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Iphofen
Als Iphofen ins Visier der Rechten geriet und Polizeischutz benötigte: Diese gefährlichen Neonazis sollten dort auftreten
Wer heute bei Bremser und Musik auf dem Marktplatz feiert, erlebt ein unbeschwertes Fest. Kaum einer weiß, wie ernst die Lage zur Jahrtausendwende in der Stadt war.
Dieser Artikel samt Fotomontage erschien am 11. August 2000 in der Tageszeitung 'Die Welt'.
Foto: Eike Lenz | Dieser Artikel samt Fotomontage erschien am 11. August 2000 in der Tageszeitung "Die Welt".
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 10.10.2024 02:40 Uhr

Seit einem Vierteljahrhundert wird in Iphofen wieder das Fest der Letzten Fuhre gefeiert, auch an diesem Samstag (ab 11 Uhr). Doch auf der von der Sonne beschienenen Veranstaltung lastet ein dunkler Schatten, von dem heute kaum noch einer weiß. Über einen Kampf, der gerade wieder sehr aktuell ist.

Was ist das Fest der Letzten Fuhre?

Die Letzte Fuhre symbolisiert das Ende der Weinlese. Dabei ziehen die Winzerinnen und Winzer mit festlich geschmückten Fuhrwerken und Musikbegleitung durch die Straßen und Gassen. In Iphofen steht am Marktplatz ein weinseliges Publikum Spalier und empfängt die Schar. Dort wird dann auch die Ernte gesegnet. Die Letzte Fuhre ist aus dem "Herbsteinleuchten" entstanden, das in Franken bis auf das Jahr 1520 zurückgeht.

Seit wann gibt es die Letzte Fuhre in Iphofen?

Neu belebt wurde das Fest in Iphofen zur Jahrtausendwende – weniger aus Traditionsbewusstsein, sondern um eine für diesen Tag geplante politische Veranstaltung in der Stadt zu verhindern. Am 14. Oktober 2000 versammelten sich Hunderte Gäste auf dem Marktplatz, um friedlich zu feiern und ein Zeichen zu setzen.

In welcher Lage entstand im Herbst 2000 die Letzte Fuhre in Iphofen?

Schon Ende der 1990er-Jahre begleiteten rechte Gruppierungen mit Fahnen den Friedhofszug von Pfarrer, Bürgermeister, Stadtrat und vielen Bürgern zum Volkstrauertag. Einem Bäckergesellen, der in der Stadt wohnte, wurde rechtes Gedankengut nachgesagt. Dann zog um die Jahrtausendwende ein weiterer junger Mann in die Stadt, der sich als Landesvorsitzender der Vereinigten Rechten (VR) ausgab und im Internet zweimal zur Tötung politischer Gegner aufgerufen hatte. Faxe und Mails beendete er schon mal "mit volkstreuem Gruß". Die VR galt damals als rechtsextremistische Splitterorganisation und war im Visier des Verfassungsschutzes. Für August 2000 rief sie im Internet zu einem "Gedächtnismarsch" durch Iphofen zu Ehren des 1987 verstorbenen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß auf. Als Hauptredner am Marktplatz war der verurteilte Neonazi-Führer Manfred Roeder vorgesehen, der 1998 auf einem NPD-Parteitag zum gewaltsamen Umsturz in Deutschland animiert hatte.

Die Letzte Fuhre hat sich in Iphofen etabliert. Jedes Jahr kommen Gäste aus Nah und Fern, um am Marktplatz zu feiern.   
Foto: Hartmut Hess | Die Letzte Fuhre hat sich in Iphofen etabliert. Jedes Jahr kommen Gäste aus Nah und Fern, um am Marktplatz zu feiern.   

Wie ernst war es den Rechten mit ihrem "Aufmarsch in der Provinz"?

In der Stadt war man alarmiert und beunruhigt über den Demonstrationsaufruf, noch mehr aber über die Absicht der Szene, Iphofen als Stützpunkt rechter Gruppierungen zu verorten. Die Tageszeitung "Die Welt" druckte einen Tag vor der geplanten Demo unter der Überschrift "Aufmarsch in der Provinz" einen großaufgemachten Artikel auf Seite 3: Eine Fotomontage zeigte ein paar martialische Gestalten mit NPD-Flaggen, die über den Marktplatz marschierten. Doch dazu kam es nicht. Das Landratsamt hatte bereits Tage zuvor ein Verbot ausgesprochen, das zunächst auch vor dem Verwaltungsgericht Würzburg hielt. Ruhe war damit aber nicht. Die VR kündigte nach dem Urteil "Massenpropaganda-Schlachten" in Iphofen an.

Was hatten die Rechten als Nächstes in der Sache vor?

Für 14. Oktober 2000, einen Samstag, war bereits eine weitere Kundgebung geplant, angemeldet vom "bekannten Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch", wie es damals in einem Schreiben des Landratsamts hieß. Auch diese Veranstaltung verbot die Behörde. Sie argumentierte mit einer zu erwartenden Eskalation zwischen linken und rechten Gruppen sowie der räumlichen Enge der Iphöfer Altstadt. Die öffentliche Sicherheit sei gefährdet, doch diesmal ließ das Verwaltungsgericht die Demo zu. Erst einen Tag vor der geplanten Kundgebung kassierte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil, und in letzter Instanz setzte das von den Rechten angerufene Bundesverfassungsgericht dem Spuk ein Ende.

Wie reagierten die Politiker und die Menschen vor Ort?

Schnell hatte sich in Iphofen ein breites Bündnis formiert, getragen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, den beiden Kirchen, Stadtrat und Bürgermeister Josef Mend. Ihr Ziel: aktiv und kreativ wirksame Lösungen entwickeln, um den Aufmarsch zu verhindern. Ganz sicher konnte man sich ja nicht sein, ob das Demo-Verbot vor Gericht Bestand haben würde. Da kommt ihnen die Idee der Letzten Fuhre. Doris Berthold vom Arbeitskreis Ge(h)wissen erinnert sich: "Der Marktplatz wird zum Ort des Festes und damit zum sichtbaren Zeichen: Präsenz zu zeigen, den Rechten keine Räume, keine Bühne zu geben. Spannung und Sorge vor Eskalationen sind dennoch spürbar und durchaus berechtigt gewesen, denn rechte Gruppierungen treffen trotz Verbots der Kundgebung ein." Ein stattliches Polizeiaufgebot sichert letztlich die Stadt und das friedliche Fest, das seither jedes Jahr aufs Neue gefeiert wird.

 
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