Der Prozess am Landgericht Nürnberg um Millionenbetrug bei einem ambulanten Pflegedienst in Kitzingen erlaubt schon nach drei von 26 Verhandlungstagen erschreckende Einblicke in die alltägliche Praxis der Pflege.
Die Betreiber, ein Ehepaar und dessen Sohn aus Würzburg, vertrauten wohl jahrelang darauf, dass die Krankenkassen bei ihnen immer wieder ein Augen zudrücken würden. Und das, obwohl offenbar seit Jahren bekannt war, dass es dem Dienst "Theresa" in Kitzingen an einer ausgebildeten Pflegedienstleiterin an der Spitze fehlte, man die Pflege auf ein Mindestmaß beschränkte und dafür maximal abkassierte.
Ist die Täuschung der Kassen durch den Pflegedienst in Kitzingen beweisbar?
Dadurch soll es den Betreibern möglich gewesen sein, die vorgeschriebene Dokumentation der Pflege nach eigenem Ermessen zu ändern. Sie konnten Leistungen vortäuschen und die Qualität in ihrer Pflegeeinrichtung auf ein Minimum reduzieren. Zeugenaussagen vor Gericht sowie Dokumente und abgehörte Telefongespräche der Verdächtigen liefern Hinweise dafür, dass sie die Krankenkassen jahrelang hinhielten und vertrösteten.
Den Vorwurf der Anklage, dass ihre Mandanten die für die Bezahlung verantwortliche Arbeitsgemeinschaft (ARGE) der Kassen getäuscht haben, sehen die Verteidiger deshalb für nicht bewiesen an.
Bezeichnende Beispiele für die Unbekümmertheit der Betreiber liefern die Abhörprotokolle der Ermittler. Als einer der drei Angeklagten am Telefon Befürchtungen äußerte, wie lange die Kassen die Situation noch hinnehmen würden, erhielt er von der Angeklagten die Antwort: "Hintern müssen doch geputzt werden."
So steht es auf einer von 19.000 Seiten von Abhörprotokollen, die dokumentieren: Das Trio vertraute darauf, dass die Kassen angesichts der Personalnot in der Pflege keine Alternative hätten.
Nach Razzia in Kitzingen kam noch Post ins Gefängnis von der Krankenkasse
Das machte ein Verteidiger im Prozess in Nürnberg an einem weitere Beispiel deutlich: Noch im Dezember 2022, als die drei Angeklagten schon wochenlang in U-Haft saßen, ging dem 57-jährigen Angeklagten im Gefängnis ein Schreiben zu. Darin die Mahnung: Der Pflegedienst möge endlich eine Pflegedienstleiterin benennen.
Zwischen 2018 und 2022 sollen das Ehepaar und sein 27-jähriger Sohn in mehr als 1000 Fällen Leistungen in Höhe von knapp 3,5 Millionen Euro unrechtmäßig abgerechnet haben. Die Verteidiger von Vater und Sohn um den Würzburger Anwalt Peter Möckesch gehen davon aus, dass bei einer genauen Prüfung weit weniger Fälle übrigbleiben.
Der Strafverteidiger hält eine Widergutmachung des finanziellen Schadens für möglich – sofern Staatsanwaltschaft und Gericht dem Verkauf eines Grundstückes der Angeklagten zustimmen und alle drei mitspielen.
Angeklagte will offenbar belegen, dass sie den Pflege-Betrug selbst nicht mitgetragen hat
Genau da liegt das Problem: Die mitangeklagte Ehefrau wies zum Prozessauftakt den Vorwurf eines bandenmäßigen Handelns zurück, wie Gerichtssprecherin Tina Haase bestätigte. Die Anklage sei ein Schnellschuss der Staatsanwaltschaft, sagte Simón Barrera González, der Verteidiger der 47-Jährigen.
Seine Mandantin geht auf Distanz zu Ehemann und Sohn. Sie sei in ein bestehendes Betrugssystem geraten, das sie selbst nicht mitgetragen habe. Dazu wolle sie sich später auch vor Gericht äußern. Aus den Abhörprotokollen lässt sich aber eher ein einverständliches Vorgehen herauslesen.
BR-Magazin: Angeklagter aus Würzburg könnte an Netzwerk von Pflegediensten beteiligt sein
Derzeit sieht es deshalb nach einer konfliktreichen Suche nach der Wahrheit am Landgericht Nürnberg aus, bis mindestens zum September.
Danach droht den drei Angeklagten ein weiterer Prozess in Würzburg. Die dortige Staatsanwaltschaft untersucht, welche gesundheitlichen Schäden fünf mangelhaft betreute Seniorinnen und Senioren in Kitzingen davongetragen haben, die nach der Durchsuchung der Pflegeeinrichtung in Kitzingen sofort in bessere Pflege geben werden mussten.
Und möglicherweise ist der Fall aus Kitzingen nur die Spitze des Eisberges. Das BR-Magazin "Report München" berichtete in seiner Juni-Sendung: Der 57 Jahre alte Angeklagte soll über einen Verwandten "an einem ganzen Netzwerk von Pflegediensten in mehreren Bundesländern beteiligt sein oder mit ihnen in Verbindung stehen." Die Schadenssumme von 3,5 Millionen Euro könnte sich also noch erhöhen.
https://www.ardmediathek.de/video/report-muenchen/report-muenchen-vom-6-juni-2023/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydCBtw7xuY2hlbi84NWI5NmU3Mi0xNmJjLTQ5NjItOTFjOC1mY2Q0ZDNiZmZlN2M
"Der Ehrliche ist immer der Dumme"?
Auch bei dringend erforderlichen Reha-Maßnahmen wird angeblich "gespart" und dabei oft bewußt und vorsätzlich in Kauf genommen, dass dadurch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und immense Folgekosen eintreten.
Gibt es denn keine interne Revision, die solche Mißstände aufdeckt und abstellt?
Als Beitragszahler muss man sich doch darauf verlassen können, dass mit den Geldern wirklich sachgerecht und nicht nach Gutsherrenart und oft völlig unvernünftig umgegangen wird.
deswegen macht sich der Herr Lauterbach auch eher Gedanken drüber, wie man Krankenkassenkosten einsparen kann, indem man dafür sorgt, dass die Leute eher ableben, weil sie das nächstgelegene Krankenhaus nicht mehr rechtzeitig erreichen bzw. dieses dann nicht mehr über die nötige Ausrüstung verfügt.
Es ist mMn unglaublich bis unfassbar, wie sich Leute, die im Bannkreis der Großstadt leben, einfach mal so herausnehmen (können) zu bestimmen, wieviele Krankenhäuser auf dem flachen Land zumachen müssen da "unrentabel". Ich nenne das (vorsichtig) "zynisch".
Eigentlich gälte es das Geld von da zu holen wo es un- bzw. kontraproduktiv gehortet wird statt dabei mitzumachen, nicht nur die Wirtschaft, sondern prinzipiell die ganze Gesellschaft kaputtzusparen, um nur den Superreichen nicht wehzutun. Da aber unsere "Großen Politiker/innen" lieber selber zur Haute Volée gehören würden statt zu den Leuten die sie vertreten sollen, ist das nicht verwunderlich. Oder?