Alfred Kaiser geht in den kleinen Lagerraum seiner Metzgerei, greift ins volle Regal, holt eine Dose mit gemahlener Paprika heraus, eine Dose mit Pfeffer, eine mit Chili, eine mit Curry, eine mit Senfkörnern – und dann schnappt er sich noch die Liste, die feinsäuberlich aufführt, was in jeder seiner Wurst an Gewürzen drin ist. „Hier“, sagt Kaiser lächelnd, „das ist das ganze Geheimnis.“ Jagdwurst, Schinkenwurst, Bierschinken, Lyoner, feine Mettwurst. Hinter jeder Sorte ein paar Gewürze – „und mehr braucht es nicht“.
Was selbstverständlich klingt – ist es nicht. Vor ein paar Jahren hätte der Metzgermeister aus Aidhausen bei Hofheim, der auch Innungsobermeister der Region Hassberge ist, nach Gewürzmischungen gegriffen. Eine für Bierschinken, eine für Schinkenwurst, eine für Gelbwurst. Was drin war in seiner Wurst? Der Metzger hätte es selbst nicht sagen können.
Inzwischen ist Alfred Kaiser zweiter Vorsitzender des Vereins „Fränkisches Wurst-Reinheitsgebot“, der laut Satzung keinen anderen Zweck hat, als „die Förderung von Wurstwaren, die ohne zugesetzte künstliche Geschmacksverstärker (insbesondere ohne Mononatriumglutamat) hergestellt und vertrieben werden”.
Dass dem Franken die Wurst am Herzen liegt – keine Frage. Aber ein Reinheitsgebot? Schnaps- oder besser Bier-Idee? Zumindest brachte jenes Ausschließlichkeitsgebot für Hopfen, Malz und Hefe im Bier, dessen 500-jähriges Bestehen vor zwei Jahren bayernweit gefeiert wurde, einen Mann auf die Idee mit der Wurst: Kilian Moritz, Professor für Journalismus und Medien an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, hatte sich seit langem schon über die geschmacksverstärkenden Zusatzstoffe aufgeregt, die in Lebensmitteln stecken. Ein Reinheitsgebot – das schien ihm eine kluge Idee. Also wieso nicht für die fränkischste aller Speisen?
Was ist drin in der Lyoner? Was ist drin im Schinken?
Moritz stammt aus Burkardroth im Landkreis Bad Kissingen, seine Heimat liegt ihm am Herzen – dialektal wie kulinarisch. Und mehr und mehr war er genervt, wenn er an der Wursttheke von der Verkäuferin wissen wollte, was denn drin sei in dieser und jener. Entweder erhielt er von der Fleischereifachverkäuferin nur ein Schulterzucken. Oder sie holte den Chef, der dann auch nicht mehr sagen konnte. Salz, Pfeffer und Würze halt. Als der rührige Medienprofessor beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen nachfragte und bestätigt bekam, dass „Wurstwaren aus Kleinherstellung überwiegend bis nahezu alle mit Hilfe von Geschmacksverstärkern (zumeist E 621) hergestellt werden“ und nicht nur die „Thekenware in Discountern oftmals unter Verwendung von Glutaminsäure hergestellt“ sei, sondern auch die Wurst der Direktvermarkter – da war er zornig genug.
Kein Glutamat? „Gar nicht anders gelernt“
Auf Zutatenlisten taucht das E 621 als „Würze“ oder ,,Aroma“ auf. In der Lehre, erzählt Metzger Markus Alles aus Frauenroth (Lkr. Bad Kissingen), lerne man über die einzelnen würzenden Zutaten der Wurstsorten gar nichts: „Da steht die Mischung für Lyoner, die Mischung für Bratwurst, die Mischung für Salami – und die nehmen sie dann.“ Kilian Moritz zitiert da gerne Andreas Erb. Der Metzgermeister aus Biebelried im Landkreis Kitzingen erzählte ihm das Gleiche: „Wir haben es doch damals auf der Metzger-Schule gar nicht anders gelernt: Da standen drei Töpfli, eines mit Kochsalz, eines mit Pökelsalz und eines mit Glutamat. Das war ganz normal, dass das in die Wurst kommt.“ Ist ja auch günstig: nur vier Euro das Kilo. Heute stellen Hofladen-Besitzer Erb wie der Rhöner Metzger Alles ihre Waren ohne das Allzweckmittel Mononatriumglutamat her – und Alles ist dazu noch Vorsitzender im Wurstreinheitsgebotsverein.
Vereinsgründung im Festjahr: Nach 500 Jahre Reinheitsgebot fürs Bier auch eines für Wurst
Denn im Dezember 2016 kam Initiator Kilian Moritz mit fast zwei Dutzend Metzgern, Direktvermarktern und Gastronomen in Burkardroth zusammen, bei Schlachtplatte und frischer Bratwurst wurde vier Stunden lang diskutiert und beraten. Am Ende des Abends war eine Satzung verabschiedet, die freiwillige Selbstverpflichtung beschlossen und der Verein gegründet.
Alfred Kaiser stellt das Paprikapulver wieder zurück ins Regal. Nebenan hängen im Kühlraum die halbierten Schweine, die er am Vormittag selbst geschlachtet hat. „Das Schlachten muss man als Überzeugungstäter tun“, sagt Kaiser und erzählt dann vom „Riesenschreibaufwand“, den er damit hat. Aber er will Fleisch in guter Qualität, er will wissen, wo die Tiere aufgewachsen sind, sie selbst im Stall aussuchen. Und der nächste Schlachthof sei auch viel zu weit: „Wenn die Fleischhälften beim Transport aneinander klatschen, wird das Fleisch zäh.“
Experimentiert für die richtige Mischung
Irgendwann wurde Kaiser klar: Wenn er schon so auf die Qualität des Fleisches achtet, dann will er auch wissen, was ans Fleisch kommt. Er las sich die Inhaltsstoffe der Gewürzmischungen durch. Wunderte sich über die angeführten Silikate, die den Mix rieselfähig machen. „Da kommst du ins Schleudern, das brauch ich doch nicht in der Wurst.“ Sein Vater hätte „immer Maggi rein“. Als Kaiser den Betrieb übernahm, wollte er wissen: „Komm‘ ich klar ohne?“. Scharfe Paprika, Muskat, Chili – er tüftelte, mischte, probierte, experimentierte – bis er beim kompletten Sortiment die richtigen natürlichen Gewürze und Mischungsverhältnisse raus hatte und auch die Kunden zufrieden waren. „Wenn der Aufschnitt wie Fleischwurst schmeckt, dann funktioniert das nicht.“
„Beim Aufschnitt war es am schwierigsten“, sagt auch Markus Alles beim Blick aufs Sortiment. Manchmal hab es gedauert, bis alles passte. Bei der Gelbwurst zum Beispiel hätte die Stammkundschaft aufgemerkt: „Die schmeckt doch anders?“ Ob besser oder schlechter, das konnte keiner sagen. Aber das Schwierigste, meint der Metzer aus Frauenroth, sei nicht das Umstellen gewesen: „Der größte Schritt war sich ranzutrauen und zu sagen: Das mach ich jetzt!“
Reinheitsgebot als Verkaufsargument
Inzwischen gibt es vom Spessart bis zum Fichtelgebirge rund zwei Dutzend Metzger, die im Verein sind und sich – freiwillig und unabhängig von Kontrollen – an das Wurst-Reinheitsgebot halten. Sogar auf Teneriffa vertritt ein Metzger den Verein: Markus Markus Werner von der „Wurstquelle" in La Orotava. Dass auch Nicht-Franken Mitglied werden können, hat mit der grundsätzlichen globalen Mission zu tun: keine Geschmacksverstärker in möglichst vielen Lebensmitteln. Oder wie Kilian Moritz formuliert: „Kein Chemiequatsch mehr in meinem Essen.“ Mit dem eigens kreierten Logo darf, „nur werben, wer komplett umgestellt hat“, sagt Markus Alles. Es sei, hat der Vereinsvorsitzende die Erfahrung gemacht, „definitiv ein Verkaufsargument“ und sorge für „zehn Prozent mehr Umsatz“.
Glutamate
Die Salze der Glutaminsäure werden Glutamate genannt. Bekannt sind vor allem Salze der L-Glutaminsäure: als Geschmacksverstärker in Lebensmitteln. Am häufigsten verwendet wird das einfache Natriumsalz (Mononatriumglutamt/E 621). Ebenfalls zugelassen sind Monokaliumglutamat (E 622), Calciumdiglutamat (E 623), Monoammoniumglutamat (E 624), Magnesiumdiglutamat (E 625). Als Zusatzstoffe sind Glutamate für die meisten Lebensmittel bis zu einer Höchstmenge von 10 g/kg zugelassen. Pizzen, Knabberartikel, Suppen, Wurst und viele andere Produkte bekommen dank Glutamat eine fleischig-würzige Note, den „Umami-Geschmack“. Verbraucherschützer bemängeln, dass Glutamat in der Zutatenliste selten genannt wird. Das Lebensmittelrecht gestattet den Produzenten, auf andere Bezeichnungen wie „Aroma“ auszuweichen.
L-Glutaminsäure findet sich schon von Natur aus in fast allen proteinhaltigen Lebensmitteln. Bei normaler Mischkost nimmt man täglich allein auf natürliche Weise 8 bis 12 Gramm zu sich. Und Glutamat ist weit mehr als nur ein Würzmittel: Auch der Körper selbst bildet täglich erhebliche Mengen der wichtigen Aminosäure. Als Botenstoff im Gehirn spielt sie eine wichtige Rolle im Zellstoffwechsel. Hier beginnen die Bedenken gegen die Verwendung von Glutamat im industriellen Maßstab.