
Hinter dem großen Holztor liegt ein kleiner Innenhof. Geschützt von der Garage auf der einen und der Scheune auf der anderen Seite führt der Weg zu einem zweigeschossigen Haus. Bis zu sieben Opfer von schwerer organisierter, sexualisierter Gewalt sollen hier ab diesem Sommer Zuflucht finden können.
Der gemeinnützige Verein "Wellen brechen" um seine Vorsitzende Ulrike von Schultzendorff hat das Haus in der Nordheimer Zehnthofstraße 2 gekauft, um hier das – ursprünglich in Mainbernheim vorgesehene – Auszeithaus für traumatisierte Frauen einzurichten.
Für wen ist das Auszeithaus gedacht?
Frauen, die zum Teil seit frühester Kindheit schwere organisierte, sexualisierte Gewalt erlebt haben, stecken oft in einem Teufelskreis aus Angst, Scham- und Schuldgefühlen fest. Oft haben sie über Jahrzehnte durch Macht- und Autoritätsmissbrauch schlimmste sexuelle Demütigungen und Leid erfahren. "Sie sollen in dem Auszeithaus die Möglichkeit bekommen, ihrem belastenden Alltag – und den Tätern – zumindest übergangsweise zu entkommen und in einer sicheren Umgebung zu sich zu finden", erklärt die Ärztin Ulrike von Schultzendorff.

Wie ordnen die Fachleute des etablierten Würzburger Vereins Wildwasser das Projekt ein?
Wenn es um sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen geht, ist der Würzburger Wildwasser e. V. erster Ansprechpartner in der Region. Das hauptamtliche Team aus sechs Sozialarbeiterinnen mit therapeutischer, beraterischer oder traumasensibler Zusatzausbildung sowie zwei Psychologinnen teilt auf Anfrage mit, dass es das "außergewöhnliche Engagement" schätzt, mit dem der Verein "Wellen brechen" sich für schwer geschädigte Betroffene von organisierter Kriminalität einsetzt. Wildwasser betont auch, dass man den Bedarf an psychologischer Unterstützung bei solchen Frauen nicht unterschätzen dürfe. Man wünsche den Förderinnen und Nutzerinnen, dass das Konzept aufgeht und ein Ort für Gewaltfreiheit und Menschenwürde entsteht.
Gibt es staatliche Fördermittel für so ein Haus?
"Leider nein", sagt die Medizinerin aus Castell. Gemeinsam mit einer langjährigen Patientin, die selbst von schwerer sexueller Gewalt betroffen war, entwickelte die 70-Jährige die Idee des Auszeithauses. Eine ähnliche Einrichtung im Allgäu war für ihre Patientin "eine Rettungsinsel", wie sie selbst sagt.
Wie hat der Verein das Haus finanziert?
Ulrike von Schultzendorff, die viele Jahre lang in der Mainbernheimer Gemeinschaftspraxis Kellermühle tätig war, hat Ende 2023 begonnen, Geld für das Projekt zu sammeln. Es gab verschiedene Benefizaktionen, Spendenaufrufe und eine Spenden-Challenge, bei der eine Privatperson jede Zuwendung bis zu einem Betrag von 50.000 Euro verdoppelte.
Innerhalb von 15 Monaten nahm der Verein "Wellen brechen" auf diese Art 430.000 Euro ein. "An Einzelspenden war alles dabei, von 7,77 Euro bis zu 100.000 Euro", sagt Ulrike von Schultzendorff. Mit dem Geld sowie mit zinslosen Krediten konnte der Verein das Haus in Nordheim kaufen.
Wie werden die Kosten des laufenden Betriebs gedeckt?
"Durch Spenden von Privatpersonen, Firmen und Stiftungen sowie Mitgliedsbeiträge", erklärt von Schultzendorff. "Wir werden als Verein immer auf Unterstützung angewiesen sein", macht sich die Vorsitzende nichts vor.

Warum entsteht das Auszeithaus nun in Nordheim und nicht in Mainbernheim?
Das hat finanzielle Gründe. "Unterm Strich war das Haus in Nordheim von allen ins Auge gefassten Objekten das kostengünstigste", sagt von Schultzendorff.
Wann wird das Auszeithaus eröffnen?
"Als Erstes müssen wir noch die Einliegerwohnung ausbauen", erklärt die Casteller Ärztin. Die bisherigen Eigentümer ziehen bis Ende Juni aus. "Dann stehen noch ein paar Bauarbeiten an. Voraussichtlich im August 2025 werden wir das Haus dann eröffnen können." Sie betont auch: "Das Haus hat viel Potenzial. In der geräumigen Scheune gibt es Platz für Kreativität, und die Hälfte des Daches ist nicht ausgebaut." Sollte es in ferner Zukunft weiteren Platzbedarf für Frauen geben, wäre man gut aufgestellt.
Wie ist das Haus aufgebaut und strukturiert?
Es gibt sechs Schlafzimmer, mehrere Wohnräume und zwei Bäder, zudem eine Einliegerwohnung für die künftige Hausverwalterin – von Schultzendorffs Patientin, die den Stein des Auszeithauses ins Rollen gebracht hat. "Ohne sie könnten wir das Ding hier nicht stemmen", sagt von Schultzendorff. Ähnliche traumatische Erfahrungen verbinden: "Im Auszeithaus lassen sich Trigger und Flashbacks vermeiden, die Frauen finden eine geschützte Atmosphäre vor."
Infos: Ansprechpartnerin und Vorsitzende des "Wellen brechen e.V." ist Ulrike von Schultzendorff, Mail: wellen-brechen@t-online.de, www: wellen-brechen.de