Schon beim Elbe-Hochwasser 2002 packte Stefan Funck als Rettungshelfer im Katastrophengebiet mit an. Eigentlich, dachte er, könne ihm kein größeres Unglück mehr begegnen. Er lag falsch, wie er heute selbst sagt.
Genau zwei Wochen ist es her, dass 15 Rettungskräfte des BRK Haßberge als Teil des unterfränkischen Hilfeleistungskontingents in das von Wassermassen verwüstete Ahrtal ausrückten. Stefan Funck und Rudolf Hauck waren unter ihnen. Nach 72 Stunden im Katastrophengebiet kehrten sie zurück. Und noch immer beschäftigt sie das Erlebte. Hier erzählen die beiden von ihren Erfahrungen.
Stefan Funck – 55 Jahre – Grundschullehrer
"Als ich im Jahr 2002 aus dem Einsatz im Katastrophengebiet des Elbe-Hochwassers zurückkehrte, war ich mir sicher, dass ich in meinem Leben kein größeres Unglück unmittelbar miterleben würde. Ich lag falsch.
Am Samstagmorgen, zwei Tage nach den verheerenden Fluten im Ahrtal, stand fest, was sich am Abend zuvor schon abgezeichnet hatte: Unser unterfränkisches Kontingent wird in Rheinland-Pfalz zum Einsatz kommen. Alles musste nun schnell gehen.
Vor Ort kamen wir in einer Blindenschule in Neuwied unter, rund 50 Kilometer entfernt vom besonders hart betroffenen Gebiet. Wie ernst dort die Lage und wie groß die Verzweiflung war, zeigte sich mir im Gespräch mit unserem Guide, einem einheimischen Rettungshelfer. Er hatte unmittelbar nach der Flut Schwerverletzte und Tote aus den Trümmern geborgen. Der Mann, bereits mehr als ein Jahrzehnt im Rettungsdienst tätig, war den Tränen nah. Seit 1978 bin ich beim Roten Kreuz, doch spurlos ging diese Situation auch an mir nicht vorbei.
Meine Aufgabe war es zunächst, mit einem Team und einer Drohne das Einsatzgebiet zu erkunden. Die Straße nach Altenahr führte durch einen Tunnel. Hier funktionierte kein Licht mehr. Im Schritttempo fuhren wir hinein in das schwarze Loch. Als hätten wir das Tor zum Chaos betreten, tat sich vor uns ein unvorstellbares Ausmaß der Zerstörung auf. Wo vorher Häuser standen, war teilweise nicht einmal mehr das Betonfundament geblieben.
Wegen der zerstörten Infrastruktur war auch die Versorgungslage in dem Gebiet kritisch. An nur einem Tag kochte unser Verpflegungsteam rund 6000 Essensrationen. Für viele – Helfer und Betroffene – war das die erste warme Mahlzeit seit Tagen.
In den 72 Stunden, in denen ich vor Ort war und unseren Einsatz mit koordinierte, hatte ich ganze zehn Stunden Schlaf. Doch erst als diese Ausnahmesituation vorüber war und ich Zuhause zur Ruhe kam, merkte ich, wie erschöpft ich wirklich bin. Der Lohn dieser Erschöpfung, das sind die Reaktionen der Betroffenen. Die Menschen im Katastrophengebiet standen klatschend an den Straßen, als wir mit unseren Einsatzfahrzeugen vorbeifuhren.
Diese Dankbarkeit und die damit verbundene Gewissheit, etwas Gutes zu tun, das sind die Gründe, warum ich seit über vierzig Jahren für dieses Ehrenamt lebe."
Rudolf Hauck – 29 Jahre – Notfallsanitäter
"Ich erinnere mich an die Bilder aus den betroffenen Gebieten, die ich am ersten Tag nach der Flutkatastrophe in den Nachrichten sah. Es waren erschütternde und surreale Aufnahmen. Doch diese Bilder bereiten einen nicht darauf vor, wie es ist, wirklich vor Ort zu sein. Auf den Anblick von Leid und Hoffnungslosigkeit: Wie die Menschen mit Gummistiefeln an den Füßen und Schaufeln in der Hand den Schlamm aus ihren zerstörten Häusern räumen. Wie sie die Überreste ihres Lebens zusammenkehren, die die Flut nicht mitgenommen hat. Auf den Geruch von Heizöl, Benzin und inzwischen getrockneten Fäkalschlamm, der staubig in der Luft hängt. Es war wesentlich schlimmer als es die Bilder im Fernsehen vermitteln konnten.
Natürlich gibt es immer Momente, die einen emotional anfassen. Als Notfallsanitäter kann ich mich davon aber nicht überwältigen lassen. Ich bin vor Ort, um den Menschen zu helfen, das hat oberste Priorität. Meine Einsatzerfahrung aus acht Jahren hilft mir, mit diesem Leid umzugehen.
Wichtig in all diesem Chaos ist dabei ein strukturiertes Vorgehen mit klaren Zuständigkeiten. Mein Einsatz, bei dem ich Helfer der psychosozialen Notfallversorgung begleitete, begann morgens um sieben Uhr. Wir fuhren von Ortschaft zu Ortschaft, um Betroffenen bei akuten Fragen zu helfen. Menschen, die nicht nur ihr Hab und Gut verloren haben, sondern auch Freunde, Familien, Nachbarn.
Ich erinnere mich an einen Mann, ein Vater von drei Kindern, der nur noch 100 Euro in seiner Tasche hatte – und nicht mehr weiterwusste. Es half diesem Mann, bei uns Gehör und Zuversicht zu finden. Es half ihm zu merken, dass er nicht alleine ist.
Unsere Einsätze gingen immer bis zum Sonnenuntergang. Denn dann, in der Dunkelheit und teils ohne funktionierende Beleuchtung, stieg die Unfallgefahr für die Rettungskräfte im Ahrtal. Die Infrastruktur – Straßen und Brücken – war unterspült oder zerstört. Wir Rettungskräfte müssen bei solchen Einsätzen auch auf uns und unsere Sicherheit achten.
Das Ganze ist nicht einfach zu verarbeiten. Erst Zuhause mit etwas Abstand, wenn die Gedanken zurück an den Einsatzort gehen, realisiert man vollends, was man dort gesehen und erlebt hat. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem ein Bild: Ein Baum, in dessen Ästen hoch oben Kleidungsstücke hingen, die so den Höchststand des verheerenden Hochwassers markierten.
Aber ich kann aus dem Einsatz auch Positives ziehen. Es ist schön zu sehen, dass unsere Gesellschaft in Zeiten der Not zusammenrückt. Und ich bin noch dankbarer, dass es mir und meiner Familie gut geht. Ich würde jederzeit wieder helfen."
Aufgeschrieben von Lukas Reinhardt