Gewinnen und Verlieren liegt nicht nur im Sport oft nah beieinander. Auch in punkto Kastanienhof trifft dieser Grundsatz zu: Die Stadt Kitzingen verliert eine Gaststätte mit schönem Biergarten, gewinnt aber ihre erste Tagespflege für Senioren. Und diese können sich dann im Sommer einen schönen Platz unter den Schatten spendenden Kastanien aussuchen. Nicht nur darauf freut sich Jolanta Uschok, die die Einrichtung betreibt. "Ich hab' hier ganz viel Liebe reingesteckt", sagt die 59-Jährige beim Tag der offenen Tür während eines Rundgangs durch das renovierte Erdgeschoss.
Zwar stehen dort noch Tische unterschiedlicher Größe, an denen künftig Frühstück und Mittagessen serviert wird, aber eben nicht mehr für Kneipengänger. Die große Theke ist verschwunden, der Durchgang zur offenen Küche vergrößert. In den Nebenraum rechter Hand vom Eingang sind Sessel, Sofas und ein Klavier eingezogen. Neu ist der Durchbruch von diesem Raum aus weiter nach hinten, wo zwei kleinere Räume Rückzugsmöglichkeiten bieten. Ein Architekt hatte dort noch bis Oktober 2020 sein Büro. Nun stehen die kompletten 300 Quadratmeter des Erdgeschosses für die Tagespflege zur Verfügung.
Soziale Kontakte für demente Menschen
Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr werden dort künftig bis zu 35 ältere Menschen versorgt. Sich unterhalten, spielen, basteln oder – wer es kann – gerne selbst Klavier spielen sollen die hilfsbedürftigen Senioren dort tagsüber. Zudem könnten sie, erläutert Jolanta Uschok, in der Küche mitarbeiten: Salat zupfen, Kuchen rühren. Ein großer Tisch in der Küche steht dafür schon bereit. Vor allem, sagt die Chefin, sei es gerade jetzt während der Corona-Panmdemie wichtig, die Angehörigen zu entlasten. "Demente Menschen brauchen soziale Kontakte, sie brauchen Beschäftigung."
Die gelernte Krankenschwester weiß, wovon sie spricht. Seit 36 Jahren lebt und arbeitet die gebürtige Oberschlesierin in Deutschland, davon über 20 Jahre in der Würzburger Rotkreuzklinik. Seit fast fünf Jahren betreibt Uschok die Tagespflege im ehemaligen Café Schönblick im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld, zudem einen ambulanten Pflegedienst mit 40 Mitarbeitern in Würzburg. Rund 60 Mitarbeiter hat sie bislang, die Tagespflege in Kitzingen soll angesichts der Pandemie und des daraus folgenden Hygieneplans langsam aufgebaut werden. "Meine Familie gibt mir viel Kraft", sagt sie mit Blick auf dieses neue Standbein und strahlt dabei den Mann an ihrer Seite an: Dr. Roland Schmitt, ein Gynäkologe im Ruhestand.
Rosin riet zum Steakhaus
Von seinem früheren Kollegen aus Kitzingen, Dr. Wolfgang Weber, kam die Idee zur Tagespflege im Kastanienhof vor rund eineinhalb Jahren. Zu dem Zeitpunkt hatte "Das Steakhaus im Kastanienhof" bereits geschlossen. Anfang 2018 hatte Sternekoch Frank Rosin von der Fernsehsendung "Rosins Restaurants" dem damaligen Pächter-Ehepaar noch zur Umwandlung des fränkischen Gasthofs in eben dieses Steakhaus geraten. Doch auch die Aufmerksamkeit per Fernsehkamera konnte den Fortbestand des Kastanienhofs als Gaststätte nicht retten. Ein gutes Jahr später war endgültig Schluss mit der rund 150 Jahre alten Tradition (siehe Infokasten).
Es sei schwierig, überhaupt noch Pächter zu finden, die das ordentlich betreiben, sagt Weber am Telefon. "Darum habe ich mich vom Konzept Gastronomie im Kastanienhof verabschiedet." Er finde das auch sehr schade, aber er habe nach vielen Pächterwechseln "den Mut verloren". Seit dem Jahr 1989 gehört ihm das Gebäude, in den oberen Stockwerken befinden sich Mietwohnungen.
Für die behindertengerechte Renovierung zur Senioreneinrichtung habe er als Eigentümer viel Geld investiert, ebenso wie Jolanta Uschok. Beide sind sich einig, dass die Tagespflege dort langfristig Bestand haben soll. Die Hin- und Rückfahrt übernimmt der Fahrdienst Röder aus Großlangheim, das Essen liefert der Catering-Service Wolz aus Estenfeld.
Schon jetzt freut sich Uschok auf den Frühling. "Die Garnituren für draußen haben wir schon gekauft." Auf dem Podest im hinteren Teil des Gartens sollen dann Blumen wachsen und Kletterrosen über das neue Tor. Dieses schließt den breiten Zugang in der Hecke und gibt dem einst beliebten Biergarten eine neue Bedeutung: Er wird ein sicherer Aufenthaltsort im Freien für die Gäste der Tagespflege.