Klaus Merkel steht inmitten seines Weizenfeldes nahe des Universitätsguts Mariaburghausen, Haßfurt. Mit den Händen sucht der Landwirt die Stiele, Blätter und Ähren der Pflanzen nach Spuren von Schädlingen ab. "Hier, ein Getreidehähnchen", sagt der 56-Jährige und deutet mit dem Finger auf einen schwarzen Punkt. "Die Larve des Käfers schabt die Zellschichten zwischen den Blattadern ab." Mit teils massiven Folgen für die Reifeprozesse des Korns – und damit für den Ernteertrag des Landwirts.
Merkel reagiert – zumindest vorerst – nicht auf herkömmliche Art, etwa mit Insektiziden. "Bislang haben uns Landwirte vor allem die Schädlinge interessiert", sagt der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands (BBV). "Über Nützlinge wissen wir deutlich weniger." Das soll sich ändern: Seit einem Jahr nimmt Merkel teil an einem Forschungsprojekt des Leibniz-Instituts, das die Artenvielfalt fördern soll, anstatt sie durch den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren.
Pflanzenstreifen sollen Nützlingen als Habitat dienen
Das Ziel: Nützliche Insekten sollen den Schädlingen künftig den Garaus machen, für ein natürliches Gleichgewicht in der vom Mensch geformten Ackerlandschaft sorgen – und so im Idealfall auch für eine ertragreichere Ernte. Dafür hat Merkel bereits im Spätsommer 2020 vier sogenannte "Beetle Banks" – übersetzt: Käferwälle – in seiner Feldflur angelegt. Auf den jeweils sechs Meter breiten und 500 Meter langen Streifen, die an bewirtschaftete Äcker angrenzen, gedeihen nun Königskerzen, Wilde Karden, Margeriten, Malven oder Gräser.
Zu den wohl bekanntesten Nützlingen zählen Marienkäfer, die bis zu 150 Blattläuse pro Tag vertilgen können; aber auch Florfliegen und Laufkäfer sind die Fressfeinde zahlreicher Schädlinge, wie etwa des Getreidehähnchens. Über fünf Jahre hinweg sollen Merkels Beetle Banks solchen Nützlingen als Habitat dienen. Hier überwintern sie im Boden, schlüpfen im Frühjahr und machen sich schließlich hungrig an die Arbeit – so zumindest lautet die Theorie.
Mit wissenschaftlichen Methoden auf dem Getreideacker
Die Wissenschaftlerin Sara Preißel-Reckling vom Leibniz-Institut für Agrarlandschaftsforschung im brandenburgischen Münchenberg untersucht die tatsächliche Wirkung der kleinen Biotope auf die angrenzenden Ackerflächen. Auch Preißel-Reckling steht an diesem Tag auf dem Feld nahe Mariaburghausen. In den vergangenen Wochen hatte die 37-jährige Forscherin dort spezielle Bereiche angelegt, um nun wissenschaftlich fundierte Daten zu sammeln. "Hier sind die flugfähigen Nützlinge ausgesperrt", sagt sie, und deutet auf eine Art Käfig inmitten des Ackers. "Es müssten also deutlich mehr Schädlinge auftreten als in dem Bereich, zu dem die natürlichen Fressfeinde vollen Zugang haben." Und tatsächlich: Ihre Annahme bestätigt sich. "Zumindest vorläufig", betont die Wissenschaftlerin.
Um herauszufinden, wie hoch das Aufkommen der nützlichen Insekten im untersuchten Bereich ist, hat die Forscherin des Leibniz-Instituts Anfang Mai außerdem sogenannte Emergenzfallen errichtet. Die weißen Zeltchen, von denen acht in den Beetle Banks stehen, fangen nur ein, was im Boden überwintert hat. Weitere acht Fallen haben die Wissenschaftler in den gewöhnlichen Säumen entlang der Felder platziert, vier in den Äckern – der Vergleichbarkeit wegen. Sara Preißel-Reckling öffnet die erste Falle in einem Käferwall. Sie nimmt das Glas heraus, das sie wenige Wochen zuvor mit einer alkoholhaltigen Flüssigkeit befüllt hat. Die Falle für die Nützlinge. "Ich sehe zahlreiche Laufkäfer", sagt die Wissenschaftlerin. Ein gutes Zeichen. "Es ist faszinierend, welche großen Strecken diese nachtaktiven Insekten abpatrouillieren."
Im Idealfall ein Gewinn für die Ökologie und Ökonomie
Bis die Daten zusammengetragen und ausgewertet sind, dauert es noch. In den kommenden Wochen wird Preißel-Reckling deshalb immer wieder in Merkels Feldern nahe Mariaburghausen stehen – und zählen. Eine Vergleichsfläche für die Untersuchung befindet sich in Brandenburg. Läuft alles nach Plan, so endet das Forschungsprojekt in diesem Jahr. Dann wird sich zeigen, ob die Nützlinge sich lieber in den artenreichen Beetle Banks die Bäuche vollschlagen, oder ob sie tatsächlich in den bewirtschafteten Ackerflächen auf Jagd gehen. Die kleinen Biotope wären dann ein Gewinn für Ökologie und Ökonomie, die Gleichung: mehr Nützlinge, weniger Schädlinge, weniger Insektizide, mehr Artenvielfalt, mehr Ernteertrag.
Die Aussichten für Landwirte seien ohnehin nicht rosig, erklärt Klaus Merkel. Nicht nur wegen steigender Kosten für Dünger und Diesel. Merkels bewirtschaftete Fläche – insgesamt gut 400 Hektar – leide bereits unter dem Klimawandel, zuletzt wieder besonders stark unter der Trockenheit. "Seit fünf Wochen hat es nun nicht mehr richtig geregnet", sagt Merkel und deutet auf die großen Risse im Boden des Getreidefeldes. Trockenheit alleine kann bereits Wachstumsschäden bei Pflanzen verursachen. Als wäre das nicht genug, fördert sie zudem die Verbreitung von Blattläusen.
Protest der Landwirte gegen Pläne der Politik
Um dem entgegenzuwirken, ist Merkel bereit, neue Wege zu gehen: "Ich bin experimentierfreudig – solange man mir die Möglichkeiten lässt." Eine Beetle Bank anzulegen, bedeute einen hohen bürokratischen Aufwand: "Jeder Käferwall muss zentimetergenau eingemessen werden." Grundsätzlich verfolgt der Kreisobmann des BBV auch landwirtschaftspolitische Ziele. "Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es andere Möglichkeiten gibt als die Flächenstilllegung." Damit spricht Merkel die Pläne aus Brüssel an, wonach Landwirte ab dem Jahr 2023 vier Prozent ihrer Ackerflächen für den Naturschutz aus der Nutzung nehmen müssen, um weiter in den Genuss der EU-Agrarsubventionen zu kommen.
Während Naturschützern dieser Beschluss noch nicht weit genug ging, protestierte der Bauernverband lautstark gegen die Entscheidung der EU-Kommission. Maßnahmen müssten freiwillig bleiben, fordert auch Merkel. Auch die Beetle Banks, sofern sie sich tatsächlich als effiziente Möglichkeit zur Förderung der Artenvielfalt und Bekämpfung von Schädlingen erweisen. "Das wollen wir jetzt herausfinden", sagt er.