Seit Putins Angriff auf die Ukraine versucht Deutschland, die über Jahre gewachsene Abhängigkeit von russischem Gas drastisch zu reduzieren. Bei der Suche nach Ersatz zu den immer teurer werdenden fossilen Brennstoffen geraten auch lange Zeit wenig beachtete Alternativen in den Blick. Alternativen, wie es sie etwa im Landkreis Haßberge geben könnte. Genauer: darunter. Denn im östlichen Unterfranken finden derzeit wissenschaftliche Untersuchungen statt, die das geothermische Potenzial der Region erfassen.
Der Hoffnungsträger in der Tiefe ist ein gigantischer Block aus Granit: 38 Kilometer lang, drei bis acht Kilometer breit und bis zu 160 Grad Celsuis heiß, so die Schätzungen der Wissenschaft. Entdeckt, wenn man so will, hat diese Wärmeanomalie Dr. Wolfgang Bauer vom GeoZentrum Nordbayern der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. "In ganz Franken sehe ich im Dreieck Schweinfurt, Coburg, Bamberg das größte geothermische Potenzial", sagt Bauer. Dort liegt: der Landkreis Haßberge.
Wie sind die Wissenschaftler auf die Anomalie gestoßen?
Lange beruhten die Erkenntnisse des Geologen vor allem auf Daten aus dem vergangenen Jahrhundert. Bei Bad Staffelstein im Landkreis Lichtenfels etwa, bekannt für seine heißen Thermalquellen, reichten Bohrungen bis zu 1200 Meter in die Tiefe. Südlich von Eltmann suchte man in den 1950-er Jahren nach Erdöl. Und bei Mürsbach im Itztal im Oberfränkischen hatte es in den 1970-er Jahren eine Gasspeichererkundung gegeben.
Vor 20 Jahren schon sammelte Bauer die Messdaten solcher Bohrungen und wertete sie für seine Dissertation aus. Das Ergebnis, sagt er, war erstaunlich: "Die Temperaturen in der Tiefe waren allesamt höher als erwartet." Seitdem ist der Wissenschaftler den Erdwärmequelle in Franken auf der Spur.
In einem Forschungsprojekt der Geothermie-Allianz-Bayern gab es im Jahr 2018 weitere Voruntersuchungen. Um genauere Informationen über die Beschaffenheit des Bodens zu erlangen, setzten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine seismische Messmethode ein. Dabei erzeugen Spezialfahrzeuge Schallwellen mit Hilfe einer Rüttelplatte, die auf den Boden abgesenkt wird. Das damalige Untersuchungsgebiet dehnte sich noch über die Städte Haßfurt, Bayreuth, Bamberg und Coburg aus. Gleich dem Schnitt durch eine Torte liefere diese Messmethode allerdings nur ein zweidimensionales Bild des Untergrunds, sagt Bauer.
Welche Untersuchungen des Untergrunds finden aktuell statt?
Seit Anfang August laufen im Landkreis deshalb sogenannte gravimetrische Untersuchungen, die helfen sollen, eine Art dreidimensionale Landkarte vom Untergrund zu erstellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben hierfür ein virtuelles Raster über die Region gelegt. "Alleine im Landkreis Haßberge messen wir an 2000 Punkten", sagt Jörg Naumann vom Dienstleister Geophysik GGD aus Leipzig, der die Daten erhebt. Hochempfindliche Messgeräte, sogenannte Gravimeter, würden die geringsten Schwerkraft-Änderungen registrieren, die von Dichteunterschieden im Untergrund hervorgerufen werden.
Noch steckt vor allem Hoffnung in dem Forschungsprojekt. Denn die bislang erhobenen Daten würden noch keinen endgültigen Schluss zulassen, ob unter dem Landkreis Haßberge tatsächlich ein natürliches Heizkraftwerk schlummert, sagt Wolfgang Bauer: "Aber wir können erahnen, dass da unten etwas sein muss." Bis Sommer 2023 soll der Abschlussbericht der gravimetrischen Messungen aus dem Landkreis Haßberge vorliegen – und mit ihm im Idealfall mögliche Standorte zur Erschließung der schier unerschöpfliche Energiequelle.
Wie könnte die Wärmequelle im Osten Unterfrankens genutzt werden?
Bestätigt sich der Optimismus des Wissenschaftlers, wären kostspielige Schritte nötig. Bauer spricht von mindestens zwei erforderlichen Bohrungen in eine Tiefe von bis zu 5000 Meter. Eine, um das Thermalwasser zu fördern; eine weitere, um es zurück in den Boden zu leiten. Kosten: jeweils bis zu 12 Millionen Euro. "Bei der Geothermie sind die Anfangsinvestitionen hoch", sagt Bauer. "Aber je nach geförderter Temperatur reden wir hier auch nicht davon, ein Einfamilienhaus mit Wärme zu versorgen, sondern ganze Städte."
Ein Geothermiekraftwerk müsste gebaut werden, das dem Wasser aus der Tiefe die Wärme entzieht, diese dann entweder in Strom verwandelt oder über ein Wärmenetz in die angeschlossenen Haushalte befördert. Das geothermische Potential, das unter dem Landkreis Haßberge schlummern könnte? "Bei einer Leistung von elf Megawatt könnte man bis zu 2000 Haushalte versorgen - mit nur einer Bohrung", sagt Bauer zu seinen Berechnungen. Je nach Untergrund könne es im Landkreis bis zu zehn Bohrungen geben. Der Vorteil: "Geothermie ist grundlastfähig, also rund um die Uhr vorhanden, und nicht abhängig von Wind oder Sonne."
Gibt es im Landkreis Haßberge konkrete Pläne, Energie aus der Tiefe zu nutzen?
In den Haßbergen setzt man bislang vor allem auf Wind und Sonne. Hier gilt die GUT, die kreiseigene Gesellschaft zur Umsetzung erneuerbarer Technologieprojekte, als Ideenschmiede für die Energiewende. "Aktuell spielt die Tiefengeothermie in unseren Überlegungen keine Rolle", sagt Geschäftsführer Marco Siller. Als Grund führt er das bislang nicht ausreichende wissenschaftliche Fundament an. Zudem fehle das kurzfristiges Potenzial: "Die Entwicklung eines solchen Projektes dauert gemäß den Informationen der FAU mindestens sechs Jahre."
Tatsächlich sprechen auch andere Aspekte gegen eine breitere Nutzung der Tiefengeothermie: Sie rechnet sich erst in großen Stil. In einer zersiedelten Region wie dem Landkreis Haßberge mit seinen 26 Gemeinden und zahlreichen Ortsteilen wäre die Erschließung wohl unprofitabel. Die Kreisstadt Haßfurt mit knapp 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern könnte profitieren, sagt Geologe Bauer. Doch dort hatte Stadtwerk-Chef Norbert Zösch zuletzt mit einem anderen ehrgeizigen Projekt aufhorchen lassen: mit einer Flusswasserwärmepumpe, die Teile der Altstadt durch den Main beheizen könnte.
Welche Risiken können durch die Tiefengeothermie entstehen?
Tiefengeothermie hat ohnehin einen schweren Stand. So kam es in manchen Regionen in Deutschland durch den Betrieb entsprechender Kraftwerke bereits zu kleineren Erschütterungen. Und im französischen Elsass entschied die Präfektur nach mehreren Erdbeben, ein nahegelegenes Geothermie-Projekt einzustellen.
Geologe Wolfgang Bauer sagt: "Das Risiko muss vorher sorgfältig geprüft werden, dafür sind unsere Voruntersuchungen da." Er spricht von "kritisch orientierten Störungszonen". Wo es eine solche gebe, "bleibt man besser weg". Aber, betont er: "In Nordbayern haben wir so etwas nicht. Wir setzen alles daran, dass wir solche Standorte meiden." In Frankreich sei zu hoher Druck bei der Rückführung des Wassers in den Untergrund gelangt. "Auch dann kann es scheppern." Aber das sei ebenfalls vermeidbar.
Welche Rolle spielt die Tiefengeothermie im Freistaat Bayern?
In der Bayerischen Staatsregierung hat man das Potential offenbar erkannt, das in der Tiefe unter dem Freistaat schlummert - wenn auch spät. Das Wirtschaftsministerium gibt inzwischen das Ziel aus, 25 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor bis zum Jahr 2050 durch Geothermie decken zu wollen. Tatsächlich steckt der Freistaat viel Geld in die dazugehörige Forschung: laut Wissenschaftsministerium 21 Millionen Euro von 2016 bis 2024.
2016 hatten sich Universitäten und Hochschulen zur Geothermie-Allianz Bayern zusammengeschlossen, die jetzt beim Forschungsprojekt in Franken federführend ist. Im Alpenvorland gibt es bereits seit geraumer Zeit erfolgreiche Projekte der Tiefengeothermie. Der Energieatlas Bayern zählt derzeit 23 aktive Anlagen zur Wärme- oder zur Stromgewinnung im Freistaat.
Verstehe ihre Frage nicht was Geothermie nach Baden-Würtemberg zu tun hat? Davon steht nichts im Artikel.
"... für die nächste Schnapsidee übrig..."
Was spricht dagegen Strom von Gaskraftwerken in Würzburg oder Eltmann durch Geothermie zu ersetzen? Jede eingesparte kWh Strom die wir nicht durch fossile Ressourcen - die wir teuer im Ausland kaufen müssen- erzeugen müssen ist super.
Wenn Geothermie woanders in Deutschland funktionier, warum sollte es nicht im Landkreis Haßberge funktionieren?
https://www.tiefegeothermie.de/news/22-geothermie-kraftwerke-betrieb