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Limbach
Sternenkinder: Wie es ist, zwei Kinder zu verlieren
Ein Kind zu verlieren, ist eine schlimme Erfahrung. Doris Mahler aus Limbach hat diese gleich zweimal durchgemacht. Ein Gespräch über Schmerz, Trauer und den Umgang mit dem Unbegreiflichen.
Doris Mahler – in stillen Stunden immer wieder auch mit den Bildern ihrer          verstorbenen Söhne in der Hand.
Foto: Günther Geiling | Doris Mahler – in stillen Stunden immer wieder auch mit den Bildern ihrer verstorbenen Söhne in der Hand.
Günther Geiling
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Jedes Jahr werden am zweiten Sonntag im Dezember auf der ganzen Welt zum "Worldwide Candle Lighting" Kerzen angezündet und in die Fenster gestellt, um an verstorbene Kinder und Jugendliche zu erinnern. Im Landkreis Haßberge sollte sogar eine Gedenkandacht in der Ritterkapelle stattfinden, die wegen der Pandemie abgesagt wurde. Dafür können am 12. Dezember zu Hause Lichter aufgestellt werden, welche die Verbundenheit zu Sternenkindern und verstorbenen Jugendlichen zum Ausdruck bringen sollen.

Ein Kind zu verlieren, ist eine der schlimmsten und schmerzlichsten Erfahrungen, die Eltern machen können. Die 64-jährige Doris Mahler aus Limbach wurde gleich zweimal von solch einem Schicksalsschlag getroffen. Ihr Sohn Christian starb als Baby mit sechs Wochen und ihr Sohn Tobias wurde mit nur 20 Jahren Opfer eines schweren Verkehrsunfalles. Wir fragten sie danach, wie sie es geschafft hat, mit dem Geschehenen umzugehen.

Frage: Sie haben drei Söhne zur Welt gebracht, haben aber auch zweimal den Tod eines Kindes erleben müssen. Gibt es hier einen Unterschied zwischen dem Tod Ihres Babys und dem Tod Ihres 20-jährigen Sohnes?

Doris Mahler: Vom Schmerz einer Mutter her gab es keinen Unterschied. Ich hatte bei beiden Schicksalsschlägen den Gedanken, dass auch ich sterbe. Das zerreisst dich und bringt dich an die Grenze. Es reisst quasi ein kleines Stück aus dem Herzen und war spürbar. Wenn ich an meine zwei Buben denke, sehe ich sie vor Augen: Christian als hübsches Baby und Tobias als richtigen Sonnenschein, der immer gelacht hat und mit dem jeder Tag ein Erlebnis war. Christian hatte bei seiner Geburt einen Herzfehler, aber das hat uns niemand gesagt und so kam er mit "Kind gesund" angekreuzt von der Klinik heim. Ich bemerkte nur, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte, weil seine Lippen immer blau wurden. Vom Kinderarzt wurde dann der Herzschaden festgestellt, der nicht mehr reparabel war. Als ich meinen Sohn in der sechsten Woche aus seinem Bettchen holen wollte, war er tot. Tobias war schon 20 Jahre alt, war ein Freigeist und Sonnenschein und hat viel mit seinem großen Bruder Marco gelacht. Am 1. Mai 2001 sollte er mit seinem Auto Freunde zum Baggersee nach Stettfeld bringen. Als er ein Auto überholte, ist er von der Straße abgekommen, aus dem Auto geflogen und brach sich das Genick. Das führte zum Tod.

Frage: Was hat Ihnen nach solchen Schicksalsschlägen geholfen? Wie sah die Hilfe aus und was schätzten Sie am meisten?

Doris: Zwei Wochen lang war es bei uns sehr still. Ich blieb von der Arbeit zu Hause, weil ich einen verständnisvollen Chef hatte. Mein großer Sohn Marco hatte nicht einmal mehr Lust auf seinen geliebten Fußball. Dann ging ich wieder meiner Arbeit nach, anders wäre es auch nicht gegangen. Vielleicht suchte ich auch die Abwechslung. Froh war ich jedenfalls, dass auch Marco wieder zum Training und Fußball gefunden hat und mir zu einer großen Unterstützung wurde. Das hat mir sehr geholfen. Besonders habe ich mich über meine Nachbarin gefreut, die nach zwei Tagen geklingelt hat mit den Worten: "Wie geht es euch? Ich weiß nicht, was ich tun kann. Aber ich komme einfach, weil ich Tobias so gemocht habe." Solche Worte tun gut, zumal die meisten nicht wissen, was sie sagen sollen oder einem in dieser Zeit sogar aus dem Weg gehen.

Frage: Es gibt doch den Spruch "die Zeit heilt alle Wunden." Ist das so oder kommt der Schmerz zu bestimmten Zeiten doch immer wieder hoch?

Doris: Ich habe schon allein fünf Jahre gebraucht, bis ich das Zimmer von Tobias ausräumen konnte. Ich habe quasi viele Zimmer in meinem Herzen, für jedes Kind eines und auch für meine zwei Enkel. In zwei der Zimmer ist es aber Winter und kalt. Für mich war der Tod Angst, Sorge und Schrecken. Ich wollte mich bewusst damit auseinandersetzen, weil ich sie noch spürte oder gar roch, wie wenn sie bei mir wären. Mütter und Väter sind in solch einer Situation kaputt und es kommt einem vor, als wenn innerlich etwas fehlt oder abgebrochen ist. Deswegen kam mir die Idee, dass ich dies besser verarbeiten und etwas dafür tun muss. Mit Frauen, die ähnliches erlebt hatten, kam ich ins Gespräch und rief sogar eine Gruppe ins Leben.

Frage: Die beiden Schicksalsschläge sind nun rund 20 oder gar 40 Jahre her. Wie gehen Sie heute mit diesen schlimmen Ereignissen um?

Doris: Bei Christian schien es etwas leichter aufgrund seiner Todesursache mit dem Herzfehler. Es gab für diese kurze Zeit seines Erdendaseins auch nicht so viele Erinnerungen. Bei Tobias war das anders. Dabei half mir, dass ich ihm im Krankenhaus sogar die letzte Ölung geben durfte und mit dem Pfarrer alles geplant war. Wir haben alles so gemacht, wie es in Tobias Sinn gewesen wäre. Mit all unseren Gedanken und Gefühlen haben wir ihn verabschiedet, wozu das Lied der Onkels "Die Besten sterben jung" erklang.

Frage: Sie haben sich in der Arbeit mit Jugendlichen engagiert und dann selbst wieder in einer Gruppe eingebracht. Hat Ihnen das geholfen und ist es wirklich so, dass Helfen Lebensdynamik zurückbringt und dem Leben einen neuen Sinn gibt?

Doris: Es tut einfach gut, wenn man sich in einer solchen Gruppe austauschen und über Gefühle offen reden kann oder auch einmal alles an die Wand werfen und seine Hilflosigkeit zeigen darf. Dabei ist es der helle Wahnsinn, welche Palette an Gefühlen der Mensch dabei durchmacht – von "tieftraurig" über "ich kann nicht mehr" bis zu einem "kleinen Hoch". Schmerz zulassen, mit dem Verstorbenen schimpfen oder ein Tagebuch schreiben, kann sehr nützlich sein. Ich habe sogar ein E-book veröffentlicht mit dem Titel "Nichts ist wie es war".

Frage: Sie wollen betroffenen Frauen und Männern Hilfestellung geben in der Verarbeitung ihres Schmerzes und ihrer Trauer. Könnten Sie hier ein paar Tipps geben? Wie sieht dies aus und was halten Sie bei dieser Trauer- oder Lebensbegleitung für ganz besonders wichtig?

Doris: Sich mit dem Schmerz auseinandersetzen und vor allem auch Schmerz zulassen und nicht betäuben, sonst ist er am nächsten Tag wieder da! Das sind einige wichtige Dinge. Auf der einen Seite ist die Türe zu und Christian wie Tobias sind einen anderen Weg gegangen. Darüber ist man traurig. Als christlicher Mensch haderte ich deswegen auch mit Gott. Auf der anderen Seite darf man die Menschen genießen, die jetzt neu in das Leben gekommen sind. Sie sind auch ein Geschenk für mich. Der Schmerz heilt nicht und die Wunden solcher Schicksalsschläge bleiben. Auch Mitleid ist Gift für die Seele. Eine Bereicherung waren für mich die angebotenen Gespräche und Wanderungen mit der Familie Nußbaum, bei denen man im Wandern, Zuhören und Reden mit gleichermaßen Betroffenen wieder zu Ideen findet, wie man sein Leben neu gestalten kann.

Hilfsangebote im Landkreis Haßberge gibt es über den Malteser-Hilfsdienst in Haßfurt, die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (kos@hassberge.de) oder über sternenkinder-hassberge@web.de

Worldwide Candle Lighting

Immer am zweiten Sonntag im Dezember findet das "Weltweite Kerzenleuchten" beziehungsweise  "Worldwide Candle Lighting" statt. Dabei wird abends um 19 Uhr eine Kerze für jedes verstorbene Kind angezündet und von außen gut sichtbar an ein Fenster gestellt. Durch die Zeitverschiebung von jeweils einer Stunde erlöschen die Kerzen in einer Zeitzone und werden in der nächsten entzündet. Dadurch entsteht der Eindruck einer Lichterwelle, die in 24 Stunden einmal um die gesamte Erde wandert. "That their light may always shine" (möge ihr Licht für immer scheinen) ist die Grundidee hinter dieser Lichterwelle an diesem Tag.
Quelle: gg
 
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