erleuchteten Kulisse, von manch Neugierigem durch die Schaufenster beäugt wie ein Fisch im Aquarium, und schiebt zur Schau einen Einkaufswagen vor sich her.

Endlich, nach dem zweiten Anruf mit seinem Handy, erst bei der Tourismuschefin, dann beim Leiter des Bauhofs, hat Mend nämlich das Kästchen mit den Lichtschaltern entdeckt. Mit einigen wenigen Klicks erwacht das alte Kaufhaus wieder zum Leben. Flackernd und surrend erhellt das Licht eine Szenerie, in der jeder Schritt nach vorn zurück in die Vergangenheit führt. Zurück auf betongrauen Fliesenboden. Zurück in ein Umfeld, das den Zeitgeist von Ölkrise und Asbach-Uralt atmet.

Ein paar Schnäppchen bleiben

Zurück vor Regale aus Holzimitat, die noch manches Schnäppchen bergen: Kinder-Gummistiefel, Größe 29, Made in Italy, zum Sonderpreis von 9 Euro, Sonnen- und Lesebrillen zu 70 Prozent reduziert, Christbaumkugeln in Pilzform, das Stück zu 1 Euro. Hüte finden sich neben Plastikblumen, Wolle neben Mückenöl, und wem das nicht genügt: An der einen Wandseite gibt es „Mehr fürs Geld: unsere praktische 0,55-Euro-Abteilung.“

Mend sieht sich auf richtigem Weg

Vor einem halben Jahr hat die Stadt das Anwesen auf dem gut 400 Quadratmeter großen Areal in der Altstadt erworben. Mend darf den Kaufpreis nicht nennen, doch seinen Äußerungen und seinem Blick ist zu entnehmen: Diesmal war das, was er bei Stöhr erstand, kein Schnäppchen. Und dennoch ist er sich sicher, richtig gehandelt zu haben. Als die Zeitung vor einiger Zeit bei Stöhr anrief, um eine Geschichte über das Sterben der Kaufhäuser zu schreiben, lehnte er dankend ab. Man solle es anderswo probieren, teilte er am Telefon mit. Das Ende konnte er damit nicht aufhalten.

Erinnerungen an die Kaufhaus-Zeit

Fragt man den 66 Jahre alten Mend, welche Erinnerung er mit dem jungen Kaufhaus Stöhr verbindet, hält er kurz inne und sagt: „Meine ersten Schallplatten habe ich hier gekauft.“ Andere erstanden ihre Waschmaschine, ihren Elektroofen bei Stöhr. Im Kaufhaus konsumierte sich die junge Bundesrepublik den Krieg von der Seele. „Für die damalige Zeit“, sagt Mend, „war das ein riesiger Laden.“ Dazu kam: Der Kunde bekam in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes alles, was er brauchte. Lebensmittel, Kleidung, Stoffe, Wolle – zu erreichen auf kürzestem Weg.

Land und Leute wurden mobiler

Mit der Zeit aber änderten sich Lebens- und Einkaufsgewohnheiten. Land und Leute wurden mobiler, im Verkehr und im Netz.Bei Stöhr schloss die Haushaltsgeräteabteilung im Obergeschoss. Was blieb, waren die Schaufenster mit blauer Teppichauslage und der olivgrüne Gebäudeanstrich. Was blieb, war auch das Spezialsortiment, auf das Einheimische und Touristen über all die Jahre schworen. Es gab einen geflügelten Satz für jemanden, der etwas suchte und nicht fand: „Geh mal zum Stöhr! Wenn‘s der nicht hat, hat?s keiner.“ Irgendwann war das Kaufhaus, dessen Fassade sich nie änderte, während die Häuser ringsum ihre Farbe wechselten wie Chamäleons, einfach nur Kult, ohne je Kult sein zu wollen.

Ein Schild als Warnung

Im hinteren Teil des Geschäfts hatte Stöhr gleich drei Überwachungskameras anbringen lassen. Sie hängen an der Wand wie Geweihe. Auf einem Schild prangt die Warnung: „Ladendiebstahl! Bitte denken Sie an die Folgen.“ Mend schlendert durch die Gänge und fragt den Reporter: „Brauchen Sie was?“ Was derzeit noch übrig ist, und das ist eine ganze Menge, soll an Kindergärten verschenkt oder zu Mini-Preisen verkauft werden. Kabel baumeln von der zum Teil geöffneten Decke, mitten im Raum stehen zwei blaue Mülltonnen und eine Leiter.

Ein Traum lässt Mend nicht mehr los

Es sieht aus, als seien die Handwerker gerade in der Mittagspause. Und tatsächlich könnten hier in nächster Zeit die Arbeiter zu Gange sein.

Wenn es ein Projekt gibt, das der Bürgermeister gerne noch anstoßen würde, bevor er im Mai 2020 nach 30 Jahren aus dem Amt scheidet, dann das eines regionalen Genuss-Kaufhauses. Fränkische Delikatessen unter einem Dach – ein Traum, der ihn nicht mehr loslässt, spätestens seitdem Iphofen alle zwei Jahre Gastgeber der Fränkischen Feinschmeckermesse ist. Nun ist dieser Traum greifbarer denn je. Es gibt ein Gebäude in zentraler Lage, es gibt den Bedarf nach Feinkost und mögliche Zielgruppen, und es gibt potenzielle Lieferanten in Gestalt regionaler Direktvermarkter.

Tragfähiges Geschäftsmodell?

400 000 Tagestouristen im Jahr, dazu ein Einzugsgebiet von 10 000, eher 15 000 einheimischen Kunden – aus diesen von Mend genannten Zahlen sollte sich doch ein Geschäftsmodell entwickeln lassen: ein Laden im Erdgeschoss, ein Bistro oder Café im ersten Obergeschoss und die Option, auch ein rückwärtiges, von der Stadt mitgekauftes Gebäude zu nutzen. Fest steht für Mend aber auch: Die Stadt selbst will und kann einen solchen Laden nicht betreiben. Dafür braucht es einen Pächter.

Erst einmal Leerstand vermeiden

Noch sind das alles nur Überlegungen, Visionen, Träume, ungeprüft und unverbindlich. Die Frage wird sein: Wie viel muss, wie viel soll die Stadt in das Gebäude investieren? Mend geht es im ersten Schritt erst einmal darum, Leerstand zu vermeiden. Leerstand signalisiert Stillstand – und Stillstand an so zentraler Stelle ist einer zukunftsgewandten Stadt wie Iphofen nicht zuträglich.

Vieles rund um den Marktplatz steckt gerade im Aufbruch und wird bald in hellerem, freundlicherem Licht erstrahlen. Es scheint, als müsste man dafür bloß den Lichtschalter finden und umlegen.

Das Kaufhaus Stöhr am Iphöfer Marktplatz hat nie die Farbe gewechselt. Es war Kult, ohne Kult sein zu wollen.
Foto: Lenz | Das Kaufhaus Stöhr am Iphöfer Marktplatz hat nie die Farbe gewechselt. Es war Kult, ohne Kult sein zu wollen.
Bürgermeister Josef Mend hat bei Stöhr seine ersten Schallplatten gekauft – nun könnte er sich in dem Kaufhaus einen politischen Traum erfüllen.
Foto: Lenz | Bürgermeister Josef Mend hat bei Stöhr seine ersten Schallplatten gekauft – nun könnte er sich in dem Kaufhaus einen politischen Traum erfüllen.
Noch immer sind die Regale des seit Jahresende geschlossenen Kaufhauses teils gut gefüllt. Was soll passieren mit all den Dingen?
Foto: Eike Lenz | Noch immer sind die Regale des seit Jahresende geschlossenen Kaufhauses teils gut gefüllt. Was soll passieren mit all den Dingen?
Selbst mit satten Rabatten sind in den letzten Tagen des Kaufhauses nicht alle Artikel weggegangen – so wie diese Kinder-Gummistiefel.
Foto: Eike Lenz | Selbst mit satten Rabatten sind in den letzten Tagen des Kaufhauses nicht alle Artikel weggegangen – so wie diese Kinder-Gummistiefel.
 
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