
Otto hat jede Menge Narben: am Hals, am Maul, unter dem Fell. Warum er trotz der Misshandlungen eine Seele von Hund ist? Seine Retter können es sich nicht erklären. Sie staunen darüber immer wieder aufs Neue. Dieses Jahr überraschte Otto sie als Schauspieler auf der Freilichtbühne. Im großen Kitzinger Historienspiel stöberte er den Schleier von Prinzessin Hadeloga auf – und leitete damit die Gründung Kitzingens ein.
Wie alt Otto ist? Sein Frauchen zuckt mit den Schultern. „Als wir ihn vor fünf Jahren zu uns genommen haben, hat die Tierärztin ihn auf zwölf geschätzt“, sagt Beate Zepter. „Damals konnte er sich kaum auf den Beinen halten.“ Heute läuft der schwarze Labrador-Mischling schwanzwedelnd umher. Dass er kein junger Hund mehr ist, zeigt sein weißer Bart. Seine weisen Augen verstärken den Eindruck eines Grandseigneurs.
So unbekannt wie sein wahres Alter ist sein Geburtsort. Und die Antwort auf die Frage, woher er seine Narben hat. „Unsere Tierärztin meint, seine Verletzungen schauen aus, als hätte er Hundekämpfe austragen müssen“, berichtet Beate Zepter. Sie zeigt auf seine linke Oberlippe, aus der ein Stück ausgerissen oder ausgebissen wurde, und auf den gezackten Rand seiner Ohren, denen ebenfalls Teile fehlen. Wenn man ihm übers Fell streicht, spürt man Erhöhungen und Vertiefungen von vernarbtem Gewebe.
Vielleicht, mutmaßt Zepter, war Otto für die illegalen Kämpfe nicht gut zu gebrauchen? „Vielleicht war er schon immer so friedfertig und hat einfach nicht richtig gekämpft?“
„Vielleicht wurde er aber auch deshalb nicht getötet, weil er eben so freundlich ist“, wirft Iris von Crailsheim ein. Die Tierschützerin weiß aus den Tierheim-Akten, dass Otto, der damals noch Hank hieß, drei Jahre lang in einem Zwinger im Elsaß saß. „Hunde in Einrichtungen wie dieser werden normalerweise innerhalb von zwei Wochen umgebracht.“ Von Crailsheim gehört dem Vorstand des Tierschutzvereins in Kitzingen an. Dort landete Otto, nachdem eine Tierschützerin den Hund aus der Station gerettet und nach Deutschland mitgenommen hatte.
Zunächst sah es aus, als habe der Labradorrüde das große Los gezogen: Ein Ehepaar adoptiere den schwarzen Vierbeiner. Doch nach knapp einem Jahr trennte sich das Paar. Der Hund kam erneut ins Tierheim.
„Als er die Box dort sah, bekam er Panik. Er wehrte sich nach Leibeskräften. Es war ganz schrecklich“, erinnert sich von Crailsheim. „Als erster und einziger Hund in unserem Tierheim schaffte er es, sich nachts durch die verschlossene Klappe zum Außengehege durchzuquetschen… Er hat schrecklich gezittert. Es war klar, dass er schnell hier raus muss.“ Also informierte das Tierheim-Team all diejenigen, die in der Vergangenheit ein Herz für arme Tiere bewiesen hatten. „Und ich konnte wieder mal nicht nein sagen“, erzählt Beate Zepter lachend. „Zum Glück!“
Tierische Treue
Als die heute 73-Jährige und ihr Lebensgefährte Georg Sulzbacher nach einiger Zeit einmal in Urlaub fuhren und Iris von Crailsheim auf Otto aufpasste, erlebte die Hundesitterin Rührendes: „Statt mit mir und meinen Hunden Gassi zu gehen, blieb Otto stoisch vor der Tür seines neuen Zuhauses in Hoheim sitzen. Er wollte wohl keinesfalls die Rückkehr seines Frauchens verpassen.“
Und die Liebe ist gegenseitig. Sobald Otto seinen Kopf in ihren Schoß legt, streichelt Beate Zepter ihm übers Fell. Sie sagt: „Der Otto ist so ein toller Hund! Wir haben es keine Sekunde lang bereut, dass wir ihn zu uns geholt haben. Er bringt so viel Fröhlichkeit in unser Haus!“
Heuer hatte Otto ganz besonders viele Lacher auf seiner Seite. Im Kitzinger Historienspiel, der Häckerchronik, die alle fünf Jahre aufgeführt wird, durfte Otto den Hund Marillo des Hirten Kitzo spielen. An der Stelle, an der Marillo Prinzessin Hadelogas Schleier fand, wurde 745 das Kloster und damit die Stadt Kitzingen gegründet.
Otto ließ sich von 80 menschlichen Schauspielkolleg*innen nicht aus der Ruhe bringen und spielte den Schleierfinder mit Verve. Als er allerdings der Meinung war, dass sein Hirte ihm nicht die richtigen Leckerli zur Belohnung reichte, blieb er stoisch mitten auf der Bühne stehen – und wartete. Erst ein gewaltiges Stück Fleischwurst und später ein zartes Stück Käse überzeugten den Gourmet, die Bühne nach vollbrachtem Werk auch wieder zu verlassen – unter dem Jubel der Zuschauer.
„Er hat einfach Charakter“, sagt Beate Zepter über ihren Vierbeiner. Wenn sie ihn krault, spürt sie noch immer die Narben auf seiner Haut. Ottos Augen aber schauen glücklich und zufrieden in die Welt. „So wird es weitergehen, so lange er lebt.“
Mehr "Ehrlichkeit" wie so ein Tier an Liebe gibt, kann man in keinen anderen "Augen" lesen (denkt mal darüber nach)?