Siegfried Wilke ist in Kitzingen im Gedächtnis, weil er als Bürgermeister kurz vor Kriegsende mitgeholfen hat, die Stadt vor weiteren, unnötigen Verlusten und Zerstörungen zu bewahren. Er hatte mit anderen Honoratioren zusammen die deutschen Truppen überredet, die Stadt kampflos zu räumen, während die Amerikaner bereits mit dem Artilleriebeschuss begonnen hatten.
Wilke war von 1930 bis zu seiner Absetzung durch die Amerikaner im Jahr 1945 Bürgermeister der Stadt. Von 1952 bis 1958 war er dann Oberbürgermeister und unterlag erst bei der Wahl 1958 Oskar Klemmert. Wilkes Verdienste würdigte die Stadt, indem sie ihn 1961 zu seinem 70. Geburtstag zum Ehrenbürger ernannte. Auf Antrag seiner Tochter benannte 1991 der Finanzausschuss eine Straße nach ihm.
Blick auf Wilke hat sich geändert
Nun allerdings hat sich zumindest die offizielle Haltung der Stadt zu ihrem einstigen Oberhaupt geändert: Wilke gilt inzwischen "als Paradebeispiel eines Opportunisten" ohne "psychologische Distanz zur NSDAP", in deren Nähe er sich "in seinem Denken und Handeln" befand. So urteilt Doris Badel, Leiterin des Kitzinger Stadtarchivs nach ausführlichem Aktenstudium. Mehr noch: Wilke fungierte als "Unterstützer und Erfüllungsgehilfe des NS-Unrechtsstaates", wie Badel in der Vorlage für die kommende Stadtratssitzung am Donnerstag, 23. September, 18 Uhr, Alte Synagoge, schreibt. Wilke sei "Nutznießer" des NS-Regimes gewesen und habe sich durch Propaganda in dessen Dienst gestellt.
Ausgelöst hat die fünf Monate umfassende Recherche Badels ein Schreiben, das am 31. März dieses Jahres bei Oberbürgermeister Stefan Güntner einging. Darin hat sich Prof. Dr. Jochen Oppenheimer aus Lissabon ausführlich zu Wort gemeldet. Sein Anliegen: Es sei höchste Zeit, "die Siegfried-Wilke-Straße umzubenennen". Oppenheimer hatte selbst mehrere jüdische Verwandte in Kitzingen, die zur Zeit des Dritten Reichs deportiert und ermordet wurden.
Er lastet Wilke eine "Verstrickung" in den "Fall Benno Oppenheimer" an, Großcousin des Lissabonner Professors. Benno Oppenheimer sei 1933 "unter fadenscheiniger Begründung in Schutzhaft genommen" worden. Angeblich habe er Kommunisten unterstützt. Wilke habe nach Benehmen mit dem Stadtrat diese Inhaftierung veranlasst, was nach Worten Jochen Oppenheimers zu dieser Zeit weder die NSDAP noch die Polizei betrieben hätten. Vielmehr habe sich Wilke, später selbst Parteimitglied, mit Aktionen wie dieser "bei den Parteigenossen lieb Kind zu machen" versucht. Immerhin blieb er bis Kriegsende im Amt.
Nazi-Opfer nahm sich das Leben
Jochen Oppenheimer zitiert aus einer Zusammenfassung der Historikerin Elke Fröhlich: "Es gehörte schon eine gehörige Portion von Antipathie und Böswilligkeit dazu, diese Schutzhaftbegründung abzugeben." Trotz jahrelang anhaltender Bemühungen und vorliegender Ausreisepapiere sei es nicht gelungen, Benno Oppenheimer zu befreien. Von Dachau kam er nach Buchenwald und von dort nach Sachsenhausen, wo er sich, 30 Jahre alt, 1940 "aus Verzweiflung das Leben nahm", schreibt sein Großcousin.
Für Oppenheimer ist Wilke, trotz seiner "Retterrolle in den letzten Kriegstagen" und seiner "Teilnahme am Wiederaufbau der Stadt" "für öffentliche Ehrungen in deutschen Städten denkbar ungeeignet". Kitzingen sei das einzige fränkische Gemeinwesen, in dem "ein enthusiastischer, exponierter und der Reue vollkommen unzugänglicher NSDAP-Ortsgruppenleiter ebenso im Straßenbild geehrt und erinnert wird wie die vom Nationalsozialismus hingemordeten Mitbürger".
Alt-Oberbürgermeister Bernd Moser sieht nach Belegen in Gestapo-Akten zwar keine Schuld, die Wilke individuell zurechenbar sei, allerdings nennt er den Juristen Wilke "rechtskundig". Folglich hätte er wissen müssen, dass sein Handeln im Zusammenhang mit der Verhaftung Oppenheimers "ohne wirkliche Rechtsgrundlage" gewesen sei. Für Moser hätte Wilke anders handeln können. Stattdessen habe er als Bürgermeister im Unrechtsstaat "funktioniert" und ihn damit "tatkräftig gestützt". Somit sei er Vorbild für das Tun anderer geworden.
Alt-OB Moser verurteilt Wilke
"Siegfried Wilke war ein Büttel der Mächtigen des Nationalsozialismus", bilanziert Moser, "auch weil er selbst an der Macht bleiben wollte". Bemerkenswert ist für Moser, dass Wilke nach dem Krieg "nach kurzer Schamfrist" wieder Bürgermeister Kitzingens war. Moser urteilt: "Siegfried Wilke kann mit seinem Handeln keinen Ehrenplatz in unserem demokratischen, rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen beanspruchen."
Der Stadtrat wird daher am Donnerstag entscheiden, ob er die Umbenennung der Siegfried-Wilke-Straße vollzieht, wie nun von der Verwaltung vorgeschlagen. Vor einer ähnlichen Entscheidung stand 2015 die Staatliche Realschule, die nach dem Künstler Richard Rother benannt war, dem eine Nähe zum NS-Regime nachgesagt wird.
Die Wilke-Straße soll künftig den Namen von Dagmar Voßkühler tragen. Die ehemalige Lehrerin der St.-Hedwig-Schule Kitzingen wandte sich lebenslang gegen das Vergessen der Nazi-Verbrechen. Ihr Vater, Oberst Georg Hansen, war am Hitler-Attentat beteiligt und hingerichtet worden. Die Familien der Attentäter, darunter Voßkühler, kamen bis Kriegsende in ein Sammellager zur Umerziehung. Damit wäre die Umbenennung der Straße zugleich ein Symbol für eine neue Erinnerungskultur, wie sie die Stadt und der Förderverein ehemalige Synagoge inzwischen pflegen.
Unklar ist allerdings noch, ob die Stadt damit auch Siegfried Wilke nachträglich die Ehrenbürgerwürde aberkennt.
Irgendwann sollte Schluss sein, denn die Umbenennungen sind ein Fass ohne Boden.
Gibt es da nicht noch die Otto-Selzer-Straße zum Umbenennen? Ich wüsste auch schon jemanden, den man an seiner Stelle nehmen könnte.
Ich frage mich, wieso es in Deutschland Namen wie "Julius-Caesaer-Straße" oder "Napoleonstraße" gibt und sich niemand daran stört. Das waren doch Schwerverbrecher. Caesar hatte sich damit gerühmt, über eine Million Gallier umgebracht zu haben?
Was - das ist doch schon lange her? Stimmt.
So haben die Briten kein Problem damit, ein Denkmal für den "Bomber Harris" aufzustellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Harris
Nicht, dass ich dieses Denkmal gutheißen würde. Ganz im Gegenteil. Reißt erst mal dieses runter, bevor Ihr eine Straße umbenennt.
Siegfried Wilke und Arthur Harris kann man natürlich überhaupt nicht vergleichen. Ich will nur das Groteske an der Diskussion hervorheben.
Hier kann man z.B. nachlesen, wer sich wann zu was bekannt hat: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren
Von manchen spricht man heute noch geradezu "ehrfurchtsvoll"...
https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Martin_Schleyer
Dort sind nie Schandtaten geschehen und werden es auch nicht. Und die Städte und Straßen werden automatisch umbenannt.