Wohl kaum ein Handwerk hat eine so widersprüchliche Entwicklung genommen wie das der Bäckerinnen und Bäcker. Einerseits mangelt es gerade in Innenstädten nicht an Bäckereien, Cafés und Backshops. Andererseits sind es meist Filialen regionaler und überregionaler Ketten. Kleine Handwerksbetriebe, die ihre Brote noch selbst herstellen, sind nicht nur rund um Kitzingen Mangelware.
Ausstellungsraum statt Hinterzimmer
Einer davon steht im Marktbreiter Altort. "Der Bäcker ist eigentlich ein kreativer Beruf und die Leute sollen das sehen", erklärt Harald Eichinger sein Gegenmodell. Mit ihrer durchgehenden Fensterfront wirkt seine Bäckerei fast wie ein Atelier. Die Backstube ist hier kein Hinterzimmer, sondern Ausstellungsfläche seiner Tätigkeit.
Passanten können den 65-jährigen Iphöferbeobachten, wie er Teig mischt, rührt und knetet; Brote formt, anfeuchtet und mit Körnern bestreut; Kuchenteig ausrollt, belegt und verziert. Er läuft dabei zwischen der großen Arbeitsfläche, dem kleinen Ofen und einer Handvoll Küchengeräten ununterbrochen hin und her.
Gesprächigkeit ist Kernkompetenz
"Jeder Kleinbetrieb ist auch ein Sozialbetrieb", sagt Eichinger. Mit seinem offenen Konzept möchte er die Leute aus dem Dorf einladen, hereinzukommen, Kaffee zu trinken, einen Plausch zu halten. Auch Helga Weber steht inzwischen in der Backstube. Was es mit dem Römerbrot auf sich habe, möchte sie wissen – und einen Schokoladenkuchen für Ostern bestellen.
Die 77-Jährige ist erst kürzlich nach Marktbreit gezogen, um näher bei ihrer Familie zu wohnen. Eichinger unterhält seine Gäste ausschweifend und ohne mit dem Rühren und Kneten aufzuhören. So erklärt er Helga Weber nicht nur das Römerbrot ("das haut rein"), sondern gleich noch, worauf es beim Weitsprung (den Anlauf) und beim Wandern in den Dolomiten ankommt (das richtige Schuhwerk).
Bäcker und Kundin diskutieren die modernen Essgewohnheiten, fehlende Zeit zum Kochen und Backen und die Lebensmittelindustrie insgesamt: "Häufig wird bei der Produktion der Bezug zur Natur vergessen", fasst Weber das Problem für sich zusammen.
70 Jahre Kitzinger Kätherle
Eichinger stimmt zu. Viele Zutaten wie Mehl beziehe er deshalb von lokalen Produzenten. Heute sei das Backen zudem meist standardisiert und automatisiert, trauert er dem klassischen Handwerk nach. "Qualität braucht seine Zeit" laute dagegen sein Motto. Er arbeitet daher vor allem auf individuelle Vorbestellung. Nur eine Handvoll Brote, Kuchen und Stückchen verkauft seine Lebensgefährtin an einer kleinen Theke.
Die Haupteinnahmequelle des Betriebs ist das Kätherle. Das S-förmige Traditionsgebäck wurde 1953 vom Kitzinger Bäcker Hans Eichinger als Snack zum Schoppen Wein erfunden. In dessen Familienbetrieb arbeitete Harald Eichinger, der nicht aus der Familie stammt und früher einen anderen Nachnahmen trug, 33 Jahre lang.
Dort lernte er seine Frau kennen. Er übernahm ihren Familiennamen, um mit ihr auch das Geschäft der Schwiegereltern zu übernehmen. Aber sowohl die Ehe als auch die Übernahme scheiterten, erzählt er. Das Familienrezept für das Kätherle im Kopf, hat Harald Eichinger stattdessen seine eigene Bäckerei gegründet. Inzwischen bietet er das salzige Gebäck zum Wein über persönliche Kontakte von München bis Berlin an.
Nachdem er seine Bäckerei in Prichsenstadt nach dem Verkauf des Hauses 2021 aufgegeben hatte, fand er im Oktober letzten Jahres die leerstehenden Räume in Marktbreit. Sein kleiner Betrieb trage sich wirtschaftlich selbst, sagt er. Dank des Kätherles, aber auch weil der einfache Betrieb ohne Angestellte und mit wenigen, teils gebraucht gekauften, Geräten keine hohen Kosten verursache.
Keine Angst vor der Selbständigkeit
Insgesamt täusche der Eindruck, dass nur noch große Bäckereiketten wirtschaftlich überleben könnten, sagt er. Das Gegenteil sei der Fall: "Die Kleinen haben immer überlebt." Sie seien mit ihrer hohen Qualität krisenresistenter. "Vor allem große Bäckereien müssen zumachen. Die kleinen schließen, weil sie keine Nachfolge finden."
Die Gründe dafür, dass nur noch wenige Bäckerinnen und Bäcker ein eigenes Geschäft aufmachen oder übernehmen, sieht er auch im finanziellen Risiko und bürokratischen Aufwand. "Viele haben zu große Angst, sich selbständig zu machen", sagt er. Um auch als Rentner noch beschäftigt und mit den Leuten im Kontakt zu sein, hat Eichinger die Bäckerei in Marktbreit eröffnet – "aus Spaß" an der Arbeit, wie er selbst sagt.