"Es ist noch gar nicht ins Bewusstsein der Menschen gedrungen", erklärt Bürgermeister Günther Werner, "dass wir hier im Landkreis Haßberge den Mittelpunkt der Kunststoff-Wellrohr-Produktion in ganz Europa bilden." Mit Industrieunternehmen wie Fränkische (Königsberg), Maincor (Knetzgau), PMA Kabelschutzsysteme (Haßfurt), Schlemmer (Haßfurt), Unicor (Haßfurt) und der zu Valeo gehörenden FTE automotive (Ebern) besitzt die Region eine hohe Dichte an Herstellern von Kunststoff- und Wellrohrsystemen mit über 4500 Mitarbeitern in der Region. Somit ist gut ein Siebtel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Landkreis in dieser Branche tätig.
TTZ „Smart Polymere Pipe Solutions“
Deshalb wird der Rohrextrusion - so nennt man die Herstellung der Wellrohre - in Haßfurt ein eigenes Technologietransferzentrum (TTZ) gewidmet. Das TTZ „Smart Polymere Pipe Solutions“ wird bei der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS, Würzburg) angesiedelt, die die wissenschaftliche Begleitung verantwortet. Als eine von wenigen Hochschulen in Deutschland bietet die FHWS Studiengänge sowohl zu Kunststoff- als auch zu Elastomertechnik an.
Im Februar 2020 wurde der Aufbau des TTZ Smart Polymer Pipe Solutions durch das Wissenschaftsministerium in der Bayerischen Staatskanzlei durch Ministerpräsident Markus Söder im Beisein von Wissenschaftsminister Bernd Sibler, Landrat Wilhelm Schneider und MdL Steffen Vogel zugesagt. Das TTZ soll in den nächsten Jahren mit rund sechs Millionen Euro Anschubfinanzierung vom Freistaat Bayern durch die FHWS aufgebaut werden. Um den Standort weiter zu stärken, soll das TTZ bei innovativen und strategischen Forschungs- und Entwicklungsthemen künftig als Forschungszentrum vor Ort zur Verfügung stehen. Mit Inbetriebnahme des TTZ im Herbst 2021 auf dem Gelände der Heinrich-Thein-Berufsschule in Haßfurt haben die Unternehmen dann vor Ort Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen sowie angehenden Kunststoffingenieuren.
Enge Kooperation geplant
Die Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) und das Kunststoff-Zentrum SKZ in Würzburg haben nun eine Absichtserklärung für eine Zusammenarbeit in der Region Haßberge unterzeichnet, teilt das SKZ mit. Das Ziel ist eine enge Kooperation beim geplanten Technologietransferzentrum in den Haßbergen zugunsten einer optimalen Wirkung für die regionale Wirtschaft in Nordbayern. "Dabei vereinen sich akademische Kompetenz mit angewandter Forschung und Ingenieursausbildung der FHWS mit Umsetzungskraft des SKZ mit anwendungsnaher Entwicklung und Fachkräfteweiterbildung", heißt es in der Verlautbarung des SKZ weiter.
Nicht zuletzt soll durch die Allianz ermöglicht werden, weitere Fördermittel für das neue TTZ in Haßfurt zu gewinnen. "Ich sehe das sehr positiv", so Dieter Pfister, Geschäftsführer von Maincor (Knetzgau/Schweinfurt) und ehemaliger IHK-Präsident, auf Anfrage dieser Redaktion. "Für den Landkreis Haßberge ist das eine fantastische Geschichte." Das TTZ soll sich der angewandten Forschung und Entwicklung von Kunststoffen mit Fokus auf Wellrohren widmen. Für die Zusammenarbeit mit den hier ansässigen Unternehmen, so Pfister, böten sich im Landkreis Haßberge sehr gute Rahmenbedingungen. Das neue Technologietransferzentrum in Haßfurt stärke Wissenschaft und Wirtschaft. "Wenn sich Entwicklung und Anwendung miteinander verbinden lassen, entstehen wertvolle Synergieeffekte." Davon, so Pfister, profitierten alle Beteiligten von der Hochschule über die Kommunen bis zu den Unternehmen.
Einen entscheidenden Beitrag für die Realisierung des TTZ leisten zudem die Kommunen: Die Stadt Haßfurt und der Landkreis Haßberge stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung und finanzieren – zusammen mit regionalen Unternehmen – eine Stiftungsprofessur. Dies unterstreicht Dieter Pfister: "Ich finde es toll, wie gut hier auch die Kommune - Landrat und Bürgermeister - mitgezogen hat. Das hatte ich so bisher noch nicht erlebt, dass der Haßfurter Stadtrat und der Kreistag Haßberge gemeinsam in der Stadthalle getagt und sich einstimmig für das Projekt ausgesprochen haben." Der so gelobte Bürgermeister Günther Werner ergänzt im Gespräch mit dieser Redaktion: "Wichtig ist, dass die Sache läuft. Die Zusage von den betreffenden heimischen Firmen liegt inzwischen vor, dass sie sich an den Kosten für die Stiftungsprofessur in den ersten fünf Jahren beteiligen werden."
Auch Landrat Wilhelm Schneider zeigte sich hocherfreut über die Allianz von FHWS und SKZ zugunsten des TTZ Haßfurt: "Mit der Kooperation der FHWS und dem SKZ wird die von Beginn an geplante inhaltliche Ausrichtung unseres ,Exzellenzzentrums Polymerextrusion' mit Leben gefüllt. Damit sollen Aus- und Weiterbildung, Forschung und Studium im Kompetenzzentrum angeboten werden. Gleichzeitig trägt die Zusammenarbeit zu einem verstärkten Wissenstransfer zwischen Hochschule, Forschungseinrichtung und Unternehmen bei." Für Schneider ist die Tatsache, dass die Initiative zur Errichtung eines TTZ in Haßfurt erfolgreich war und der Landkreis damit Hochschulstandort werde, ein wichtiger Baustein, "um hochqualifizierte junge Menschen in den Landkreis zu bringen, aber auch um die bestehenden Arbeitsplätze in der Region zu halten".
Dabei ging's dereinst eigentlich recht knapp zu, als die Frage entschieden wurde, wo das Kunststoff-Zentrum angesiedelt werden sollte. "Schweinfurt war auch mit im Rennen", erinnert sich der damalige IHK-Präsident Dieter Pfister. Doch der Landkreis Haßberge habe noch keinen "Leuchtturm" gehabt. Deshalb hatte auch Stimmkreisabgeordneter Steffen Vogel im Rahmen eines Besuchs von Landtagspräsidentin Ilse Aigner vor etwa 13 Monaten bei der "Fränkischen" in Königsberg noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass in den umliegenden Landkreisen bereits wissenschaftliche Einrichtungen wie das TTZ vorhanden seien. Der Landkreis Haßberge sei der "einzige Landkreis in der Region ohne eine vergleichbare derartige Einrichtung". Er habe Sorge, so der CSU-Kreisvorsitzende damals, dass der Landkreis Haßberge zwischen den benachbarten Landkreisen „zermahlen“ wird. „Wir brauchen das TTZ unbedingt für die Weiterentwicklung des Landkreises. Es hängen Arbeitsplätze dran“, sagte Vogel damals zu Ilse Aigner.
Win-win-win-Situation
Prof. Dr. Volker Herrmann von der Hochschule für angewandte Wissenschaften an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt unterstrich anlässlich dieses Aigner-Besuchs, dass das geplante TTZ Vorteile für die Unternehmen, die Studierenden und für die Hochschule selbst bringe. Die Studenten könnten im Umkehrschluss früher potenzielle Arbeitgeber kennenlernen. Die Aufgabenstellungen wären "interessant und praxisnah mit hervorragender Betreuung". Die Hochschule selbst bekäme Zugang zu praxisrelevanten Themen. "Durch angewandte Forschung wird sich die Attraktivität des Hochschulstandortes Haßfurt für die Studierenden zusätzlich steigern", versprach der Professor.
Die Firmen wiederum hätten früh Kontakt zu potenziellen zukünftigen Mitarbeitern. Die Unternehmen erhielten Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen wie Laboren, Maschinen, Studenten und Wissenschaftlern. Sie könnten deshalb Fördergelder bekommen und würden vom Wissen profitieren, das aus geförderten Projekten entsteht. SKZ und FHWS verfügten über vielfältige Möglichkeiten, weitere Mittel aus Bundes- und EU-Mitteln in die Region zu holen. Daher haben FHWS und SKZ diesen Kooperationsvertrag geschlossen. Thomas Hochrein, Geschäftsführer Bildung und Forschung des SKZ, ergänzte bei der Vertragsunterzeichnung: „Durch den Zusammenschluss kann die Region künftig stärker durch gemeinsame Forschung profitieren und eine größere Bandbreite an zusätzlichen Fördermöglichkeiten nutzen. Jährlich holen wir bereits rund acht Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für industrienahe Forschung und Bildung nach Nordbayern. Davon könnte auch die Region Haßberge verstärkt profitieren.“