Als der Minister kommt, gehetzt und mit einigen Minuten Verspätung, bleibt er für einen Moment in der Tür stehen, begrüßt kurz die wartenden Gäste in der Rathaushalle und macht auf dem Absatz noch mal kehrt. Auch wenn der Tag grau ist und der Himmel voller Wolken, kann der Blick von der Empore der Rathaustreppe betören: auf dieses Schmuckstück von Altstadt, dieses Kleinod von Marktplatz. Was der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber zum Wochenstart bei seiner Visite in Iphofen zu sehen bekommt, wird später in seine kurze Rede einfließen. Fränkelnd spricht der Forchheimer von einem „malerischen Umfeld“ und von „Urlaub daheim“. Er ist jetzt da, um beides zusammenzubringen.
Aus München hat Glauber einen großen Scheck mitgebracht, wobei sich das groß eher auf den Umfang des Pappkartons bezieht, auf den er gedruckt ist. 14 081,24 Euro Förderung für ein Naturtourismuskonzept, das die Stadt Iphofen vorantreibt – eine vergleichsweise bescheidene Summe für einen persönlichen Ministerbesuch. Aber was zählt, ist die Geste: Der Freistaat ist mit im Boot, wenn Kommunen zu neuen Ufern in der Tourismuspolitik aufbrechen.
Der Begriff Nachhaltigkeit zieht sich durch alle Reden
Mehrfach fällt an diesem Tag der Begriff nachhaltig. Im Grußwort des Ministers taucht er ebenso auf wie in der Ansprache des Bürgermeisters. Die Landrätin wird ihn verwenden und – im kleineren Kreis – die Leiterin des Tourismusbüros. Von sanftem, weichem oder grünem Tourismus ist die Rede. Glauber sagt: „Wir wollen den Naturschatz so überführen, dass wir ihn zugleich schützen.“ Anders gesagt: Es geht darum, an der Natur zu verdienen, ohne ihr zu schaden.
Der Minister, demnächst 50 Jahre alt, erzählt aus seiner Kindheit und Jugendzeit. Von Sehnsuchtszielen wie den USA, Thailand oder Vietnam. Aber seitdem es der Klimaschutz auf die Agenda von Politik und Industrie geschafft hat, seit Fliegen mit Worten wie Scham behaftet ist, spätestens seit das Coronavirus den ganzen Erdball in Atem hält, ist für viele Menschen die Welt wieder ein Stück kleiner geworden, ist aus Fernweh die Sehnsucht nach Heimat und Nähe geworden. „Es geht darum, Bayern zu erleben“, sagt Glauber. Und Claudia Bellanti, die als Leiterin der Iphöfer Touristinfo noch näher an den Bedürfnissen der Gäste ist, stellt fest: „Der Markt für Naturtourismus wächst von Jahr zu Jahr.“
Iphofen ist gerade dabei, sich auf die neue Zielgruppe einzurichten. Auf jene 77 Prozent der Leute in Deutschland, die der Weltbank zufolge in Städten wohnen und die am Wochenende, vermehrt auch im Urlaub, die Natur suchen. Dinge wie Waldbaden. „Früher haben wir uns darüber kaputt gelacht“, sagt Bellanti. Aber der Ansatz hat sich kaum geändert. Heute ist der Wald wahlweise Refugium für Spaziergänger, Abenteuerplatz für Trecking-Wanderer oder Erlebnisstrecke für Mountainbiker.
Um möglichst alle Zielgruppen zu erfassen und maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln, hat der Stadtrat im Herbst 2019 beschlossen, ein Naturtourismuskonzept auf den Weg zu bringen. Für Touristikerin Bellanti steckt dahinter das Bestreben, Trends aufzunehmen und aufeinander abzustimmen, und das alles im Einklang mit der Natur. Bürgermeister Dieter Lenzer spricht von einer „Inszenierung des Waldes“ und „Prinzipien der Nachhaltigkeit“.
Beim Thema Seilbahn bleibt die Tourismuschefin vorsichtig
Im wachsenden Wettbewerb mit anderen Kommunen gilt es, das Profil zu schärfen und schlummernde Potenziale zu wecken. Dabei widerspricht Bellanti dem Eindruck, es gehe nur um die touristische Erschließung des Schwanbergs, wo Iphofen im Jahr 2017 rund 146 Hektar Wald und Wiesen zugekauft hat. „Der Schwanberg hat zwar die meisten Besucherströme, aber dort ist schon sehr viel entwickelt“, sagt die Tourismuschefin. Was sie sich vorstellen kann, ist eine bessere ÖPNV-Anbindung oder ein Weg vom Iphöfer Bahnhof auf den Berg. Fragt man nach der von Rödelsee ins Spiel gebrachten Seilbahn auf das Plateau, übt sich Bellanti in Diplomatie. „Das ist nur eine von vielen Ideen.“ Sämtliche sieben Stadtteile sollen sich in dem Papier wiederfinden – schließlich hätten alle ihre speziellen Reize.
Dass das Konzept gerade jetzt aufschlägt, begründet Bellanti auch mit einem „gewissen Handlungsdruck“. Vieles ist im Fluss, Wege müssen neu beschildert werden, die E-Mobilität nimmt zu, Mountainbiker und Wanderer verlangen nach einem Interessensausgleich. „Wir hätten sagen können, wir machen halt mal und arbeiten eins nach dem anderen ab. Aber wir haben uns für einen anderen Weg entschieden“, sagt sie. Rund 46 000 Euro nimmt die Stadt in die Hand, um sich ein exklusives Konzept erstellen zu lassen, das alle Bereiche untersucht und sie auf Chancen und Potenziale abklopft. 30 Prozent dieser Summe, also jene 14 081 Euro, die Minister Glauber per Scheck überbracht hat, trägt der Freistaat.
Bis Frühjahr 2021 sollen die Ergebnisse der Studie vorliegen
Vor Kurzem hat sich eine Arbeitsgruppe konstituiert und in einer ersten Sitzung Ziele und Strategien festgelegt. Mit dabei: der Bürgermeister und der Stadtförster, Stadtteilsprecher und Tourismusexperten, Wege- und Wanderwarte. Später soll dieser Kreis erweitert werden, etwa um Vertreter von Nachbargemeinden. Ziel ist es, Kooperationen mit zahlreichen Partnern zu begründen, „Alle lokalen Akteure sollen eingebunden werden“, sagt Bürgermeister Lenzer.
Bis Frühjahr 2021 sollen die Ergebnisse vorliegen und dem Stadtrat präsentiert werden – erst danach beginnt die eigentliche Arbeit. Die Stadt ist aufgerufen, dem Umweltministerium einen Fünf-Jahres-Plan vorzulegen, in dem es dann um konkrete Maßnahmen und deren Umsetzung geht. Auch dabei hat der Freistaat finanzielle Unterstützung zugesagt.
Bellanti hat schon einmal klar gemacht, dass die Stadt „nicht jeder Mode hinterherlaufen“ wolle und dass sie jedes Projekt auf den Prüfstand der Nachhaltigkeit stellen werde. Einmal habe es von einem Veranstalter die Anfrage für eine 24-Stunden-Trophy im Stadtwald gegeben. Die Antwort des Försters: Nachts muss der Wald auch mal dunkel bleiben.