
Sie hatten noch versucht zu retten, was nicht mehr zu retten war. Schließlich sind sie Spezialisten für komplizierte, aussichtslose Fälle – und manchmal geschieht ja noch ein Wunder. In diesem Fall aber ist das Wunder ausgeblieben, und wenn man Felix Wallström fragt, was ihm jetzt noch helfen könne, kommt die Frage wie ein Bumerang zurück: "Wissen Sie nicht was?"
Der in der Planung weit gediehene Neubau der BRK-Rettungswache im Kitzinger Norden ist geplatzt, ein Millionenprojekt, bei dem es am Ende ein paar Milliönchen zu viel wurden. Aber am Geld allein lag es nicht. Wallström, der BRK-Kreisgeschäftsführer, sagt: "Es gab mehrere Punkte." Landrätin Tamara Bischof, kraft Amtes BRK-Kreisvorsitzende, sagt: "Es gab viele Faktoren." Fängt jetzt wieder alles bei null an? Und was bedeutet das im Notfall für den Bürger?
Die neue Rettungswache kann nicht überall gebaut werden
Fieberhaft wird jetzt nach einem Alternativstandort gesucht. Seit Wochen scannt und vermisst Wallström die nähere Umgebung von Kitzingen nach möglichen Grundstücken oder Gebäuden – immer mit einer Maßgabe im Kopf: Der Ort muss so beschaffen sein, dass von ihm aus binnen zwölf Minuten jeder Punkt des Versorgungsgebiets zu erreichen ist. So sieht es das Rettungsdienstgesetz vor, zumindest in der Theorie.
Für die Praxis heißt das: Die künftige Kitzinger Rettungswache muss im Mittelpunkt der vier äußersten Versorgungspunkte Dettelbach (im Norden), Nenzenheim (im Osten), Marktbreit (im Süden) und Theilheim (im Westen) liegen. Wo diese vier Achsen sich treffen, muss Wallström suchen; das schränkt die Standortwahl erheblich ein. "Die Gefahr ist", sagt die Landrätin, "wenn wir die Einsatzorte nicht mehr in der vorgeschriebenen Zeit erreichen, wird das Ganze neu ausgeschrieben." Dann, so die Sorge, könnte das BRK leer ausgehen und ein privater Anbieter zum Zuge kommen. In Würzburg sei das schon passiert.

Auf dem Anfang 2022 nach intensiver Suche präsentierten Grundstück im Kitzinger Lochweg, an einem Abzweig der Nordtangente in Etwashausen, hätten sich die vier Koordinaten gut zusammenführen lassen: 10.000 Quadratmeter im Gewerbe-Mischgebiet in günstiger Verkehrslage am Stadtrand. Ein Glücksfall.
Natürlich gab es manche Tücken, Wallström kannte sie alle und musste sie immer wieder gegenüber den Betroffenen abwägen: einem Gärtnerobermeister, der um die Früchte seiner Existenz bangte, einer Nachbarschaft, die sich vor weiteren Belastungen fürchtete, einem Stadtrat, der sich in Teilen von den zuvor Genannten einspannen ließ und – selbst als schon alles klar war – immer noch Stimmung gegen das Projekt machte. Dazu lag das Grundstück im Überschwemmungsgebiet des Mains.
All diese Angriffe und Bedenken hätte der BRK-Chef noch parieren und abwenden können. Doch dann kam etwas, was er nicht mehr kontrollieren konnte. Russland begann seinen Überfall auf die Ukraine – ein Krieg, der die Welt veränderte und letztlich bis in den hintersten Winkel der Gärtnervorstadt Etwashausen wirkte. Energie und fast alle Produkte wurden teurer, die Inflation in Europa wuchs, die Zinsen stiegen. Und die Rechnung, die Wallström zwischen ausklingender Corona-Pandemie und beginnendem Ukraine-Krieg aufgestellt hatte, ließ sich plötzlich nicht mehr halten. Von acht Millionen Euro Baukosten war er einmal ausgegangen, nun aber lag man 20 bis 30 Prozent darüber, von der Zinsbelastung ganz zu schweigen. "Das beste Angebot lag einmal bei einem Zins von 0,4 Prozent, jetzt ist es das Zehnfache."

Die explodierenden Kosten überforderten irgendwann den laut Landrätin "bescheidenen Kreisverband", der sich zum Großteil über Spenden finanziere. "Das Risiko", sagt Tamara Bischof, "wollten wir dem BRK nicht aufbürden."
Zumal ein stures Festhalten an dem ausufernden Projekt an den anderen BRK-Standorten Wiesentheid (wo 2017 eine neue Rettungswache eröffnet wurde) und Volkach (wo demnächst eine neue Rettungswache entstehen soll) womöglich größeren Unmut ausgelöst hätte. Also zog man die Notbremse, auch wenn das bedeutete: Das BRK musste Tausende Euro an Planungskosten in den Wind schreiben – und was die Standortsuche betraf, wieder bei null anfangen.
Dabei steht Wallström vor dem Problem, nicht nur ein paar Schreibtische und Computer umziehen zu müssen. Er braucht Garagen für sechs Rettungswagen, und jede Garage muss laut deutscher DIN inzwischen 55 Quadratmeter groß sein. Er braucht Büro- und Schlafräume für sein Personal, möglichst barrierefrei, aber zu groß darf das Ganze auch nicht sein, weil ihm sonst die Krankenkassen wieder Verschwendung vorwerfen und sich weigern zu zahlen.
Der Altbau in der Schmiedelstraße platzt längst aus allen Fugen, den ambulanten Pflegedienst mit seinen 17 Fahrzeugen hat das BRK schon ausgelagert. Dort zu bleiben ist keine Lösung, aber für den Übergang möglich, da das Objekt (wieder) dem BRK gehört.
Jetzt hat das BRK wieder ein Gebäude in der Innenstadt im Visier
Der Katastrophenschutz sitzt in einem kaum jüngeren Gebäude an der Gabelsberger Straße, auf einem eigentlich zu kleinen Grundstück in Hanglage – und doch spielt es in Wallströms Gedanken eine Rolle, wenn es um die neue Rettungswache geht. Auch das Gelände der früheren ATU-Filiale an der B8 (gegenüber E-Center) war eine Option. Doch obwohl der Kfz-Zubehör-Spezialist schon im Herbst 2020 ausgezogen ist, läuft der Mietvertrag noch bis 2028. Ihn abzulösen wäre für das BRK ein (zu) teurer Spaß.
Wallström denkt an einen Standort nicht weit von der bisherigen Rettungswache entfernt, der ihm angeboten wurde. Verhandlungen laufen. Wenn Wallström sich etwas wünschen könnte? "Dann wäre es ein Neubau auf der grünen Wiese mit 3000 Quadratmeter Fläche." So wie es aussieht, hilft dabei wohl nur ein Wunder.