So langsam kommen sie ganz schön ins Schwitzen, die beiden Männer, die sich in der Siedlungs-Grundschule gegenüberstehen. Bewaffnet mit einem glänzenden Schwert, geschützt durch eine düstere, aber moderne Rüstung. Archaisch kommt dagegen das daher, was sie tun: Sie üben sich in den Historischen Europäischen Kampfkünsten. Regelmäßig. In einer Schulturnhalle mitten in Kitzingen. Und sie freuen sich auf neue Kämpfer und laden im Mai zum Schnuppern ein.
Schwer atmend kreisen die beiden Hünen in Rot und Schwarz über den grünen Hallenboden, belauern sich, täuschen, zucken. Mit einem schnellen Ausfallschritt ist Dominik plötzlich ganz nah bei Michi, in Sekundenbruchteilen zieht er das surrende Schwert über seinen Kopf und versetzt seinem Gegenüber einen klirrenden Hieb. Doch der weiß sich zu wehren. Blockt ab. Schlägt zurück. Bis das bestimmende "Halt!" erklingt.
Für jeden Kampf gibt es Regeln
Es gibt schließlich Regeln, und die setzt ein Kampfrichter durch. "Schlag von oben für zwei Wunden", erklärt der Mann, der keine Schutzausrüstung braucht, sondern einen ausgewaschen grauen Anzug aus dickem Baumwollstoff trägt. Mit nur einem Handzeichen trennt er die Kämpfer und führt sie nach der Bepunktung mit einem "Und los!" wieder zusammen.
Es ist Andreas Fuchs, Leiter der Kampfkunstschule "Schwert & Bogen". Dort werden Disziplinen wie Kickboxen und Jiu Jitsu gelehrt und trainiert, alles im Rahmen der Historischen Europäischen Kampfkünste, Historical European Martial Arts oder auch HEMA. Auf den Anfängerkurs, der im Mai startet, will Fuchs aber auch mit Schlagworten wie "Hauen und Stechen" aufmerksam machen – und betont gleichzeitig, dass HEMA viel mehr sind als das.
"Es steht eine Philosophie dahinter, eine Lebenseinstellung", erklärt der Diplom-Sozialpädagoge:
Denn trotz aller Regeln, trotz der modernen Ausrüstung geht es bei diesem außergewöhnlichen Hobby vor allem um den Kampf mit dem langen Schwert. Um ein Duell, das im Mittelalter auf Leben und Tod geführt wurde. Und das die Schüler von "Schwert & Bogen" zumindest nachstellen.
Schlagen, Treten, Werfen sind im Kampf erlaubt
Die Motivation, das zu tun, ist ganz unterschiedlich. Die einen kommen aus der asiatischen Kampfkunst, haben Judo, Karate oder Kickboxen betrieben – wie zum Beispiel Dominik. Der 51-Jährige musste mit Letzterem aus Altersgründen aufhören und fand in den HEMA seine neue Erfüllung.
Inzwischen ist der Ingenieur für Umwelttechnik selbst Lehrer und gibt seine Erfahrung aus dem Kickboxen weiter an die Kollegen. Denn das Schlagen und Treten ist während eines historischen Schwertkampfes ebenso erlaubt wie das Werfen: egal ob den Gegner zu Boden oder das Schwert in seine Richtung. Wer trifft, verpasst dem anderen eine Wunde, wer zuerst eine verabredete Zahl von Wunden hinnehmen musste, verliert. Aber zumindest nur den Kampf und nicht, wie im Mittelalter, sein Leben.
Und doch fühlt man sich in diese Zeit zurückversetzt. "Wir orientieren uns an alten Quellen", sagt Fuchs. Er ließe sich besonders durch die Lehren von Meister Lichtenauer inspirieren und ergänze sie zusammen mit seinem Team durch eigene Erfahrungen aus anderen Kampfkunstsystemen. Da die Schriften der alten Meister für erfahrene Schwertkämpfer – Ritter übten seit ihrem 7. Lebensjahr – geschrieben wurden, versuche die Schule, die Grundlagen aus fortgeschrittenen Techniken zu konstruieren und neuen Mitstreitern auch ohne Vorkenntnisse einen Einstieg zu ermöglichen.
Besondere Menschen in besonderer Stimmung
So hatte unter anderem auch Student Michael den Historischen Schwertkampf für sich entdeckt. Als Schautänzer, zum Beispiel an Fasching, ging ihm während der Corona-Zeit die Bewegung ab, und so suchte er im Internet nach einer Alternative. "Ich habe mir das wahrscheinlich Abgefahrenste ausgesucht", lacht der zukünftige Diplom-Ingenieur, ist aber auch sicher, dass er nichts Besseres hätte finden können. "Es ist anstrengend", sagt er und wischt sich demonstrativ den Schweiß von der Stirn. "Und es ist besonders. Die Menschen sind besonders. Es ist einfach eine besondere Stimmung."
Die hat auch Andreas gefesselt. Er kommt aus der Mittelalter-Szene und ist fasziniert von der Urgewalt des Schwertkampfes, die hier freigesetzt und gleichzeitig wie selbstverständlich in geregelte Bahnen gelenkt wird. "Ich habe mich hier von Beginn an wohlgefühlt. Die Menschen sind so nett. Alle passen aufeinander auf. Das hat mich sofort gecatcht." Verständlich, vor allem, weil die HEMA auch keinen Unterschied zwischen Alt und Jung, Groß und Klein, Mann und Frau machen:
Trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen
Zum Beispiel auch verschiedene Grade erreichen, an Meisterschaften teilnehmen, in einen Nati0nalkader aufgenommen werden. Knapp 90 Gruppen sind im Deutschen Dachverband für Historisches Fechten (DDHF) gelistet, wobei diese Kampfkunst noch relativ jung ist und sich erst in den frühen 2000er-Jahren aus dem Sportfechten entwickelt hat.
Die Kombination mit der Geschichte sei es aber, was die Schwertkämpfer an ihre Disziplin bindet, sagt Fuchs. "Das hat nichts mit dem edlen, eleganten Fechtkampf zu tun." Beim Historischen Schwertkampf bleibe man nah an der Realität, an der echten Geschichte, an den Geschichten. "Wir stellen das nach, was passierte, wenn die Ritter sich vor dem Schloss zum Hauen und Stechen trafen." Düster und doch modern. Kampf bis aufs Blut, nur ohne Blutvergießen –und auch für blutige Anfänger geeignet.