Jedes Jahr werden am zweiten Sonntag im Dezember auf der ganzen Welt zum "Worldwide Candle Lighting" Kerzen angezündet und in die Fenster gestellt, um an verstorbene Kinder und Jugendliche zu erinnern. Im Landkreis Haßberge sollte sogar eine Gedenkandacht in der Ritterkapelle stattfinden, die wegen der Pandemie abgesagt wurde. Dafür können am 12. Dezember zu Hause Lichter aufgestellt werden, welche die Verbundenheit zu Sternenkindern und verstorbenen Jugendlichen zum Ausdruck bringen sollen.
Ein Kind zu verlieren, ist eine der schlimmsten und schmerzlichsten Erfahrungen, die Eltern machen können. Die 64-jährige Doris Mahler aus Limbach wurde gleich zweimal von solch einem Schicksalsschlag getroffen. Ihr Sohn Christian starb als Baby mit sechs Wochen und ihr Sohn Tobias wurde mit nur 20 Jahren Opfer eines schweren Verkehrsunfalles. Wir fragten sie danach, wie sie es geschafft hat, mit dem Geschehenen umzugehen.
Doris Mahler: Vom Schmerz einer Mutter her gab es keinen Unterschied. Ich hatte bei beiden Schicksalsschlägen den Gedanken, dass auch ich sterbe. Das zerreisst dich und bringt dich an die Grenze. Es reisst quasi ein kleines Stück aus dem Herzen und war spürbar. Wenn ich an meine zwei Buben denke, sehe ich sie vor Augen: Christian als hübsches Baby und Tobias als richtigen Sonnenschein, der immer gelacht hat und mit dem jeder Tag ein Erlebnis war. Christian hatte bei seiner Geburt einen Herzfehler, aber das hat uns niemand gesagt und so kam er mit "Kind gesund" angekreuzt von der Klinik heim. Ich bemerkte nur, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte, weil seine Lippen immer blau wurden. Vom Kinderarzt wurde dann der Herzschaden festgestellt, der nicht mehr reparabel war. Als ich meinen Sohn in der sechsten Woche aus seinem Bettchen holen wollte, war er tot. Tobias war schon 20 Jahre alt, war ein Freigeist und Sonnenschein und hat viel mit seinem großen Bruder Marco gelacht. Am 1. Mai 2001 sollte er mit seinem Auto Freunde zum Baggersee nach Stettfeld bringen. Als er ein Auto überholte, ist er von der Straße abgekommen, aus dem Auto geflogen und brach sich das Genick. Das führte zum Tod.
Doris: Zwei Wochen lang war es bei uns sehr still. Ich blieb von der Arbeit zu Hause, weil ich einen verständnisvollen Chef hatte. Mein großer Sohn Marco hatte nicht einmal mehr Lust auf seinen geliebten Fußball. Dann ging ich wieder meiner Arbeit nach, anders wäre es auch nicht gegangen. Vielleicht suchte ich auch die Abwechslung. Froh war ich jedenfalls, dass auch Marco wieder zum Training und Fußball gefunden hat und mir zu einer großen Unterstützung wurde. Das hat mir sehr geholfen. Besonders habe ich mich über meine Nachbarin gefreut, die nach zwei Tagen geklingelt hat mit den Worten: "Wie geht es euch? Ich weiß nicht, was ich tun kann. Aber ich komme einfach, weil ich Tobias so gemocht habe." Solche Worte tun gut, zumal die meisten nicht wissen, was sie sagen sollen oder einem in dieser Zeit sogar aus dem Weg gehen.
Doris: Ich habe schon allein fünf Jahre gebraucht, bis ich das Zimmer von Tobias ausräumen konnte. Ich habe quasi viele Zimmer in meinem Herzen, für jedes Kind eines und auch für meine zwei Enkel. In zwei der Zimmer ist es aber Winter und kalt. Für mich war der Tod Angst, Sorge und Schrecken. Ich wollte mich bewusst damit auseinandersetzen, weil ich sie noch spürte oder gar roch, wie wenn sie bei mir wären. Mütter und Väter sind in solch einer Situation kaputt und es kommt einem vor, als wenn innerlich etwas fehlt oder abgebrochen ist. Deswegen kam mir die Idee, dass ich dies besser verarbeiten und etwas dafür tun muss. Mit Frauen, die ähnliches erlebt hatten, kam ich ins Gespräch und rief sogar eine Gruppe ins Leben.
Doris: Bei Christian schien es etwas leichter aufgrund seiner Todesursache mit dem Herzfehler. Es gab für diese kurze Zeit seines Erdendaseins auch nicht so viele Erinnerungen. Bei Tobias war das anders. Dabei half mir, dass ich ihm im Krankenhaus sogar die letzte Ölung geben durfte und mit dem Pfarrer alles geplant war. Wir haben alles so gemacht, wie es in Tobias Sinn gewesen wäre. Mit all unseren Gedanken und Gefühlen haben wir ihn verabschiedet, wozu das Lied der Onkels "Die Besten sterben jung" erklang.
Doris: Es tut einfach gut, wenn man sich in einer solchen Gruppe austauschen und über Gefühle offen reden kann oder auch einmal alles an die Wand werfen und seine Hilflosigkeit zeigen darf. Dabei ist es der helle Wahnsinn, welche Palette an Gefühlen der Mensch dabei durchmacht – von "tieftraurig" über "ich kann nicht mehr" bis zu einem "kleinen Hoch". Schmerz zulassen, mit dem Verstorbenen schimpfen oder ein Tagebuch schreiben, kann sehr nützlich sein. Ich habe sogar ein E-book veröffentlicht mit dem Titel "Nichts ist wie es war".
Doris: Sich mit dem Schmerz auseinandersetzen und vor allem auch Schmerz zulassen und nicht betäuben, sonst ist er am nächsten Tag wieder da! Das sind einige wichtige Dinge. Auf der einen Seite ist die Türe zu und Christian wie Tobias sind einen anderen Weg gegangen. Darüber ist man traurig. Als christlicher Mensch haderte ich deswegen auch mit Gott. Auf der anderen Seite darf man die Menschen genießen, die jetzt neu in das Leben gekommen sind. Sie sind auch ein Geschenk für mich. Der Schmerz heilt nicht und die Wunden solcher Schicksalsschläge bleiben. Auch Mitleid ist Gift für die Seele. Eine Bereicherung waren für mich die angebotenen Gespräche und Wanderungen mit der Familie Nußbaum, bei denen man im Wandern, Zuhören und Reden mit gleichermaßen Betroffenen wieder zu Ideen findet, wie man sein Leben neu gestalten kann.
Hilfsangebote im Landkreis Haßberge gibt es über den Malteser-Hilfsdienst in Haßfurt, die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (kos@hassberge.de) oder über sternenkinder-hassberge@web.de