Rebstöcke gibt es schon lange auf dem Nordheimer Friedhof: filigrane Blätter, eingemeißelt in harten Stein. So zeigen viele Grabsteine die Verbundenheit der Winzergemeinde mit dem Wein. Seit knapp einem Jahr gibt es dafür noch eine andere Möglichkeit, gleich hinter dem Friedhof: In Bayerns erstem Friedweinberg in Nordheim am Main (Lkr. Kitzingen) kann man direkt unter Rebstöcken die letzte Ruhe finden. Und dafür muss man zu Lebzeiten nicht einmal Winzer gewesen sein.
Das ist auch Nordheims Bürgermeister Guido Braun nicht. Doch der gelernte Metallbaumeister hat mit seiner Idee vom Friedweinberg einen Nerv getroffen. Das Medieninteresse war riesig, als die Fläche mit 186 Rebstöcken im Dezember 2018 eingeweiht wurde. 14 Menschen haben sich seitdem dort bestatten lassen; 33 weitere Plätze sind reserviert. Nordheimer sind aber nicht darunter. Woran liegt das? Eine gute Idee angesichts einer sich wandelnden Bestattungskultur, aber nur für Mainschleifen-Fans und Weinliebhaber von auswärts?
Friedweinberg am Kreuzberg
Der Bürgermeister steht an einem kühlen Tag im Oktober mitten im Friedweinberg und erklärt, was seine Mitbürger von der neuen Bestattungsmöglichkeit halten. Der Wind schiebt Wolkenberge über den Kreuzberg hinter ihm. Nicht der berühmte Wallfahrtsort in der Rhön, sondern die gleichnamige Weinlage auf der Weininsel im Main umgibt die letzte Ruhestätte. Noch leuchten die Zeilen in kräftigem Grün, noch tragen sie nicht ihr rot-buntes Herbstkleid. Blickt man in die andere Richtung, über den 1000-Einwohner-Ort hinweg, thront die Vogelsburg über dem Altmain. Ein schönes Fleckchen. Warum also hat sich noch kein Nordheimer dafür angemeldet?
Ganz einfach: Die Einheimischen wissen, dass es so schnell kein Platzproblem geben wird auf ihrem Friedweinberg, der für alle Konfessionen oder Glaubenslose offen ist. Pro Rebstock können acht verrotbare Urnen eingegraben werden, macht 1488 Plätze. Bei im Schnitt zehn Todesfällen pro Jahr in der überschaubaren Weinbaugemeinde ist somit gut vorgesorgt für die Zukunft. "Wenn man keinen bestimmten Stock will, ist es überhaupt kein Problem", sagt Braun.
Darum hat auch Rainer Christ noch keinen reserviert, obwohl er sicher ist: "Wir werden da einchecken, auf jeden Fall." Der 51-Jährige hat sich schon vor zehn Jahren damit befasst, wo er einst bestattet werden möchte. Hat sich mit seiner Frau alternative Bestattungsformen in Deutschland angeschaut – und dem Bürgermeister so den Anstoß gegeben. Das Ergebnis in seinem Heimatort Nordheim hält er für sehr gelungen. "Das ist jetzt der Rolls-Royce, was wir haben."
Bürgermeister Guido Braun ist ebenso zufrieden. Knapp 200 000 Euro hat es gekostet, die 4000 Quadratmeter zu planen und zu gestalten. Eine Fläche, so groß wie ein halbes Fußballfeld. Trauben oder gar Wein von dort wird es übrigens nicht geben, das sei nicht gewollt. Weiße und rote Rebsorten sind es, doch ihre Fruchtansätze werden im Sommer entfernt.
Biomandel vom Friedhof
Früchte finden sich im Friedweinberg dennoch: Braun zieht etwas Braunes aus der Tasche, knackt die Schale. "Biomandel vom Friedhof", erklärt der 52-Jährige und reicht sie zum Probieren. Neben Weinstöcken wachsen Mandel- und Maronenbäume auf der Fläche, die Altbürgermeister Roman Christ bereits 1996 als Friedhofsgelände ausgewiesen hatte. Das und die Einigkeit des Gemeinderats bei dem Projekt hat vieles erleichtert. Eine Art Schutzhütte steht schon; Bänke und eine Infotafel kommen noch.
Den Friedweinberg vermarkten oder Geld daran verdienen sei aber nicht gewollt, erläutert der Bürgermeister. "Es soll ja eine Ruhestätte sein." Bei einer Mindest-Liegedauer von zehn Jahren kostet diese 49,60 pro Jahr, etwa doppelt so viel wie auf dem Friedhof nebenan. Dort seien aber die Kosten wie für Umrandung und Grabstein deutlich höher. An den Metallpfählen, an denen sich die Reben hochranken, gibt es höchstens ein kleines Namensschild. Wenn überhaupt. Grabschmuck wie Blumen oder Kerzen werden nur bis zwei Wochen nach der Beerdigung geduldet.
Das erste Allerheiligen
Ein Lichtermeer und aufwändig gepflegte Grabstätten sind auf dem Friedweinberg an Allerheiligen also nicht zu erwarten. Und das sei auch nicht entscheidend, sagt Dekan Peter Göttke, leitender Pfarrer im pastoralen Raum St. Benedikt, zu dem das überwiegend katholische Nordheim gehört. "Ich denke, dass Allerheiligen ganz vielen Menschen sehr viel bedeutet." Die emotionale Bindung der Menschen zu ihren verstorbenen Angehörigen und Freunden drücke sich in besonders gepflegten Gräbern, Gedanken, einer angezündeten Kerze oder dem Besuch einer Grabstätte aus. "Alle diese Formen sind Ausdruck einer Beziehung und damit in sich wertvoll."
Eine Antwort, die dem Nordheimer Rainer Christ gefallen dürfte. Denn er wisse nicht, wo Tochter und Sohn mal leben werden. "Meine Kinder sollen da keinen großen Kult um mich machen." Die letzte Ruhe unterm Rebstock: Für den Winzer ist das die perfekte Lösung.
Wenn die Autorin schon auf die kirchlichen katholischen Feiertage im Anhang eingeht, ist eine Information zum Reformationstag durchaus angebracht.
Der Reformationstag hat mit Totengedenken, Sterben, Beerdigung nun so gar nichts zu tun!