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Sand am Main
Zwischen Trauer und Tränen: Wie Trauerbegleiterin Vanessa Vieweg Menschen in den schwersten Zeiten begleitet
Im Interview berichtet die 26-Jährige aus Sand am Main, was ihre Aufgabe im Trauerprozess ist, wie Menschen trauern und was in der Trauer auch schön sein kann.
Vanessa Vieweg aus Sand am Main ist Trauerbegleiterin und unterstützt Menschen beim Umgang mit dem Trauerprozess.
Foto: Michael Endres | Vanessa Vieweg aus Sand am Main ist Trauerbegleiterin und unterstützt Menschen beim Umgang mit dem Trauerprozess.
Michael Endres
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:13 Uhr

Trauern gilt auch im Jahr 2023 für die meisten Menschen noch als gesellschaftliches Tabuthema. Es wird selten darüber gesprochen. Nicht so bei Vanessa Vieweg aus Sand am Main – die 26-Jährige ist Trauerbegleiterin und gibt Menschen, die beispielsweise eine geliebte Person verloren haben, den Raum dazu, mit dem Kummer umzugehen. Diese Begleitung bietet die gelernte Gesundheitskauffrau, die in der Verwaltung der Stadt Schweinfurt arbeitet, nebenberuflich an. Im Interview berichtet Vieweg, die in ihrer sozialen Tätigkeit auch bis nach Bamberg, Bad Kissingen, Schweinfurt, Coburg und Haßfurt kommt, worauf es beim Trauern ankommt.

Frage: Sie werden jeden Tag mit den Themen Sterben und Tod konfrontiert. Wie wichtig ist da Trauer?

Vanessa Vieweg: Ganz wichtig. Vor allem, weil man sich vorab mit dem Thema auseinandersetzen sollte. Das Leben ist endlich. Die Leute, die uns wichtig sind, werden irgendwann gehen – wir werden irgendwann gehen. Die Trauer ist das Zeichen der Liebe und der Dankbarkeit, die man denjenigen gegenüber empfunden hat und eine natürliche Reaktion darauf, wenn jemand geht.

Was ist im Trauerprozess der Menschen Ihre Aufgabe?

Vieweg: Meine Aufgabe ist es, als Stütze da zu sein, den Raum zu geben, trauern zu dürfen. Viele Leute trauen sich nicht, weil es ein gesellschaftliches Tabuthema ist. Wenn jemand verstirbt, wird zwar darüber geredet, aber zwei Minuten später muss man wieder in den Alltag zurück und funktionieren. Ich begleite den Trauerprozess. Das ist etwas ganz Individuelles. Der eine weint, der andere braucht jemanden zum Reden, und der wieder andere möchte jemanden, der mit auf den Friedhof geht.

Also ist es ganz unterschiedlich, welchen Raum Trauer für Menschen einnimmt?

Vieweg: Ja, absolut. Da ist immer ein Unterschied. Verliert man im Kindesalter die Eltern, hat man ein ganz anderes Verständnis von Tod. Wenn man älter wird, beispielsweise im Schulalter, ist es schon sehr begreiflich, aber irgendwie auch nicht. Je nach Alter wirkt sich Trauer auf unterschiedliche Art aus.

Wie gehen Sie persönlich darauf ein, dass Menschen unterschiedlich trauern?

Vieweg: Ich kann mich gut auf Leute einlassen, kann die Ruhe bewahren, sehr verständnisvoll sein. Ich bin da achtsam und aufmerksam, was derjenige in dem Moment braucht. Durch die Ausbildung und die persönliche Erfahrung kann ich mich empathisch in denjenigen hineinversetzen.

Die Rolle, die Sie einnehmen, ist eher neu. Tod und Sterben sind immer noch Tabuthemen. Wie haben Sie die Entwicklung wahrgenommen?

Vieweg: Meiner Erfahrung nach hängt das davon ab, wie man mit den Themen auf jemanden zugeht. Ich bin den Themen gegenüber sehr offen – und positiv eingestellt. Mein Umfeld weiß schon immer, was ich mache. Damit habe ich noch nie eine negative Erfahrung gemacht. Wenn man den Themen selbst offen gegenübertritt und das auch zeigt, dann bekommt man das auch zurück. Ich habe nicht nur im engen Freundeskreis, sondern auch im weiten Bekanntenkreis, beobachtet, dass die Leute mich immer damit konfrontieren, wenn jemand gestorben ist oder es ihnen schlecht geht.

Vanessa Vieweg schafft einen Raum für die Trauer der Menschen, die sie aufsuchen.
Foto: Michael Endres | Vanessa Vieweg schafft einen Raum für die Trauer der Menschen, die sie aufsuchen.
Was ist dabei wichtig?

Vieweg: Die Offenheit ist ganz wichtig. Wenn man erstmal darüber redet, dann kommt das Gespräch auch ins Rollen. Die Trauer betrifft alle, wird aber ebenfalls oft totgeschwiegen. Jeder kennt Trauer. Sie muss aber nicht nur in Zusammenhang mit Tod und Sterben stehen. Trauer kann man auch bei Liebeskummer empfinden, wenn eine Freundschaft auseinandergeht oder bei einem Jobwechsel. Dieses Gefühl, etwas zu verlieren, kennen wir alle.

Wie ist die Entscheidung gefallen, dass Sie Trauerbegleiterin werden möchten?

Vieweg: Ich war zwölf, als mein Opa verstorben ist und ich das erste Mal mit den Themen Sterben und Tod in Berührung gekommen bin. Das ist ein Alter, in dem man schon realisiert, dass derjenige nicht mehr zurückkommt. Das war so der Punkt, an dem bei mir ein wahnsinniges Interesse geweckt worden ist. Als zwei Jahre später die Oma gestorben ist, war ich dann schon sehr mit involviert, was die Beisetzung, die Planung und die Beerdigung angeht. Und dann war eigentlich mein Plan, Bestatterin zu werden. Mit 16 oder 17 Jahren nimmt dich aber kein Unternehmer in einem Bestattungsinstitut und bildet dich aus. Daraufhin habe ich im Gesundheitswesen gelernt. Mir war es schon immer wichtig, mit Menschen zu arbeiten. Parallel dazu habe ich meinen Sterbebegleiter gemacht. 2017 habe ich meinen Hospizbegleiter neben meinem Hauptberuf gemacht.

Neben dem Hospiz- und Sterbebegleiter haben Sie auch Ihren Trauerbegleiter gemacht. Wie ist es dazu gekommen?

Vieweg: Ich wollte fachlich etwas in der Hand haben, deshalb habe ich meinen Trauerbegleiter für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gemacht. Mir war es wichtig, den psychologischen Aspekt mit aufzugreifen. Trauer ist keine Störung, sondern eine Erfahrung, die gelebt werden soll. Aber wenn man das unterdrückt, dann kann das auf die Psyche gehen. Ich muss deshalb unterscheiden können, ob wir noch in der Trauerbegleitung sind, oder es sich um eine psychische Störung handelt, aus der sich Angstzustände oder Zwänge entwickeln.

Welche Rolle spielen Religion und Kirche in der Trauerbegleitung?

Vieweg: Der Glaube an etwas, was man vielleicht nicht unbedingt greifen kann, spielt eine Rolle – nicht unbedingt die Kirche oder die Religion. Wo ist der Mensch jetzt? Was passiert mit ihm? Ist er bei uns oder ist er tot? Das ist ein wichtiger Aspekt, unabhängig von der Religion.

Trauer belastet nicht nur die Menschen, die gerade einen Verlust erlitten haben. Wie gehen sie damit um?

Vieweg: Information lindert Ängste. Ich setze mich mit dem Thema zum einen fachlich, aber auch persönlich auseinander. Weil ich Trauerbegleiterin bin, heißt es nicht, dass ich das auf jeden Fall besser mache als die anderen. Ich glaube durch meine Haltung, mein Wissen und gutes Selbstmanagement kann ich mich gut um mich selbst kümmern.

Gibt es Fälle, die Sie mehr als andere beschäftigen?

Vieweg: Wenn Babys versterben. Wenn so ein kleiner Mensch das Leben nicht leben durfte und man die Eltern vor sich hat, die ihr Wichtigstes verlieren. Natürlich berührt mich das. Aber mir ist im selben Moment bewusst, dass ich der Person helfen, sie auffangen kann. Man hat beide Parteien, die trauern. Beide sind gleich betroffen, sowohl der Mann als auch die Frau. Da ist es gut, wenn Paare kommen, weil da gerade keiner stärker ist. Da ist es immer ratsam, sich professionelle Hilfe zu suchen, weil auch eine Beziehung oder eine Ehe dazwischen ist, die durch die Emotionen leiden kann. Das ist eine Herausforderung, aber eine, die man gut meistern kann.

"Diese Dankbarkeit und Liebe, als sie gegangen ist, war ein Gefühl, das einfach überwältigend ist."
Vanessa Vieweg, Trauerbegleiterin
Gibt es auch positive Momente, die im Trauerprozess vorkommen?

Vieweg: Ja. Eine Beerdigung ist ein Fest der Liebe und Dankbarkeit. Leute versterben, das ist der Gang des Lebens. Da kann niemand etwas daran rütteln und das sollte auch mehr in den Köpfen der Gesellschaft sein. Wenn einem das bewusst ist, kann man auch dankend zurückblicken und an schöne Erinnerungen mit dem Verstorbenen denken. Das ändert die Sicht zum positiven: Schade, dass derjenige nicht mehr da ist. Aber schön, dass man ihn in seinem Leben haben durfte. Das ist das Schöne in der Abschiedsgestaltung – man kann den Rahmen in Form von Ritualen, Lieder, persönlichen Texten oder der Rede gestalten.

Erinnern Sie sich an eine Situation, die Ihnen da positiv in Erinnerung geblieben ist?

Vieweg: Ja, die Erfahrung, dass ich meine Oma begleiten durfte. Mein Wunsch war immer, dass sie entweder einschläft oder dass ich bei ihr bin. Diese Dankbarkeit und Liebe, als sie gegangen ist, war ein Gefühl, das einfach überwältigend ist. Neben der Trauer habe ich das als wahnsinnig positiv empfunden. Für mich war das ein Privileg.

Hier finden Sie unser Gedenkportal.

 
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