"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Der Sponti-Spruch aus den 70ern wird gern locker dahingesagt. Für Nadine Wilm ist er bitterer Ernst. Die 36-Jährige aus Iphofen im Landkreis Kitzingen kämpft seit über zwei Jahren. Ihr Gegner: Krebs. Sie hat Metastasen im ganzen Körper, Ärzte hatten die Patientin zwischenzeitlich schon aufgegeben.
Doch Nadine Wilm hält dagegen. Ihr Lebensmut beeindruckt Ärzte, Pflegekräfte und Nahestehende. "Ich will leben!", sagt die zierliche Frau im Krankenbett. In der Nase steckt ein Sauerstoffschlauch. Die Stimme ist schwach, ihr Wille ist stark. So stark, dass die Mediziner an der Würzburger Uniklinik von einem "kleinen Wunder" sprechen. Der Krankheitsverlauf überrascht alle.
Wie schafft man es als Patientin durch eine so schwere, bisweilen aussichtslose Phase? Was gibt ihr Halt und Kraft? Nadine Wilms Geschichte ist eine Geschichte, die anderen todkranken Menschen Mut machen kann – und Ängste nehmen. Durch die Art der jungen Frau, mit ihrem Schicksal umzugehen. Durch Fortschritte in der Medizin. Und durch eine Zuwendung, die der Betroffenen das Gefühl gibt: Ich werde als Mensch behandelt, nicht als Nummer.
Durchfall, geblähter Bauch: Am Anfang war ein Unwohlsein
Alles beginnt im November 2021 mit einem Unwohlsein. Nadine Wilm hat Durchfall und einen geblähten Bauch. Sie denkt an eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, der Internist veranlasst eine Computertomografie (CT). Die Ärzte in der Klinik in Kitzingen sehen, dass etwas nicht stimmt. Über ihren Frauenarzt wird Nadine Wilm an die Uniklinik Erlangen überwiesen.
Eine Bauchspiegelung bringt am Tag vor Heiligabend 2021 den schockierenden Befund: Eierstockkrebs im fortgeschrittenen Stadium, Metastasen haben sich im ganzen Bauchraum ausgebreitet. Bevor operiert werden kann, muss sich die Einzelhandelskauffrau einer Chemotherapie unterziehen. 18 Wochen lang. Im Juni 2022 dann die große OP, fünfeinhalb Stunden.
Aufwändige Operation: "Die haben alles ausgeräumt"
Eierstöcke, Gebärmutter, Bauchfell – "die haben alles ausgeräumt", erinnert sich Ehemann Frank Wilm. Der Produktionsarbeiter bei Knauf begleitet seine Frau vom ersten Tag der Erkrankung an. Und er ist bis heute ihre wichtigste Stütze. Der 41-Jährige liest sich ein, stellt Fragen an die Ärzte, managt die Termine – und richtet seine Frau immer wieder auf. "Er hat mich zusammen mit meiner Familie durch alles getragen", sagt Nadine Wilm. Ohne ihn hätte sie es nicht so weit geschafft.
Eierstockkrebs gilt als stark metastasierend, das macht ihn so gefährlich und schwer therapierbar. Um ihn in Schach zu halten, muss Nadine Wilm über Monate nach der OP weiter Tabletten schlucken. Aber sie erholt sich, es geht aufwärts, zunächst. Im Februar 2023 – das Paar aus Iphofen ist gerade einige Tage im Urlaub in den Bergen – folgt der nächste Nackenschlag: Metastasen in der Brust, es ist derselbe Ausgangsherd.
Wieder Chemo, ständige Klinikaufenthalte, die Patientin braucht Blutkonserven. Eine Phase, in der Nadine und Frank Wilm zweifeln. In der sie nicht mehr weiter wissen. Die Situation setzt ihnen auch psychisch zu. Oberarzt Johannes Waldschmidt, der sie heute am Würzburger Uniklinikum betreut, weiß: "Diese Unsicherheit, der Schwebezustand ist für Patienten am belastendsten."
In dieser Zeit hilft den beiden vor allem ihr Gottvertrauen. Darin finden sie Kraft, Zuversicht und Hoffnung. "Meine Familie und ich haben uns auf unseren Glauben gestützt", sagt Nadine Wilm. Über das Handy schaltet sie sich mit Eltern, Tanten, Cousinen und Cousin zusammen, dann beten sie gemeinsam. Mediziner Johannes Waldschmidt sagt: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Glaube eine wichtige Stütze sein kann, um solche Schicksalsschläge zu verarbeiten."
Im August 2023 kommt es zum Darmverschluss, die Ärzte in Erlangen legen noch eine Magensonde für die künstliche Ernährung. Aber sie machen der Patientin klar: Es sieht nicht gut aus – man ist mit den Therapiemöglichkeiten am Ende. Nadine Wilm wird entlassen und daheim in Iphofen von einem ambulanten Palliativteam versorgt. Trotzdem: Aufgeben ist für sie keine Option, auch wenn sie sich in dieser Zeit "sehr verloren" fühlt, wie sie sagt. Sie kämpft weiter. Und es geht eine neue Tür auf.
Ein Verwandter stellt den Kontakt zu Gabriele Nelkenstock her. Die Sozialpädagogin und Vorsitzende des Vereins "Hilfe im Kampf gegen Krebs" spürt die Verzweiflung der Patientin und holt sie nach Würzburg.
Nelkenstock, seit vielen Jahren für die Uniklinik engagiert, ist als Art Lotsin im Einsatz: Sie hat den Draht zu den Medizinern, kümmert sich um Termine, ist für das Ehepaar zu jeder Tages- und Nachtzeit ansprechbar. Ein "großer Segen" und "ein Engel", auf den sie sich hundertprozentig verlassen könnten, sagen die Wilms. Nadines Schicksal und ihr Lebenswille bewegen die 64-jährige Würzburgerin – so wie die Pflegekräfte und behandelnden Ärzte auch.
Diese untersuchen die Patientin und die Tumore noch einmal ganz genau. Onkologe Prof. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II an der Uniklinik, testet in alle Richtungen. Sein Stellvertreter, der Gastroenterologe Prof. Alexander Meining, macht einen Eingriff, den er zuvor noch nie riskiert hat: Er schafft über ein Endoskop eine Verbindung zwischen Dick- und Dünndarm und sichert sie mit einem Metallröhrchen.
"Ich hatte nichts zu verlieren", sagt Nadine Wilm. Deshalb stimmte sie dem Eingriff zu – er gelingt. Für die Patientin eine Riesenerleichterung. Schlagartig bildet sich der Darmverschluss zurück, sie hat eine fast normale Verdauung. Es ist keine OP, die heilt – aber sie lindert die Beschwerden. Später wird Meining das Verfahren bei weiteren Patienten anwenden. Die Würzburger Uniklinik nimmt auch die Chemotherapie bei Nadine Wilm wieder auf.
Lunge voller Tumore: Dramatische Stunden am zweiten Weihnachtsfeiertag
Doch an Weihnachten eskaliert die Situation. Am zweiten Feiertag kann Nadine Wilm kaum noch atmen. Mit Blaulicht wird sie nachts in die Uniklinik gebracht, als Rund-um-die-Uhr-Helferin ist Gabriele Nelkenstock noch vor dem Krankenwagen da. Ein neues CT-Bild zeigt: Die Lunge ist voller Tumore. Auf der Intensivstation wird die 36-Jährige mit dem Maximum an Sauerstoff unterstützt. Die Lage ist kritisch. Eine künstliche Beatmung kommt für die Ärzte nicht mehr infrage.
Hermann Einsele ist ganz ehrlich: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie nochmal von der Intensivstation herunterkommt." Was danach geschieht – für den erfahrenden Krebsexperten ist es ein "kleines Wunder". Nadine Wilm wird auf die Palliativstation verlegt, seitdem ist ihr Mann Tag und Nacht bei ihr. Was die meisten mit dem Sterben verbinden, wird für die tapfere Patientin zur weiteren guten Wendung: "Für mich war das eine Gesund-werd-Station!"
Nadine Wilm erholt sich, wird nach einer Woche wieder auf die Normalstation verlegt. Hinter ihr Bett hängt sie ein Blatt mit einem Spruch: "Glaube an das, was noch nicht ist – damit es werden kann." Seit Anfang Februar ist sie wieder daheim in den eigenen vier Wänden in Iphofen, umsorgt und gepflegt von ihrem Ehemann.
Neues Medikament schlägt an, Tumore bilden sich zurück
Den Ärzten an der Uniklinik Würzburg ist es gelungen, den Krebs mit einer neuen Therapie wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Tumore bilden sich zurück, ein neues Medikament schlägt an. Onkologe Einsele hatte herausgefunden, dass es sich um eine sehr seltene Form von Eierstockkrebs handelt und eine spezielle Hormontherapie greifen könnte. Die nächste Verlaufskontrolle Ende März soll zeigen, ob sich der Krebsbefall weiter abschwächt.
Von einer möglichen "Heilung" wollen die Mediziner nicht sprechen. Die Erkrankung ist weit fortgeschritten. Es gehe vorrangig um die Lebensqualität in der verbleibenden Zeit. "Aber es gibt natürlich verschiedenste Verläufe", sagt Einsele. Für ihn zeigt der Fall Nadine Wilm vor allem eines: Wie wichtig der Wille der Patientin und die Unterstützung von Partner und Familie sind. Dann könne die Medizin mit neuen Erkenntnissen und Verfahren einiges leisten: "Der Kampf wird belohnt."
Die Entwicklung in der Onkologie ist ungemein dynamisch, fortlaufend kommen neue Verfahren zur Anwendung. Die Würzburger Uniklinik gilt deutschlandweit als eines der wichtigsten Krebszentren, und mit dem Aufbau des Nationalen Tumorzentrums werden die Kapazitäten noch erweitert.
"Krebs ist nicht gleich Krebs", sagt Oberarzt Johannes Waldschmidt, die Bandbreite an Behandlungen sei riesig. Selbst in ausweglos scheinenden Situationen könne die Medizin heute viel bewirken. Im Fall von Nadine Wilm ist der junge Onkologe "vorsichtig optimistisch" und dankbar, dass sie wieder zu Hause sein kann: "Jeder Tag ist ein Erfolg!" Die Patientin habe große Ressourcen, sagt der Arzt. "Sie wächst über sich hinaus."
Dass sie einen Mann an ihrer Seite weiß, der keine Angst vor der Situation hat, sondern beherzt anpackt und hilft – das hält Waldschmidt, neben dem Gottvertrauen, für einen wichtigen Schlüssel der aktuellen Stabilisierung bei der 36-Jährigen.
Frank Wilm hat alle Überstunden und Urlaubstage genommen, um sich um seine Frau zu kümmern. Derzeit ist er freigestellt, seinem Arbeitgeber sei er dankbar für ein "großes Verständnis". Nur so ist der Kraftakt mit und für seine Frau möglich. Ihr Lebenswille, ihre Disziplin und das Team um sie herum motivieren den Ehemann. Es werden wieder schwere Tage kommen, aber an einem lässt Frank Wilm keinen Zweifel: "Wir geben nicht auf!"
Spenden für den Verein "Hilfe im Kampf gegen Krebs":
DE74 7903 0001 0000 0092 45 (Castell Bank Würzburg)
Nachtrag (29.3. 2024): Nach Veröffentlichung dieses Beitrags haben Nadine und Frank Wilm auf verschiedensten Wegen viele positive Reaktionen erhalten. Lesen Sie hier, woher der Zuspruch kam, wie die beiden neue Kraft daraus schöpfen – und warum sie anderen Betroffenen ein Vorbild sind.
Schön, dass die Familie so viel Stärke in ihrem Glauben findet.