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Altmannshausen
Alle zwei Stunden füttern: Wenn Wildvogel-Küken aus dem Nest fallen, gibt Birgit Vorndran ihnen eine zweite Chance
Birgit Vorndran aus Altmannshausen päppelt jedes Jahr gut 120 kleine Enten, Gänse, Fasane, Eichelhäher und Rebhühner auf. Einen Namen gibt sie den Vögeln fast nie - mit einer Ausnahme.
Ein Bild mit Seltenheitswert. Birgit Vorndran tut alles dafür, dass die kleine Elster und alle anderen Wildvögel nicht zahm werden. 
Foto: Diana Fuchs | Ein Bild mit Seltenheitswert. Birgit Vorndran tut alles dafür, dass die kleine Elster und alle anderen Wildvögel nicht zahm werden. 
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:54 Uhr

Das flauschige Kerlchen legt den Kopf in den Nacken und sperrt den Schnabel auf bis zum Anschlag. Heraus kommt ein gekrächztes „Krschäääh“. Es klingt fast wie Kirsche.

Birgit Vorndran lacht. "Ja, ja, es gibt gleich was", sagt sie und holt mit einer Pinzette ein rotes Stück Kirsche aus einem Einmachglas. Vorsichtig nähert sie sich damit dem kleinen Eichelhäher, der vor Freude fast von seiner Stange purzelt.

Der  kleine Eichelhäher ist ganz verrückt nach Kirschen, die ihm Birgit Vorndran mit einer Pinzette füttert. 
Foto: Diana Fuchs | Der kleine Eichelhäher ist ganz verrückt nach Kirschen, die ihm Birgit Vorndran mit einer Pinzette füttert. 

Bei dir piept’s doch? Diese Frage bringt manche Menschen auf die Palme. Birgit Vorndran aber grinst bloß. Bei ihr piept es nicht nur, es schnattert und krächzt, es tschilpt, trällert und zwitschert.

Zumindest von Mai bis Oktober. In dieser Zeit verwandeln sich das Haus der 47-Jährigen in Altmannshausen (Lkr. Neustadt-Aisch-Bad Windsheim) und der Garten drumherum in eine Auffangstation für kranke und verwaiste Wildvögel. Die kleinsten, zartesten Tiere leben in Käfigen im "Vogelzimmer", die älteren in Volieren an der frischen Luft oder, je nach Art, direkt im umzäunten Garten.

Rund 120 Enten, Gänse, Schwäne, Krähen, Dohlen, Elstern und Rebhühner zieht die Tierschützerin Jahr für Jahr auf – und entlässt sie in die Freiheit, sobald sie gesund und fit genug zum Überleben sind.

Vogelmama Vorndran arbeitet im Homeoffice - und füttert in den Pausen Vogel-Küken

Die Haube aus Flaum und der Blick dieser kleinen Amsel erinnern fast ein bisschen an Julius Caesar. 
Foto: Diana Fuchs | Die Haube aus Flaum und der Blick dieser kleinen Amsel erinnern fast ein bisschen an Julius Caesar. 

Ein junger Eichelhäher etwa war Ende Mai bei einem Sturm in Iphofen (Lkr. Kitzingen) aus dem Nest gefallen. In der Natur hätte er keine Überlebens-Chance gehabt. Doch er hatte Glück: Dank aufmerksamer Tierfreunde kam er letztendlich zu Birgit Vorndran in Pflege. "Die allermeisten Tiere bekomme ich über offizielle Stellen, zum Beispiel die Tierheime Würzburg und Unternesselbach sowie Tierkliniken in Würzburg und in Neustadt-Aisch", sagt sie.

„Die sind nach ein paar Tagen handzahm, wenn man sie nicht auf Distanz hält.“
Birgit Vorndran

Alle zwei bis zweieinhalb Stunden füttert die Grafikdesignerin die Kleinen. "Wie gut, dass ich im Homeoffice arbeiten kann und dass Kunden, Nachbarn und mein Partner Verständnis haben. Sonst wäre das schwierig."

Die kleinen Pflege-Vögel sollen auf keinen Fall zahm werden vor dem Auswildern

Der rötlich-braunen Flaumkugel aus Iphofen gibt sie Beeren, zerkleinertes Obst, Insekten-, Nuss- und Getreidebrei, Vitamine und Magnesium – "quasi Kraftfutter". Jeden Tag werden die schwarz-blauen Schwingen des Vogelkindes kräftiger. Bald ist es Zeit zum Auswildern.

Birgit Vorndran achtet sorgsam darauf, dass ihre Schützlinge nicht zahm werden. "Und wenn ich sie noch so goldig finde: Ich habe immer im Hinterkopf, dass es Wildtiere sind und als solche in der Natur zurechtkommen sollen." Dabei gibt es einige Arten, die sich am liebsten an ihre Ersatzmama kuscheln würden. Junge Dohlen und Elstern etwa. "Die sind nach ein paar Tagen handzahm, wenn man sie nicht auf Distanz hält", sagt sie.

Birgit Vorndran weiß: "Jungtiere wollen nicht allein sein. Deswegen schließe ich sie zu Altersgemeinschaften zusammen." Mit dem Eichelhäher wächst zum Beispiel eine junge Elster auf. "Die zwei sind wie Geschwister."

Das leise Schnäbeln der Entenküken klingt wie ein sanft dahinfließender Gebirgsbach.
Foto: Diana Fuchs | Das leise Schnäbeln der Entenküken klingt wie ein sanft dahinfließender Gebirgsbach.

Die Enten-Küken in der Auffangstation in Altmannshausen kuscheln den ganzen Tag

Während der kleine Häher in seinem Käfig "Krschäääh" ruft und die Elster das für ihre Art charakteristische "Tscha-ka" übt, murmelt es nebenan, in einem Mini-Gehege, ganz leise. Es klingt fast wie ein sanft dahinfließender Gebirgsbach.

Ein gutes Dutzend Entenkinder scheint Stage-Diving zu lieben: 13 Stock- und ein Reiher-Entchen rotten sich zu einem Haufen zusammen und immer ein anderes schmeißt sich obendrauf, reckt die Watschelfüßchen in die Luft. Dazu glucksen die gelb- bis braun gefärbten Küken leise. "Ich liebe es, ihnen zuzuhören und zuzuschauen. Die kuscheln den ganzen Tag", sagt Vorndran.

Im Garten bereiten sich Wasservögel auf das Leben in Freiheit vor

Während die kleinsten Vogelkinder im Haus bleiben, gibt es im Vorraum zum Garten große Volieren, in denen sich die älteren Jungvögel, die "Teenies", aufs Leben in der Wildnis vorbereiten.

Noch ist „Alba“, die weiße Perle, ein graues Flaumwesen. Erst in einem Jahr bekommt sie ihr weißes Schwanen-Gefieder.
Foto: Diana Fuchs | Noch ist „Alba“, die weiße Perle, ein graues Flaumwesen. Erst in einem Jahr bekommt sie ihr weißes Schwanen-Gefieder.

Hier zeigt sich, dass der Name "Krähe" ein lautmalerischer ist: Je näher ein Mensch den robusten und intelligenten schwarzen Vögeln kommt, desto lauter wird deren Gekrähe und Gekreische. "So muss das sein. Je älter sie werden, desto mehr sollen sie uns Menschen meiden", sagt Vorndran.

Weiter draußen im Garten mit seinen Wasserstellen bietet sich dagegen ein idyllisches Bild. Verschiedene Wasservögel leben hier, nehmen in der Sommerhitze ein Bad und fallen über die Gurken-Melonen-Äpfel-Haferflocken-Mischung her, die Birgit Vorndran ihnen hingestellt hat.

Nur einem Vogel hat Birgit Vorndran einen Namen gegeben

Die Ersatz-Vogelmama analysiert: "Enten sind chillige Tiere. Hühnervögel wie Fasane, Rebhühner und Rallen sind dagegen schon ganz schön stressig." Durch den Zaun kann man beobachten, wie eine Rostgans – "die wurde als Waisenkind in Neustadt/Aisch gefunden" –, drei weiße Stockenten und die Königin des Gartens, Alba, sich zum gemütlichen Sonnenbad auf warmen Sandsteinen niederlassen.

Birgit Vorndran bereitet allen Wildvogelarten das für sie beste und stärkendste Futter zu. 
Foto: Diana Fuchs | Birgit Vorndran bereitet allen Wildvogelarten das für sie beste und stärkendste Futter zu. 

"Alba ist das einzige Tier, dem ich einen Namen gegeben habe", sagt Vorndran. "Schwäne bleiben mit Abstand am längsten in der Station, die wildert man erst im Herbst aus, etwa vier Wochen, bevor sie fliegen können." Alba bedeutet "weiße Perle". Aktuell sieht die Perle, die als Küken von ihrer Mutter verlassen wurde, allerdings eher aus wie eine graue Flaumwolke. Doch ihrer Ziehmama ist klar: "Nächstes Jahr verliert sie das Babykleid und wird blütenweiß."

Der Hörblacher See ist gut zum Auswildern der Vögel geeignet

Damit Alba im Herbst die beste Chance hat, in der Freiheit zurechtzukommen, sucht Birgit Vorndran für sie – wie für alle ihre Tiere – einen geeigneten Auswilderungsplatz. Möglichst einen, an dem nicht gejagt und geschossen wird, denn Raben- und die meisten Wasservögel sind grundsätzlich jagdbare Tiere. "Der Hörblacher See eignet sich zum Beispiel gut. Aber wir kennen auch andere Schutzgebiete in Franken, die wir gerne nutzen."

Mit "wir" meint sie die verschiedenen Pflegestellen des Vereins "Menschen für Tierrechte Würzburg e.V.". Die Tierschützer, die sich gegenseitig bei der Pflege der verschiedenen Wildvogelarten  unterstützen, arbeiten eng mit dem Tierschutzverein Würzburg, mehreren Tierheimen und dem Landesbund für Vogelschutz zusammen. Sie unterstehen den jeweiligen Veterinärämtern.

Wenig Schlaf und viele Vogel-Fütterungen: So setzt sich Birgit Vorndran für den Tierschutz ein

Viel Füttern, viel Säubern, wenig Schlaf – manch einen würde diese arbeitsreiche Sommergestaltung abschrecken. Die gebürtige Würzburgerin dagegen findet: "Wie andere Leute sich bei der Feuerwehr oder beim THW oder sonstwie für die Allgemeinheit einsetzen, mache ich eben dieses Tierschutz-Ehrenamt. Jeder sollte sich nach seinen Möglichkeiten engagieren, um das zu bewahren, was schützenswert ist und Hilfe braucht."

Manchmal sei sie allerdings schon echt müde. "Dann sag’ ich mir: Im Winter hole ich den fehlenden Schlaf nach." 

Alle Vögel, den Birgit Vorndran großzieht, erhalten einen Erkennungsring am Bein. Hier beringt die Altmannshäuserin einen jungen Eichelhäher. 
Foto: Diana Fuchs | Alle Vögel, den Birgit Vorndran großzieht, erhalten einen Erkennungsring am Bein. Hier beringt die Altmannshäuserin einen jungen Eichelhäher. 

Jedes Mal, wenn wieder einige ihrer Tiere in die Freiheit geflattert oder gewatschelt sind und wenn sie ihre Ersatzmutter bei deren Kontrollgang am nächsten Tag "nicht mal mehr mit dem Hinterteil anschauen", weiß die 47-Jährige: "Alles richtig gemacht. Der Aufwand hat sich gelohnt."

Der erste Schützling starb, Hunderte weitere wurden gesund und fit

Erst recht, wenn nach Jahren jemand irgendwo auf der Welt die Nummer auf dem Bein-Ring abliest, den die Grafikdesignerin all ihren Vögeln anlegt. Jede Nummer ist bei der Beringungszentrale Radolfzell hinterlegt. So kann man herausfinden, wohin das Tier gezogen ist. "Mich freut es immer sehr, wenn ich das erfahre."

Ihren ersten Schützling fand Birgit Vorndran schon als Kind: im Garten von Opa Rainer. "Auch mein Paps war ein begeisterter Hobby-Ornithologe", erinnert sie sich. "Wir haben oft Wildvögel beobachtet. Das Bestimmungsbuch unter meinem Arm war schon total verschlissen."

Damals konnte die kleine Birgit das aus dem Nest gefallene Rotschwänzchen in Opas Garten nicht retten. Die große Birgit aber hat mittlerweile Hunderten verwaister Wildvögel die Chance gegeben, krächzende, tschilpende, zwitschernde und piepsende Überflieger zu werden.

Wildvögeln helfen

Bei den Entenküken ist Gruppenkuscheln angesagt. 
Foto: Birgit Vorndran | Bei den Entenküken ist Gruppenkuscheln angesagt. 
Organisation: Der Verein "Menschen für Tierrechte Würzburg e.V." freut sich über neue Helfer und Mitglieder. Ob Wildvogel-Patenschaft, Erste-Hilfe-Paket oder Futterspende: "Seit Corona ist alles total zurückgegangen", weiß Birgit Vorndran. Sie hat ausgerechnet, dass die Aufzucht eines Vogels von 40 bis 200 Euro kosten kann, medizinische Versorgung nicht eingerechnet. Spenden können steuerlich geltend gemacht werden.
Abgestürzte Vogel-Küken: Wer Jungvögel findet und unsicher ist, sollte die Tiere meistens erst einmal sitzen lassen. Normalerweise kommen die Vogeleltern zurück. Wer sich unsicher ist, findet auf der Homepage des LBV (unterfranken.lbv.de) weitere Tipps und Ansprechparter.
Wer Pflegestelle für Wildvögel werden möchte: Der LBV organisiert hierzu ein Projekt.
Quelle: ldk
 
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