Die drei Männer, die an einem viel zu warmen Februar-Morgen um den viel zu großen Tisch eines Wirtshauses in Iphofen sitzen, könnte man leicht für Ausflügler halten. Sie trinken Cappuccino, essen Zupfkuchen, unterhalten sich angeregt. Aber auch wenn es so ausschaut: Sie sind nicht zum Vergnügen hier. Einer von ihnen müsste zu dieser Zeit eigentlich schon in der Küche stehen, der zweite ein großes Hotel mit Restaurant leiten, und der dritte genießt seinen freien Tag. Sie alle hätten Besseres zu tun, als anderthalb Stunden hier zu sitzen – und sich wieder einmal zu erklären in einer Debatte, die seit Jahren um die selbe Frage kreist: Bekommt man an einem normalen Werktag in Iphofen mittags etwas zu essen? Sie säßen nicht hier, wenn die Antwort ihrer Kundschaft darauf ein klares Ja wäre.
Eine Touristenstadt wie Iphofen braucht Gastronomie
Ein Artikel dieser Redaktion hat die drei hierhergebracht. Nicht zum ersten Mal sind sie darin als Teil des Problems benannt worden – dabei wollen sie Teil der Lösung sein. Lukas Rönninger, Inhaber und Küchenchef des Restaurants 99er Kulinarium, in dem das Gespräch stattfindet, Daniele Mian, Koch einer kleinen Pizzeria am Marktplatz, und Joachim Göpfert, Geschäftsführer des ersten Hauses am Platz. Es könnten noch ein paar mehr mit am Tisch sitzen, denn das Thema geht sie alle an: Gastwirte, Hoteliers, Betreiber von Cafés, Pensionen und kleinen Weinstuben, Angehörige einer Branche also, die in einem Touristenstädtchen wie Iphofen systemrelevant ist – und die gerade in einer Krise steckt, von der man nicht so genau weiß, ob man sich erst am Anfang befindet oder schon mittendrin.
Erst kürzlich hat der Branchenverband Dehoga eine neue Studie vorgestellt. Sie bestätigt, was viele längst fühlen und wissen: Vor allem auf dem Land wird das Wirtshaussterben in den nächsten Jahren weitergehen. Schon von 2008 bis 2018 ist die Zahl der Gastronomiebetriebe um 15 Prozent zurückgegangen: von 3476 auf 2985. Auch in Iphofen haben in den vergangenen Jahren Betriebe aufgegeben, andere werden folgen. Aber noch immer gibt es ein genügend großes Angebot. Im November hat mit dem „Weißen Ross“ – nahezu unbemerkt – sogar ein komplett neues Lokal geöffnet.
Mindestens vier Restaurants sind unter Mittag geöffnet
Von „Geisterstadt“ war in der Vergangenheit die Rede, von frustrierten Gästen, die vor allem mittags vor verschlossenen Lokalen standen und den Ort flohen, womöglich auf Nimmerwiedersehen. Und nun sagt Lukas Rönninger, ein entschlossener, angstfreier Jungunternehmer und Chef von 15 Angestellten: „Keiner muss hungrig heimgehen.“
Dass mit dem Weinbistro und der Vinothek derzeit gleich zwei Lokale in städtischem Besitz nicht verpachtet sind, könne man kaum den Wirten anlasten. Dass die hiesige Gastronomie um Hilfe rufe, wie im Artikel zu lesen stand, sei Unsinn. Dass der Iphöfer Bürgermeister im Sommer (und nun noch einmal) von einem „guten gastronomischen Angebot, allerdings erst ab 17 Uhr“ sprach, hat ihn und auch die Kollegen getroffen und geärgert.
Rönninger hat eine Liste mitgebracht, die das Gegenteil beweisen sollen. Auf ihr vermerkt sind täglich mindestens vier Lokale, die auch unter Mittag etwas zu essen anbieten. Sein Fazit: „Wir sind keine Geisterstadt, wir sind 18 funktionierende Betriebe.“
Rönninger ist ein Kind der Altstadt, schon seine Mutter betrieb das Café 99 in der Pfarrgasse, das er vor sieben Jahren in ein Restaurant wandelte. Seit 20 Jahren kenne er die Diskussionen, dass Iphofen nichts zu bieten habe. Dabei gebe es hier für jeden Geschmack etwas: Café, Weinstube, Pizzeria, Döner-Laden. Was es nicht gebe: eine Event-Gastronomie, „wo man bis in die Puppen Partyhopping machen kann“.
Seine Mutter hatte ihre Gäste im Café einst bis in die Nacht hinein bewirtet, um 2 Uhr noch Bratwürste gebraten – und damit unbewusst ein Anspruchsdenken befördert, das nun bleiern auf der ganzen Branche lastet, aber unter den herrschenden Bedingungen nur noch schwer noch zu erfüllen ist. „Vielleicht“, sagt Marion Rönninger heute, „sind wir an den Problemen teils selbst mit schuld.“
Das Anspruchsdenken der Gäste überfordert viele Wirte
Daran hat auch Joachim Göpfert schon gedacht. Göpfert ist Geschäftsführer des Hotels Zehntkeller, ein Name, der verpflichtet. Über Jahrzehnte hatte der Zehntkeller, ein Haus mit 100 Betten und 60 Angestellten, keinen Ruhetag, aber vor zwei Jahren ging es nicht mehr anders. Montags ist das Restaurant nun zu, an den anderen Tagen durchgehend geöffnet, von 12 bis 21.30 Uhr.
Von einem „extremen Wandel in der Gastronomie“ spricht Göpfert, und es sind genau jene Entwicklungen in der Gesellschaft, die auch seine Branche vor gewaltige Herausforderungen stellt. „Wir haben inzwischen alles rund um die Uhr zur Verfügung, können uns nachts den neuesten Film ansehen, wo wir früher zur Videothek mussten, und dieses Anspruchsdenken wird auch auf die Gastronomie übertragen.“ Diese Erwartungshaltung auf der einen Seite, ein sich verschärfender Kampf ums Personal auf der anderen Seite – das sind die auseinanderdriftenden Pole, die immer mehr Gastronomen nicht mehr zusammenbringen. Ob im Großen oder im Kleinen.
Daniele Mian ist Koch in der Pizzeria Friuli mit nur einer Handvoll Angestellten. Als er 1979 als Gastarbeiter von Italien nach Deutschland kam, war die Situation für Leute wie ihn noch komfortabel: „Man konnte in der Gastronomie mehr verdienen als in der Fabrik.“ Heute sei es umgekehrt. Um seinen Angestellten mehr zu bezahlen, müsste der Wirt für sein Schnitzel nicht 10, sondern 20 Euro verlangen, was wiederum der Gast nicht mitmache. So gehen der Branche mehr und mehr Arbeitskräfte verloren: in Bereiche, die besser bezahlt und weniger stressige Arbeitszeiten hat.
Um trotzdem Nachwuchs zu finden und sie für den Beruf zu begeistern, geht Joachim Göpfert verstärkt an Schulen, er lädt Jugendliche zu sich in den Betrieb ein. Und: Seit einigen Wochen schaltet er Werbung im Radio. Was das alles für den Gast bedeutet, hat Iphofens Tourismuschefin Claudia Bellanti kürzlich so formuliert: „Mittags irgendwo mit einer größeren Gruppe aufzukreuzen, ohne vorher reserviert zu haben, das wird künftig in keinem Ort mehr funktionieren.“
Ok ich hätte noch Döner essen gehen können, aber ansonsten wurde mir auch auf Nachfragen bei Einheimischen Passanten nichts geboten.