Ein Fragment aus Stahlstreben und Zahnrädern leistet bis zuletzt Widerstand, es riecht nach geschweißtem Metall. Dort, wo Kinder einst ihr erstes Rolltreppenerlebnis hatten, sind Männer mit schwerem Gerät und Flaschenzug jetzt dabei, ein Stück Kitzinger Nachkriegsgeschichte zu zerlegen. Die Rolltreppe im Kaufhaus Storg stand einmal für Aufbruch und Fortschritt; es gibt bis heute keine zweite in der Stadt.
Jetzt aber hat sie ausgedient. Der neue Besitzer braucht sie nicht mehr. An allen Ecken und Enden lässt er das Gebäude gerade komplett auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Der alte Traum vom Warenhaus ist längst ausgeträumt, geplatzt wie hundert andere in hundert anderen deutschen Städten, und der Immobilienunternehmer Wolfgang Rosentritt ist angetreten, neue Träume wachsen zu lassen.
Es ist ein Montag im Februar, einer der ersten hellen Tage des Jahres. Rosentritt steht auf der umwehten Dachterrasse des Storg, ein Burgherrenblick, in der Ferne die Ausläufer des Steigerwalds. „Wird schön hier oben“, sagt er. Als ihn die Anfrage der Redaktion nach einer Baustellenbesichtigung erreichte, stimmte er sofort zu.
Die Geschichte des Kaufhauses Storg nimmt viele Wendungen
Transparenz ist ihm wichtig, zumal an einem Ort, der so öffentlich und präsent ist wie kaum ein zweiter in der Kitzinger Innenstadt. Treppauf, treppab führt Rosentritt durch ein Labyrinth, das auch er nach zwei Jahren noch nicht völlig durchdrungen hat. Der Bauherr humpelt, ein Bänderriss, allzu lange könne er nicht stehen. Am Ende werden es anderthalb Stunden sein.
Die Geschichte des Kaufhauses Storg ist eine Erzählung mit vielen Höhen und manchen Tiefen, mit Brüchen und Wendungen. Ehe Heinrich Storg 1964 sein Kaufhaus eröffnete, war dort das Capitol-Kino untergebracht, das größte und – wie viele sagen – schönste der Stadt, mehr Theater als Lichtspielhaus. Auf alten Fotografien sieht man noch die prunkvolle Fassade mit ihren charakteristischen Rundbögen. Später wurde daraus ein futuristisch anmutender Klotz mit aufgeklebtem Wabenmuster, das die Länge des Baus kaschieren sollte.
2017 war für das bekannte Kaufhaus Storg endgültig Schluss
Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, hier konsumierte sich die junge Bundesrepublik den Krieg von der Seele. Das Kaufhaus wurde zur ersten Adresse in allen Lebenslagen. Storg war in Kitzingen eine Institution. Bald öffnete ein zweites, dann ein drittes Haus in der Stadt.
Dann aber kam das Internet, kamen Computer und Smartphones, Kaufhäuser im Kleinformat, die gewünschte Ware nur einen Klick entfernt. Das neue Zeitalter machte auch vor Institutionen wie „dem Storg“ nicht Halt. Mittlerweile ist das Warenhaus hierzulande zum vielbestaunten Auslaufmodell geworden. Hertie existiert nicht mehr, Horten ist verschwunden, Karstadt und Kaufhof taumeln von einer Krise zur nächsten. Kurz nach der Jahrtausendwende musste auch Storg mit Hauptsitz in Amberg Insolvenz anmelden. Ein Neuanfang war nur von kurzer Dauer; 2017 war endgültig Schluss.
Zwei Jahre später kaufte Wolfgang Rosentritt die Immobilie. Er hatte eine Vision, aber keine Ahnung, ob sie dem Realitäts-Check standhalten würde. „Du brauchst Idealismus, und du musst leidensfähig sein“, sagt er, wenn er auf die unkalkulierbaren Risiken blickt, die ein Klotz wie dieser birgt. Er sieht aber auch die schier unbegrenzten Möglichkeiten eines solchen Gebäudes. „Die Substanz gibt es her, dass man was Spannendes draus macht.“
Überall im Land schließen die Kaufhäuser wie vor einem halben Jahrhundert die Zechen. Und wie in Kitzingen gibt es auch andernorts gute Beispiele, wie es gelungen ist, aus einer Top-Lage wieder eine Top-Adresse zu machen. In Chemnitz entstand aus einem alten Kaufhaus ein Museum, in Neuss ein Theater und Verwaltungssitz, in Bottrop ein Hotel, und in Rendsburg baute ein Investorentrio den alten Hertie für zwölf Millionen Euro zur Seniorenresidenz um – nostalgische Gefühle inklusive. Manche, die jetzt in diesem Heim wohnen, erinnern sich noch an früher, als sie dort einkaufen gingen.
95 Prozent der Kaufhäuser haben eine Nachnutzung
Die Raumplanerin Nina Hangebruch von der TU Dortmund hat für ihre Dissertation die Entwicklung von 219 Kaufhäusern untersucht, die zwischen 1994 und 2019 aufgegeben wurden. Das Ergebnis hat auch die Wissenschaftlerin erstaunt: „Rund 95 Prozent der Häuser haben eine Nachnutzung gefunden.“ Gefragt seien kreative Ideen.
Wolfgang Rosentritt kommt aus Gerolzhofen; an den alten Storg hat er keine Erinnerung. Die Beziehung zwischen ihm und dem Gebäude musste erst wachsen. Er irrte durch Gänge und Flure, stand vor Wänden und Mauern, lugte in Ecken und Winkel, wochenlang, und immer stieß er auf etwas Neues, Ungeplantes. Es war, als stellte ihm das Gebäude Rätsel und Aufgaben, die er lösen musste. Nach einem Dreivierteljahr glaubte er die Strukturen der Immobilie verstanden und ihre Geheimnisse durchdrungen zu haben. Was nicht heißt, dass er nicht doch fast täglich Überraschungen erlebt.
Mietswohnungen auf drei Etagen, hell und mit Parkettböden
Am Anfang versuchte er noch, Kleingewerbe dort anzusiedeln. Aber ihm fehlt etwas Entscheidendes: Parkplätze. Also machte er das, was er eigenen Angaben zufolge am besten kann: Wohnungsbau. Jetzt bleibt nur noch das Erdgeschoss als Gewerbefläche erhalten. Aus dem großen Rest, zwei Vollgeschossen und einer künftigen Mansarddach-Ebene, sollen bis Mitte 2023 31 Mietswohnungen entstehen: moderne Grundrisse auf 40 bis 90 Quadratmetern, hell, Parkettböden.
Wenn das Beispiel Schule macht, könnten verlassene Gewerbeobjekte noch viel öfter dazu beitragen, die Wohnungsnot vor allem in Ballungsräumen zu lindern. Laut Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen ließen sich dadurch in Deutschland bis 2025 rund 235 000 zusätzliche Wohnungen schaffen. Man müsste kein wertvolles Bauland ausbeuten; die Bewohner könnten die vorhandene Infrastruktur nutzen, und Kommunen bräuchten nicht zusätzlich zu investieren.
Aber ein ehemaliges Kaufhaus umzubauen, Tausende Quadratmeter Raum neu zu ordnen, ist etwas anderes, als Oma ihr klein Häuschen herzurichten. Rosentritt steht im Obergeschoss, durch das der Wind pfeift, über ihm weißblauer Himmel. Er sagt: „Es gibt sehr viel aufzuarbeiten, was man so gar nicht sieht.“
Am Main hat Rosentritt vor einigen Jahren ein altes Lagerhaus in lauter Eigentumswohnungen verwandelt; wenn man ihn so hört, war das fast ein Klacks gegen das, was im Storg auf ihn wartete. Wo früher Waren wie auf einer breiten Bühne nebeneinander präsentiert wurden, braucht es Gänge und Flure, es braucht vernünftige Raumzuschnitte und vor allem braucht es: Licht.
Also machte sich Rosentritt munter daran, Mauern zu versetzen, Decken zu öffnen und die Fassade zu durchbohren. Er fand einen Dachstuhl aus Stahl, „sehr selten“, einen alten Tresor und – unter dem Dach – ein Monster aus Metall: die alte Lüftungsanlage. Wie ein Drache spie das riesige Gebläse Frischluft bis in alle Ritzen des Kaufhauses – mit aus heutiger Sicht verheerender Energiebilanz. Bis vor Kurzem verschlang das Haus allein 150 000 Euro Stromkosten im Jahr. Aber bei allen sichtbaren Alterserscheinungen konnte sich Rosentritt auf eines verlassen: In seinem Kern ist das Gebäude gesund.
Der Kitzinger Konsumtempel steht ziemlich nackt da
Die einstige Kathedrale des Konsums steht jetzt bis auf die Grundmauern nackt da. Allein die Entkernung hat den Bauherrn mehr als eine halbe Million Euro gekostet. Insgesamt wird das Projekt einen „hohen einstelligen Millionenbetrag“ verschlingen. Anfang November ging im Erdgeschoss der Filialist Rossmann, der vorletzte Mieter. Nur NKD ist jetzt noch da. „Das hat uns schon getroffen“, sagt Rosentritt über den unvermittelten Auszug.
Aber im Nachhinein war es besser so. Das Gebäude ist eine einzige Baustelle, Regen sickert ins Innere, und irgendwo fliegt immer eine Sicherung raus. Wie hätte er im laufenden Betrieb mit Flaschenzügen die alte Rolltreppe aus dem Gebäude hieven sollen?
Bleibt eine Frage: Rosentritt hätte das alles abreißen und neu errichten können, er hätte sich Zeit und Ärger gespart. Wieso hat er es nicht getan? „Aus zwei Gründen“, sagt er. Erstens hätte er „ein solches Monstrum“ an dieser Stelle nicht mehr hinstellen dürfen. Zweitens bekommt er für eine Sanierung steuerliche Vergünstigungen und staatliche Fördergelder. Später wird er noch einen dritten Grund nennen: „Solche Baustellen machen einfach viel mehr Spaß als Neubauten.“
Nein, das Internet ist nicht Schuld am reihenweisen Sterben der alten Kaufhäuser. Schuld daran ist, dass die meisten dieser Kaufhäuser ihre Kunden nicht mehr verstanden haben, und meinten mit Service wie in 1980 im Jahre 2000/2010 Kunden ansprechen zu können. Überraschung: natürlich hat das nicht funktioniert.
Der Niedergang des Einzelhandels wie hier ist vielerorts selbst verschuldet; dazu kommt häufig auch dann ein wenig ansprechendes, städtisches Umfeld und eine Kommunalpolitik, die für eine lebendige Innenstadt absolut keine tragfähige, moderne Vision hat.
Einige Kommunen machen erfolgreich vor, wie Einzelhandel in 2022 funktioniert. Vielleicht wird auch Kitzingen irgendwann dazu gehören. Dazu gehört aber auch, dass viele Vermieter endlich mal auf ihre Mondpreise für Ladenlokale verzichten müssen.