
Es scheint wie gemalt: Da ist die Mutter als Unternehmensgründerin in den 1960er-Jahren. Da ist der Sohn, der das Haus zu einem mittelständischen Unternehmen ausbaute. Und da ist die Tochter, die mit Mitte 30 in dritter Generation längst in den Startlöchern steht. Und doch ist vieles so gar nicht wie gemalt. Und wenn, dann in düsteren Farben. Wenn Helmut Witt über sein Lebenswerk spricht, schwingt da vor allem Sorge mit. Über allem steht dieser Satz: "Unsere Existenz ist bedroht!" Und: Beim Blick in die Zukunft, sagt der 61-Jährige, werde ihm "angst und bange".
Das Haus der Pflege, ein Pflegeunternehmen am Rande von Sickershausen, bietet 78 Bewohnerinnen und Bewohnern einen sicheren Anker für die letzte Lebensphase. Gut 100 Mitarbeitende kümmern sich darum, dass es den überwiegend dementen Menschen gut geht. Eine nahbare Arbeit, direkt am Menschen. Die den Stempel "besonders wertvoll" trägt und gar nicht oft genug gewürdigt und wertgeschätzt werden kann.
Wenn die Pflege zum Spielball der Politik wird
Nur: Es passiert gerade das Gegenteil. Das Haus der Pflege ist in schwerem Fahrwasser – weil die Pflege zum Spielball geworden ist. Weil die politischen Grundpfeiler fehlen. Weil private Anbieter von professionellen Pflegeleistungen kaputt gemacht werden. Es läuft schief, was schief laufen kann. So sieht es zumindest Helmut Witt, der warnend die Stimme hebt und dabei sehr deutlich wird: Die Situation, sagt er, "war nie so prekär wie jetzt". Er ist sich sicher: "Das kann nicht mehr lange gut gehen."
Auch für sein Haus treibt ihn die Sorge um, "dass wir unverschuldet aufgeben müssen." Weil die Zeiten sind, wie sie sind. "Es ist kaum noch möglich, ein Pflegeheim wirtschaftlich zu führen", betont der Sickershäuser. Um gleich noch einen dieser warnenden Sätze hinterherzuschieben: "Unsere Existenz ist bedroht."

Wer Helmut Witt und seine Tochter Amelie besucht, um über genau den Teufel zu sprechen, den die Betreiber an die Wand malen, sollte einen großen Schreibblock mitbringen, um all die Missstände und Fehlentwicklungen zu notieren. Weil die Problemlage so vielfältig und fast unüberschaubar groß ist. Da ist das Thema Finanzierung. Hohe Außenstände bei den Kostenträgern brächten die Einrichtungen in Liquiditätsprobleme: "Oft vergehen mehrere Monate, auch über ein Jahr hinaus, bis die Kostenübernahme durch die Bezirke erfolgt. In dieser Zeit muss die Einrichtung in Vorleistung der Kosten gehen."
Streit mit Kassen und Sozialhilfeträger um die Preise
Dann ist da die mangelnde Refinanzierung: "Im Pflegebereich müssen wir unsere Preise mit Pflegekassen und Sozialhilfeträger aushandeln. Die Verfahren dauern viel zu lange und oftmals müssen wir die Preise sogar erstreiten." Alles auf Kosten der Pflegeeinrichtung. "Unzumutbar", sei das, so Witt. Zumal dieses Vorgehen "auch die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden und die Versorgung der Pflegebedürftigen gefährdet".
Während die Einnahmen wegbrechen, steigen die Kosten. Das macht Witt sauer: "Während sich die Politik für die Tarifpflicht in der Pflege feiert, bleiben wir auf den Mehrkosten sitzen." Die Auswirkungen lesen sich dann in der Statistik so: Von Januar bis Oktober 2023 meldeten bereits 300 Pflegeheime mit 22.000 Plätzen und 210 Pflegedienste mit 10.500 Versorgungen Insolvenz an. Über 60 Prozent der Insolvenzen betreffen vor allem kleine Betreiber mit nur einem Standort.

Nächstes Problem: der Fachkräftemangel, zu dem sich zunehmend auch ein Hilfskräftemangel gesellt. Die Einrichtungen müssten untereinander um vorhandenes Personal konkurrieren. Für zugewanderte Pflegekräfte fehle außerdem bezahlbarer Wohnraum – ein Teufelskreis.
Die Nachteile der neuen Pflege-Ausbildung
Seit die Altenpflegeausbildung weggefallen und durch eine generalistische Ausbildung ersetzt worden sei, blieben die Pflegeinrichtungen auf der Strecke. Krankenhäuser seien jetzt im Vorteil, könnten mit besseren Tarifverträgen punkten. Wer, so fragt sich Witt, wolle da noch im Pflegeheim arbeiten?
Ein schlüssiges Gesamtkonzept müsse dringend her, fordert der Fachmann. Denn längst stehe fest: "Der Pflegenotstand ist Realität und der Versorgungsauftrag wird von den Krankenkassen nicht erfüllt." Und das vor dem Hintergrund, dass sich – laut statistischem Landesamt – von 2021 bis 2055 die Anzahl der Pflegebedürftigen mehr als verdoppeln wird. Was gerade passiert ist: Statt um jedes Bett zu kämpfen, werden massiv Betten abgebaut, moniert Witt.

An die benötigten neuen Einrichtungen sei kaum zu denken. Und so setze der nächste Kreislauf ein: Für heiß begehrte Pflegeplätze steigt der Preis. Bereits jetzt liegt der monatliche Eigenanteil bei über 2700 Euro. Tendenz steigend.
All das hat Witt kürzlich in einem Brandbrief zusammengefasst. Eindrücklich. Emotional. Mehr als warnen kann er nicht, weshalb beim Gespräch mit ihm immer wieder zwei Dinge auftauchen: Frust und Machtlosigkeit. Weil es scheinbar nicht zu verhindern ist, dass die Pflege bald selber zum Pflegefall wird.
Für mich und vielen anderen die in den sechziger Jahren geboren wurden werden die Pflegeheime unerreichbar sein , denn mit meiner kleinen Rente kann ich nur hoffen das ich gesund bleibe und bis ? arbeiten gehen... 😠
A.P.