Es ist schon verwunderlich: Der Wald ist kein bisschen grüner geworden, der Schwanberg keinen Meter höher, und mögen die Wanderwege auch Traumrunden heißen, sie führen letztlich auch wieder nur ans Ziel. Mutter Natur war schon immer da, aber gerade lernt man wieder, über sie zu staunen.Reiseexperten laden das Thema mit Bedeutung auf, sprechen von einem Schatz, der gleichzeitig zu heben und zu schützen sei. Die Natur ist plötzlich wer.
Seitdem die Gesellschaft den Umwelt- und Klimaschutz als Thema ernst nimmt, verändern sich Klientel und Angebot von Reisen. Auch in Iphofen ist die neue Zielgruppe längst identifiziert. Von einer „zweiten Säule“ neben dem Weintourismus spricht die Leiterin der Touristinfo, Claudia Bellanti. Was heißt das für eine Stadt mit mehr als 50 000 Gästeübernachtungen jährlich?
Über 77 Prozent der Menschen in Deutschland wohnen der Weltbank zufolge in Städten. Damit sie in der Pandemie Luft schnappen konnten, gingen sie raus aufs Land, raus in die Natur. Corona hat die Entwicklung zu nachhaltigem Reisen nicht angestoßen, aber zweifellos beschleunigt.
Öko-Urlaub zwischen Nutzen und Schützen
Weil die Menschen im Lockdown lange nicht in die Ferne schweifen durften oder wollten, entdeckten sie, dass das Gute mitunter so nah liegt. Öko-Urlaub ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und die Natur ist zu einem Pfund geworden, mit dem sich aus Sicht von PR- und Marketingstrategen gut wuchern lässt. Man muss es nur geschickt anstellen, muss zwischen Nutzen und Schützen abwägen.
In Iphofen hat man sich zu dem Thema Hilfe ins Haus geholt, weil man der eigenen Expertise offenbar nicht ganz traute. Vier ganze Tage im Herbst 2020 und Frühjahr 2021 haben Stadträte, Gästeführerinnen, Wander- und Wegewarte, die Mitarbeiterinnen des Tourismusbüros, Hoteliers, Wirte und Winzerinnen damit verbracht, Ideen zu sammeln und Konzepte zu entwickeln – fachlich begleitet von den Unternehmensberatern der Agenturen CIMA (Forchheim) und Tourismus Plan B (Berlin).
Die Experten bündelten das Ganze letztlich zu einem Berg von Papier, wägten Stärken und Schwächen gegeneinander ab und destillierten daraus mehr als 60 Handlungsempfehlungen. Sie sollen die Grundlage sein, auf der in den nächsten zehn Jahren Stück für Stück die zweite Säule wachsen soll: der Naturtourismus.
Ein Wunderwerk? Wohl kaum. Was Daniela Pohl (CIMA) und Andreas Lorenz (Tourismus Plan B) am Montagabend dem Stadtrat präsentierten, erschöpfte sich an vielen Stellen in Banalitäten und Plattitüden, in Binsen und Phrasen: „Wir inszenieren Natur“, „Wir erzählen die Geschichte unseres Landschafts- und Kulturraums“, „Wir verankern Nachhaltigkeit in allen Bereichen“ oder „Mit unseren Leitprodukten versprechen wir ein unverwechselbares Naturerlebnis“. Vieles klang nach typischem Managerdeutsch.
Und die sogenannten Leitziele? Geld verdienen und Nachfrage stärken auf der einen Seite, Natur schützen und bewahren auf der anderen. Irgendwie logisch. „Ein sympathisches Konzept“, sagte Dritter Bürgermeister Jörg Schanow. „Ich habe mich nur die ganze Zeit gefragt: Wo ist das grundlegend Neue?“
Andreas Lorenz hatte darauf die Antwort, man müsse aus Iphofen ja nicht gleich ein „Ferienresort mit Strandleben“ entwickeln. Wieso es das Konzept brauche? „Die Natur ist hier noch nicht so in Wert gesetzt, dass die Leute wegen dem Thema Natur kommen.“ Die Verweildauer sei kurz, weil die Gäste die Natur im Umland gar nicht nutzten.
So sieht es auch Claudia Bellanti, die Tourismuschefin, die nun auch schon seit 21 Jahren und vier Monaten im Amt ist und die – kaum zu glauben – durch das Konzept zu „neuen Genussplätzen“ geführt wurde. Was die Stadt für das Papier bezahlt hat, wurde am Montag nicht bekannt. Man kann es sich in etwa ausrechnen, nachdem Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber einst persönlich einen Scheck über 14 000 Euro überbrachte, der 30 Prozent der Kosten decken sollte.
Wohltuend konkret wurde es an diesem Abend, als Andreas Lorenz auf einzelne Maßnahmen zu sprechen kam, auf einen Teil jener 30 gemeinsam ersonnenen Infrastrukturprojekte: Gesundheitswanderwege, digitaler Waldlehrpfad, Trail-Running-Streckennetz.
Mountainbike-Strecke als Idee
Sogar von einem neuen Anlauf bei den einst verpönten Mountainbike-Strecken war die Rede. Bei Lorenz‘ Kollegin Daniela Pohl hörte sich das in der Gesamtschau so an: Man wolle den Schwanberg als „Naturerholungs-Hotspot“ herausstellen. Das Problem an der Sache: Der Schwanberg ist schon heute ein Hotspot.
Das gab auch Stadtrat Otto Kolesch zu bedenken. Neue Besucherströme nach Iphofen zu lenken sehe er kritisch. „Das höhere Gut ist die Natur. Der Schutz des Waldes muss die zentrale Rolle spielen.“ Im Allgäu und in den Alpen werde man schon jetzt die Geister, die man rief, nicht mehr los. Diese Gegenden würden von Gästen überrannt. Auf jeden Fall müssten bei der Umsetzung des Konzepts auch die Nachbargemeinden mit ins Boot geholt werden.
Besser sei es in jedem Fall, Routen für Mountainbiker und Wanderer auszuweisen, sagte Andreas Lorenz. „Wenn Sie gar nichts machen, werden sich Mountainbiker selbst ihren Weg suchen. Das führt dann erst recht zu massiven Eingriffen.“
Neue Stelle für den Naturtourismus
Wie es weitergeht? Die Stadt muss sich jetzt erst einmal personell aufstellen. Um das Konzept mit Leben zu füllen, um die einzelnen Fäden zusammenzuführen und daraus einen Strang zu entwickeln, an dem dann möglichst alle Beteiligten ziehen sollen, wird der Posten eines oder einer Naturtourismusbeauftragten geschaffen. „Eine Management-, keine Beamtenstelle“, wie Berater Lorenz das Anforderungsprofil beschrieb.
Der Stadtrat hat die Stelle am Montag einstimmig bewilligt. Es muss schnell gehen, weil zum Jahresende die Förderung des Freistaats ausläuft: 50 Prozent der Personalkosten über drei Jahre, höchstens 100 000 Euro. Und danach? Das kann noch keiner sagen, weil es an Erfahrungswerten fehlt. Iphofen, so hieß es, sei in dieser Sache wieder einmal Vorreiter.