Das Feuer ist klein, aber laut. Es knackt, prasselt, zischt. Und es ist verdammt heiß. 1500 Grad Celsius im fast weiß glühenden Kern. Darüber tanzen orangerote Flammen. Sie lassen die Gesichter von Akram Mousa und Hanjo von Wietersheim leuchten.
Der 33-jährige Syrer und der doppelt so alte Deutsche stehen vor der Esse. Sie beobachten eine Stahlstange, die auf der heißen Steinkohle die Farbe verändert: von Anthrazit über Rot und Orange bis hin zu gleißendem Weißgelb. Die beiden Männer werden aus dem Stahl Friedensnägel schmieden.
Vor zehn Jahren schaute Akram Mousa nicht auf ein kleines Meer aus Flammen, sondern aufs echte Meer. Die Mittelmeer-Wellen schubsten das kleine Boot, in dem er saß, hin und her, sie hoben es hoch, ließen es fallen. Seenotretter kamen ihm zu Hilfe. Ein Jahrzehnt später will der 33-Jährige den Rettern etwas zurückgeben: den Erlös aus dem Verkauf der Friedensnägel.
Die Wahl bestand darin: entweder in den Krieg ziehen oder flüchten
Warum war er 2014 an der libyschen Küste in dieses wackelige Ding eingestiegen? "Was hätte ich sonst tun sollen?", fragt der Syrer. "Wenn ich in meinem Dorf bei Damaskus geblieben wäre, dann hätte man mich in die Armee gezwungen. Dann wäre ich heute entweder tot – oder ich hätte getötet." Ihm sei die gleiche Wahl geblieben wie vielen jungen Landsmännern: entweder Bürgerkrieg oder Flucht.
Jetzt schnappt sich Akram Mousa einen drei Kilo schweren Hammer und postiert sich damit hinter dem Amboss. Hanjo von Wietersheim holt mit einer schwarzen Zange das Eisen aus dem Feuer.
Hammerschlag um Hammerschlag wird das Material auf dem Amboss in die Länge gezogen. Pling, pling, pling: Das Geräusch von kaltem Stahl, der auf heißen Stahl trifft, erfüllt den Raum. Aus drei Zentimetern Stahlrohr wird durch präzise Schläge ein fast 30 Zentimeter langer Zimmermannsnagel.
Akram Mousa hatte Glück: Ein dänisches Schiff wurde auf das Flüchtlingsboot aufmerksam. Es nahm die Insassen an Bord, brachte sie nach Sizilien. "Von dort bin ich mit dem Zug weitergefahren." Sein Ziel sei Hamburg gewesen, "weil ich dachte, in den großen Werften würde ich Arbeit finden".
Im Wiesenbronn gelandet statt in einer Hamburger Werft
Doch in Nürnberg erwischte ihn die Polizei. Er kam ins Lager Zirndorf und von dort in eine dezentrale Flüchtlingsunterkunft nach Wiesenbronn im Kreis Kitzingen. Akram Mousa lernte Deutsch, integrierte sich und begegnete Hanjo von Wietersheim, Notfallseelsorger, Pfarrer – und leidenschaftlicher Schmied.
Hanjo nahm Akram, der in Syrien als Schlosser gearbeitet hatte, mit nach Rödelsee ins Elfleinshäusle. Das kleine Haus in der Ortsmitte ist ein lebendes Museum. An der jahrhundertealten Esse fühlte Akram sich gleich wohl. "Ich mag das Schmiede-Handwerk. Deutschland ist darin der weltweite Obermeister", sagt er. "Und ich mag die Hitze."
Hanjo von Wietersheim erklärt: "Früher war Nagelschmied ein eigener Beruf. Wenn Wandergesellen auf der Walz Arbeit suchten, ließ der Meister sie gern erstmal einen Nagel schmieden. Denn dabei sieht man, ob jemand was kann."
Technik und Geduld sind beim Schmieden wichtiger als bloße Kraft
Wenn er mit dem Hammer ausholt, spannt sich unter Akrams weißem Shirt ein Berg Muskeln. "Noch wichtiger als Kraft sind beim Schmieden Technik und Geduld", stellt sein 66-jähriger Kompagnon fest. Den gebürtigen Lübecker hat schon als Bub fasziniert, "wie so ein festes, kaltes, unflexibles Stück Metall mit der richtigen Behandlung weich und formbar wird".
Sobald der Nagelstift fertig ist, nehmen die Schmiede sich den Kopf vor. Dort, wo er entstehen soll, legen sie das Metall erneut in die Flammen. Irgendwann beginnt der Stahl zu gleißen. "Er hat jetzt etwa 1000 Grad."
Nun muss am Amboss jeder Handgriff sitzen. Es ist eine Choreografie im Viervierteltakt: Abwechselnd bearbeiten die Männer die glühende Murmel.
Die Friedenstaube gibt es nicht nur in einer Religion
Am Ende stempeln sie eine Friedenstaube auf den noch heißen Nagelkopf. Die Taube, die mit einem grünen Zweig im Schnabel zur Arche Noah zurückkehrte, ist nicht nur in der Bibel ein Symbol für Frieden und Neuanfang. Auch im Koran und in der Tora steht die Geschichte.
Als handwerkliches Unikat wird der Riesennagel punziert: mit dem Herstellungsdatum und dem Zeichen der Schmiede versehen. "Wir machen auch individuelle Inschriften – zur Geburt eines Kindes, zum Firmen- oder Ehejubiläum", sagt von Wietersheim.
Der Erlös aus dem Verkauf der Friedensnägel geht komplett an die Hilfsorganisation "United4Rescue", Seenotrettung im Mittelmeer. Akram Mousa sagt, es sei ihm eine Ehre, den ehrenamtlichen Helfern etwas zurückzugeben, zehn Jahre nach seiner eigenen Flucht übers Wasser.