Die Fußballweltmeisterschaft 2022 steht vor der Tür. Und bald schon kickt das Team der deutschen Mannschaft den Ball über den Rasen, beim ersten Spiel gegen Japan am 23. November. Doch trüben die politischen und ethischen Bedenken die Vorfreude auf die Veranstaltung? Und verfolgen die Haßberglerinnen und Haßbergler die Spiele überhaupt? Diese Redaktion hat mit sieben Personen aus der Region gesprochen.
1. Cynthia Derra findet, dass durch die WM ein Zerrbild von Katar entsteht
Cynthia Derra wohnt in den Heiligen Ländern, ist politisch engagiert und begleitet das Amt einer Kirchenvorsteherin in der lutherisch-protestantischen Kirchengemeinde Gleisenau. Dass die Fußballweltmeisterschaft in Katar stattfindet, stößt bei ihr auf keine Begeisterung. "Ich bin kein großer Fußballfan, daher ist es mir grundsätzlich gleich, wann wer wo herumkickt." Doch das sportliche Ereignis, die Begeisterung und Faszination, die über die Bildschirme der Welt flimmern, all das steht laut Derra im Gegensatz zur dort gelebten Wirklichkeit. Das Fußballereignis geht vorüber, in so manchen Köpfen bleibt aber vermutlich die Erinnerung an ein grandioses Ereignis. Ein Zerrbild, von dem wir nicht wissen, wohin es führt, so Derra.
2. Kareem Aldbiyat sorgt sich, dass die Arbeiter ungerecht behandelt werden
Aldbiyat hat in Syrien internationale Beziehung und Diplomatie studiert, kam vor sieben Jahren nach Deutschland und ist Schichtarbeiter in einem Sicherheitsbetrieb. Ihn interessiert die Weltmeisterschaft. Als Kind hat er mit großer Leidenschaft Fußball gespielt, hier in Deutschland jedoch noch nicht die Zeit gefunden, sich mit dieser Sportart weiter auseinanderzusetzen. Grundsätzlich ist es ihm egal, wo die WM stattfindet, berichtet er.
Doch er fragt sich, was mit dem Stadion passiert, nachdem die Weltmeisterschaft vorbei ist. Er fühlt mit den Arbeitern, die am Bau beteiligt waren, die unter härtesten Arbeitsbedingungen für geringen Lohn gearbeitet hätten, und womöglich gestorben sind. "Gesundheit kann nicht zurückgebracht werden", sagt Aldbiyat. Und: "Wäre es in diesem reichen Land nicht möglich gewesen, sinnvollere Projekte zu verfolgen und bessere Löhne zu zahlen?"
3. Karl Weißenberger kann sich nicht auf die Fußballspiele freuen
In Karl Weißenbergers Brust schlagen zwei Herzen: der Oberschwappacher ist fest eingebunden in die Flüchtlingsarbeit und er koordiniert die Ukrainehilfe in der Gemeinde Knetzgau. Er hat Hochachtung vor dem Wertesystem, das die westliche Kultur auszeichnet. Für Weißenberger steht das im deutlichen Widerspruch zu dem, was man aus dem Gastgeberland in Sachen Freiheit und Toleranz hört. "Kann man sich dort als Gast wohlfühlen, geht man dort freiwillig hin?", fragt er sich. Er sieht gerne beim Fußball zu. Aber: So richtig freuen auf die kommenden Spiele kann er sich nicht. "Die äußeren Umstände sind einfach ein Wermutstropfen."
4. Thomas Ort boykottiert die WM und lässt den Fernseher ausgeschaltet
Thomas Ort ist eingefleischter Fußballfan. 370 Spiele des FC Bayerns hat er schon live gesehen. Er ist gläubiger Christ und politisch engagiert, mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Sozialwohl. Er ist entsetzt gewesen, als klar wurde, dass die WM in Katar stattfindet, erzählt er. Seitdem ist für ihn klar: Er wird kein Spiel verfolgen. Einfach unmöglich ist laut Ort aus christlicher Sicht, dass ein solches Event in die Adventszeit fällt und massiv die Anstrengungen zu nachhaltiger Lebensweise konterkariert. Ort weiß, dass er als Einzelperson auf die Vergabeentscheidung keinen Einfluss nehmen konnte. Um ein Zeichen zu setzen, lässt er jedoch den Fernseher ausgeschaltet – für eine geringere Einschaltquote während der Fußballspiele.
5. Tobias Reßmann findet es schade, dass die WM im Winter stattfindet
Der Eltmanner Tobias Reßmann ist selbst ehemaliger Fußballer und Vorsitzender der Zabelstein Runners. Wenn er sich vor dem Bildschirm auf das Spiel konzentriere, sagt er, blieben alle Probleme rund um den Sport ausgeblendet. Was für ihn aber nicht heiße, dass ein humanes, faires Umfeld nicht für alle Sportaktivitäten – gleich, ob Hobbysport oder bei den Profis – eine Selbstverständlichkeit sein müsse. "Ich möchte Vorbild sein für die Jugend, keinesfalls dürfen ethische Werte auf den Opfertisch von Gier, Profit und Korruption gelegt werden."
Zur Weltmeisterschaft nach Katar würde er schon allein aus diesem Grund der Nationalmannschaft keinesfalls nachreisen. Und dass die WM in den Wintermonaten stattfindet, sei schlicht und einfach "schade". Im Sommer entwickle sich in der Fangemeinde "eine ganz andere Euphorie".
6. Herbert Nölscher wird sich keines der WM-Spiele anschauen, auch wenn es ihm schwerfällt
Herbert Nölscher ist, wie man landläufig sagt, ein Fußballnarr: bekennender "Clubberer" und Vorsitzender der Clubfreunde Eltmann. Er liebt die Atmosphäre in den Fußballstadien. Für ihn sei es ein absolutes Highlight gewesen, das Spiel Argentinien gegen Mexiko bei der Weltmeisterschaft in Deutschland live erlebt zu haben. Er fühle sich einfach wohl in der Gesellschaft, unter Gleichgesinnten, unter Seelenverwandten.
Und genau dies sei auch das Problem, das er mit der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft in Katar habe: ein Land, das überhaupt keine Fußball-Liga hat. Dort treffe man keine Sportsfreunde, sondern Funktionäre. Die Seele des Sports sei geopfert worden. Lieber eine Rolex am Arm als Enthusiasmus im Fanblock. Enttäuscht habe er bereits kurz nach Bekanntgabe des Austragungsortes eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens öffentlich gemacht: "Bei dieser Weltmeisterschaft werde ich mir kein einziges Spiel anschauen."