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Kitzingen
Nazi-Vergangenheit: Kitzingen will Siegfried-Wilke-Straße umbenennen
In Kitzingen erinnert eine Straße an den verstorbenen Oberbürgermeister. Nun hat eine Aufarbeitung seiner Vergangenheit unrühmliches Verhalten in der Nazi-Zeit zutage gefördert.
Bürgermeister in Uniform: Dr. Robert Ley (vorn Mitte), Leiter der Deutschen Arbeitsfront, machte sich am 7. Juli 1936 ein Bild vom Baufortschritt der Siedlung in Kitzingen. Bürgermeister Siegfried Wilke (links dahinter) führte ihn stolz durch die Straßen. 
Foto: Repro Stadtarchiv Kitzingen | Bürgermeister in Uniform: Dr. Robert Ley (vorn Mitte), Leiter der Deutschen Arbeitsfront, machte sich am 7. Juli 1936 ein Bild vom Baufortschritt der Siedlung in Kitzingen.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

Siegfried Wilke ist in Kitzingen im Gedächtnis, weil er als Bürgermeister kurz vor Kriegsende mitgeholfen hat, die Stadt vor weiteren, unnötigen Verlusten und Zerstörungen zu bewahren. Er hatte mit anderen Honoratioren zusammen die deutschen Truppen überredet, die Stadt kampflos zu räumen, während die Amerikaner bereits mit dem Artilleriebeschuss begonnen hatten.

Wilke war von 1930 bis zu seiner Absetzung durch die Amerikaner im Jahr 1945 Bürgermeister der Stadt. Von 1952 bis 1958 war er dann Oberbürgermeister und unterlag erst bei der Wahl 1958 Oskar  Klemmert. Wilkes Verdienste würdigte die Stadt, indem sie ihn 1961 zu seinem 70. Geburtstag zum Ehrenbürger ernannte. Auf Antrag seiner Tochter benannte 1991 der Finanzausschuss eine Straße nach ihm.

Blick auf Wilke hat sich geändert

Nun allerdings hat sich zumindest die offizielle Haltung der Stadt zu ihrem einstigen Oberhaupt geändert: Wilke gilt inzwischen "als Paradebeispiel eines Opportunisten" ohne "psychologische Distanz zur NSDAP", in deren Nähe er sich "in seinem Denken und Handeln" befand. So urteilt Doris Badel, Leiterin des Kitzinger Stadtarchivs nach ausführlichem Aktenstudium. Mehr noch: Wilke fungierte als "Unterstützer und Erfüllungsgehilfe des NS-Unrechtsstaates", wie Badel in der Vorlage für die kommende Stadtratssitzung am Donnerstag, 23. September, 18 Uhr, Alte Synagoge, schreibt. Wilke sei "Nutznießer" des NS-Regimes gewesen und habe sich durch Propaganda in dessen Dienst gestellt.

Der frühere Kitzinger Bürgermeister Siegfried Wilke.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Der frühere Kitzinger Bürgermeister Siegfried Wilke.

Ausgelöst hat die fünf Monate umfassende Recherche Badels ein Schreiben, das am 31. März dieses Jahres bei Oberbürgermeister Stefan Güntner einging. Darin hat sich Prof. Dr. Jochen Oppenheimer aus Lissabon ausführlich zu Wort gemeldet. Sein Anliegen: Es sei höchste Zeit, "die Siegfried-Wilke-Straße umzubenennen". Oppenheimer hatte selbst mehrere jüdische Verwandte in Kitzingen, die zur Zeit des Dritten Reichs deportiert und ermordet wurden. 

Er lastet Wilke eine "Verstrickung" in den "Fall Benno Oppenheimer" an, Großcousin des Lissabonner Professors. Benno Oppenheimer sei 1933 "unter fadenscheiniger Begründung in Schutzhaft genommen" worden. Angeblich habe er Kommunisten unterstützt. Wilke habe nach Benehmen mit dem Stadtrat diese Inhaftierung veranlasst, was nach Worten Jochen Oppenheimers zu dieser Zeit weder die NSDAP noch die Polizei betrieben hätten. Vielmehr habe sich Wilke, später selbst Parteimitglied, mit Aktionen wie dieser "bei den Parteigenossen lieb Kind zu machen" versucht. Immerhin blieb er bis Kriegsende im Amt.

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Nazi-Opfer nahm sich das Leben

Jochen Oppenheimer zitiert aus einer Zusammenfassung der Historikerin Elke Fröhlich: "Es gehörte schon eine gehörige Portion von Antipathie und Böswilligkeit dazu, diese Schutzhaftbegründung abzugeben." Trotz jahrelang anhaltender Bemühungen und vorliegender Ausreisepapiere sei es nicht gelungen, Benno Oppenheimer zu befreien. Von Dachau kam er nach Buchenwald und von dort nach Sachsenhausen, wo er sich, 30 Jahre alt, 1940 "aus Verzweiflung das Leben nahm", schreibt sein Großcousin. 

Für Oppenheimer ist Wilke, trotz seiner "Retterrolle in den letzten Kriegstagen" und seiner "Teilnahme am Wiederaufbau der Stadt" "für öffentliche Ehrungen in deutschen Städten denkbar ungeeignet". Kitzingen sei das einzige fränkische Gemeinwesen, in dem "ein enthusiastischer, exponierter und der Reue vollkommen unzugänglicher NSDAP-Ortsgruppenleiter ebenso im Straßenbild geehrt und erinnert wird wie die vom Nationalsozialismus hingemordeten Mitbürger". 

Alt-Oberbürgermeister Bernd Moser sieht nach Belegen in Gestapo-Akten zwar keine Schuld, die Wilke individuell zurechenbar sei, allerdings nennt er den Juristen Wilke "rechtskundig". Folglich hätte er wissen müssen, dass sein Handeln im Zusammenhang mit der Verhaftung Oppenheimers "ohne wirkliche Rechtsgrundlage" gewesen sei. Für Moser hätte Wilke anders handeln können. Stattdessen habe er als Bürgermeister im Unrechtsstaat "funktioniert" und ihn damit "tatkräftig gestützt". Somit sei er Vorbild für das Tun anderer geworden. 

Nach Dagmar Voßkühler soll nun die Siegfried-Wilke-Straße benannt werden.
Foto: Michael Kämmerer | Nach Dagmar Voßkühler soll nun die Siegfried-Wilke-Straße benannt werden.

Alt-OB Moser verurteilt Wilke

"Siegfried Wilke war ein Büttel der Mächtigen des Nationalsozialismus", bilanziert Moser, "auch weil er selbst an der Macht bleiben wollte". Bemerkenswert ist für Moser, dass Wilke nach dem Krieg "nach kurzer Schamfrist" wieder Bürgermeister Kitzingens war. Moser urteilt: "Siegfried Wilke kann mit seinem Handeln keinen Ehrenplatz in unserem demokratischen, rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen beanspruchen."

Der Stadtrat wird daher am Donnerstag entscheiden, ob er die Umbenennung der Siegfried-Wilke-Straße vollzieht, wie nun von der Verwaltung vorgeschlagen. Vor einer ähnlichen Entscheidung stand 2015 die Staatliche Realschule, die nach dem Künstler Richard Rother benannt war, dem eine Nähe zum NS-Regime nachgesagt wird.

Die Wilke-Straße soll künftig den Namen von Dagmar Voßkühler tragen. Die ehemalige Lehrerin der St.-Hedwig-Schule Kitzingen wandte sich lebenslang gegen das Vergessen der Nazi-Verbrechen. Ihr Vater, Oberst Georg Hansen, war am Hitler-Attentat beteiligt und hingerichtet worden. Die Familien der Attentäter, darunter Voßkühler, kamen bis Kriegsende in ein Sammellager zur Umerziehung. Damit wäre die Umbenennung der Straße zugleich ein Symbol für eine neue Erinnerungskultur, wie sie die Stadt und der Förderverein ehemalige Synagoge inzwischen pflegen.

Unklar ist allerdings noch, ob die Stadt damit auch Siegfried Wilke nachträglich die Ehrenbürgerwürde aberkennt.

 
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  • Liebe Stadträte, Sie sollten sich die Frage stellen: Was hat der Kitzinger Bürger davon ? Das sollte im Focus Ihrer Politik liegen, nicht Ihre Ideologie. Vorschlag: Machen sie eine Abstimmung aller Kitzinger Bürger dazu.
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  • roxy@
    Zum Glück gibts in Kitzingen kein "Ludwig-Thoma" Gymnasium oder Straßenbenennung, wie anderswo, sonst müssten diese auch umbenannt werden. Wer hat`s gewußt?
    Irgendwann sollte Schluss sein, denn die Umbenennungen sind ein Fass ohne Boden.
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  • eboehrer@gmx.de
    Sehr gute Idee, die Straße nach Dagmar Voßkühler zu benennen.
    Gibt es da nicht noch die Otto-Selzer-Straße zum Umbenennen? Ich wüsste auch schon jemanden, den man an seiner Stelle nehmen könnte.
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  • delago
    Ich denke, irgendwann sollte einmal Schluss sein. Sonst gehen uns noch die Straßennamen aus.

    Ich frage mich, wieso es in Deutschland Namen wie "Julius-Caesaer-Straße" oder "Napoleonstraße" gibt und sich niemand daran stört. Das waren doch Schwerverbrecher. Caesar hatte sich damit gerühmt, über eine Million Gallier umgebracht zu haben?
    Was - das ist doch schon lange her? Stimmt.
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  • delago
    P.S. andere Länder haben ein weniger verkrampftes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit.
    So haben die Briten kein Problem damit, ein Denkmal für den "Bomber Harris" aufzustellen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Harris
    Nicht, dass ich dieses Denkmal gutheißen würde. Ganz im Gegenteil. Reißt erst mal dieses runter, bevor Ihr eine Straße umbenennt.

    Siegfried Wilke und Arthur Harris kann man natürlich überhaupt nicht vergleichen. Ich will nur das Groteske an der Diskussion hervorheben.
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  • deweka
    Man könnte hier in Schweinfurt den Schuttberg in „Sir Arthur Harris Gedächtnispark“ umbenennen um seinen Beitrag zur Umgestaltung der Stadt zu würdigen.
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  • traumfrau
    Wer vor ca. 85 Jahren die falsche Entscheidung in seinem Leben getroffen hat, wird HEUTE verurteilt? Was war mit den vielen NSDAP- Mitgliedern, denen teils hohe Würden und Ämter zuteil wurden?

    Hier kann man z.B. nachlesen, wer sich wann zu was bekannt hat: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren

    Von manchen spricht man heute noch geradezu "ehrfurchtsvoll"...
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  • popp.58
    siehe auch z.Bsp. hier

    https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Martin_Schleyer
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  • Franzjosef
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  • RGPBR@aol.com
    Prof. Dr. Jochen Oppenheimer aus Lissabon verlangt eine Umbenennung. so ein Schmarren es kann doch nicht sein das vom Ausland aus bei uns bestimmt wird was zu tun und zu lassen ist, es ist jetzt einfach einmal an der Zeit damit Schluss zu machen
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  • vascodagama
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  • Arcus
    Umbenennung der Straße und Entzug der Ehrenbürgerwürde und das so schnell als möglich.
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  • Franken48
    Gehts noch, nein schlimmer kann es nicht mehr werden. Liebe Stadträte macht diesen Unfug, nicht mit.
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  • thomashemmerich@web.de
    Ich kann das bald nicht mehr hören und lesen. Warum überhaupt benennt man Straßen und Plätze überhaupt nach Personen? Muss das sein? Angesichts der vielen umbenennungen in den letzten Jahren sicherlich nicht.
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  • Rudolf Schulz
    Schafft endlich dieses Naziland ab, gliedert es nach Polen, Russland oder Frankreich ein.
    Dort sind nie Schandtaten geschehen und werden es auch nicht. Und die Städte und Straßen werden automatisch umbenannt.
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  • th.faust@gmx.de
    🥱
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