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Fussball: WM
Fußball-Weltmeisterschaft in Katar: "Die WM in Katar in dieser Form zu legitimieren, dafür finde ich kaum Worte"
Christian Rudolph aus der DFB-Anlaufstelle für sexuelle Vielfalt ist empört über die Aussagen von Innenministerin Nancy Faeser und fordert weiter einen kritischen Blick auf Katar.
Boykott-Aufrufe, wie hier beim Spiel Düsseldorf gegen Nürnberg im Oktober, kommen zu spät. Die Fußball-WM in Katar wird am 20. November beginnen.
Foto: Roland Weihrauch | Boykott-Aufrufe, wie hier beim Spiel Düsseldorf gegen Nürnberg im Oktober, kommen zu spät. Die Fußball-WM in Katar wird am 20. November beginnen.
Frank Hellmann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:20 Uhr

Ein größeres Verständnis schaffen für Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen im Deutschen Fußball - das will Christian Rudolph. Der 39-Jährige ist seit einem Jahr Ansprechpartner in der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsam Projekt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Deutschen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). Dementsprechend kritisch sieht er es, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in einem Land stattfinden wird, in dem Homosexualität verboten ist. Besonders empört ihn der Umgang der Politik mit diesem Thema.

Gerade hat Bundesinnenministerium Nancy Faeser sich bei einem Besuch mit dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf in Katar die Sicherheitsgarantien eingeholt, dass sich alle Menschen dort willkommen und sicher fühlen können. Also auch Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Haben Sie sich über diese Zusicherung gefreut?

Christian Rudolph: Auf keinen Fall. Das ist genau das, was wir nicht wollten. Das haben wir in allen entsprechenden Gesprächsrunden zuvor hinterlegt, dass der Dialog zum jetzigen Zeitpunkt kurz vor der WM nichts mehr bringt und nicht zu den Ergebnissen führt, die wir uns wünschen würden. Es geht uns um die grundsätzliche Lage in Katar und die damit ausgesandten Signale: Wenn jetzt gesagt wird, dass die WM bedenkenlos für queere Menschen sei, ist das ein fatales Zeichen für die queere Comunity in Katar. Welches Katar hat denn Nancy Faeser bitte gesehen? Dann kann sie sich auch gleich durch Nordkorea führen lassen.

Gute Mine zum bösen Spiel: DFB-Präsident Bernd Neundorf und Bundes-Innenministerin Nancy Faeser haben keine Bedenken, zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar zu reisen.
Foto: Britta Pedersen | Gute Mine zum bösen Spiel: DFB-Präsident Bernd Neundorf und Bundes-Innenministerin Nancy Faeser haben keine Bedenken, zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar zu reisen.
Das sind harte Worte. Ist ein Dialog mit den WM-Organisatoren denn nicht wünschenswert?

Rudolph: Dann aber bitte nach der WM! Ich denke, jetzt reicht es. Warum sehen wir dieses Turnier so kritisch? Weil Katar sich mit einem der wichtigsten Sportereignisse schmückt – und wir helfen jetzt mit solchen Besuchen mit, ihnen gerecht zu werden. Das halte ich für falsch. Führen wir diese Gespräche doch nach der WM, um genau draufzuschauen, was sich wirklich verändert hat. Wir müssen doch nur die letzten Weltmeisterschaften 2014 in Brasilien und 2018 in Russland nehmen: Hat es sich was in beiden Ländern für die Gesellschaft zum Besseren gewendet? Im Gegenteil! Ich kann darüber nur den Kopf schütteln, dass geglaubt wird, durch solch ein Ereignis irgendetwas zu verändern. Die WM in Katar vorher in der Form zu legitimieren, dafür finde ich kaum Worte.

Sie sind entsetzt?

Rudolph: Ja.

Sie haben gegenüber den deutschen Nationalspielern im Sommer in Herzogenaurach geschildert, dass Homosexuelle in der Öffentlichkeit nicht Händchen halten können, weil das in Katar unter Strafe steht. Haben Sie diese Befürchtung immer noch?

Rudolph: Wir sollten nicht über eine heile Welt sprechen, die jetzt erzeugt wird, wenn der Fußball-Zirkus dort bald aufschlägt. Warum wird eine WM dorthin vergeben, so dass wir jetzt darüber diskutieren, was sich vielleicht verbessert hat? Der logische Schritt müsste sein, dass ein Land zuerst solche Fortschritte auf den Weg bringt und sich dann für eine WM bewirbt. Ständig schaut der Fußball weg. Es kann beispielsweise nicht sein, dass in Katar keine Frauen-Nationalmannschaft mehr existiert – und niemand kümmert sich darum.

"Ich habe mich früher wirklich über Weltmeisterschaften gefreut, aber jetzt kann ich sie mir nicht mehr anschauen, mein Blick ist heute ein anderer."
Christian Rudolph
Also haben Faeser und Neuendorf mitgeholfen, ein Feigenblatt zu halten?

Rudolph: Leider ja. Wer wird denn nach der WM noch nach Katar schauen? Warum wird mit dieser WM immer noch so viel Geld verdient? Es wird ein Privileg für Spieler oder Fans sein, die sich die teuren Tickets leisten können, aber dieses Turnier findet auf den Gräbern von Tausenden von Menschen statt. Dann können wir gleich ein Fußballspiel auf dem nächsten Friedhof organisieren! Ich habe mich früher wirklich über Weltmeisterschaften gefreut, aber jetzt kann ich sie mir nicht mehr anschauen, mein Blick ist heute ein anderer.

Sie hätten sich gewünscht, dass Sponsoren, Medien und Verbände dem Gastgeber Katar früher die Rote Karte zeigen?

Rudolph: Die Proteste hätten damals intensiv beginnen müssen, auch von unserer Seite übrigens. Nicht erst anderthalb, zwei Jahre davor. Da müssen wir uns alle kritisch selbst an die Nase fassen. Dasselbe gilt für die Verbände der Fifa, denn dort liegt der Ball ja letztlich. Nun aber wird diese WM stattfinden, und ich bin mir auch sicher, dass sie von einer Mehrheit geguckt wird – am Ende auch mit Begeisterung, obwohl das hierzulande vom Abschneiden der deutschen Mannschaft abhängt. Wir helfen damit alle mit, Katar weiter zu legitimieren. Und wenn ich dann Kommentare wie von Sigmar Gabriel lese…

Der frühere SPD-Außenministerin Sigmar Gabriel hat zuletzt den aus seiner Sicht arroganten Umgang Deutschlands mit dem WM-Gastgeberland beklagt, die deutsche Überheblich sei zum Kotzen, schrieb er auf Twitter und erinnerte daran, dass bis 1994 in Deutschland Homosexualität auch unter Strafe stand.

Rudolph: Der Paragraph 175 war eine Schande, und auch damals war es nicht die Politik, die sich für den Schutz von Minderheiten eingesetzt hat, es war die Gesellschaft und die queere Community die sich ihr Recht erkämpfen musste. Weshalb der Paragraph auch erst 1994 abgeschafft wurde. Auch gab es keine Folter oder Todesstrafe. Katar will in der Weltgemeinschaft wirtschaftlich erfolgreich sein. Daher stelle ich mir als nächstes die Frage, ob mit diesem Event Geld verdient werden kann. Wenn der Ausrüster für die Nationalelf Dänemarks ein schwarzes Trikot entwirft, lobe ich das, aber gleichzeitig hat Hummel mit diesem Trikot auch den größten Absatz. Davon zu profitieren halte ich für falsch. Lieber sollten alle in den Solidarfonds für die Arbeitnehmer einzahlen, die während eines Einsatzes auf WM-Baustellen getötet oder verletzt worden sind.

Dass der WM-Gastgeber um Geduld bei der Umsetzung aller Reformen bittet, nehmen Sie nicht hin?

Rudolph: Es geht doch um Menschenrechte, worüber sprechen wir denn! (wird energisch). Die Menschenrechte sind universell und nicht infrage zu stellen. Nicht in Deutschland, USA oder China, nicht in Ungarn oder Katar.

Christian Rudolph,  Ansprechpartner in der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsam Projekt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Deutschen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD)
Foto: Caro Kadatz, LSVD | Christian Rudolph, Ansprechpartner in der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsam Projekt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Deutschen Lesben- und ...
Der DFB-Präsident Bernd Neuendorf versucht als früherer Politiker erkennbar den Spagat. Einerseits Missstände ansprechen, aber den WM-Ausrichter auch nicht verärgern. Reicht Ihnen das?

Rudolph: Er hatte mit der Vergabe der WM nichts zu tun, aber ich würde mir weiterhin die klar kritische Auseinandersetzung wünschen – auch nach der WM. Das Problem ist doch, dass alle, auch die DFB-Vertreter*innen, nun bei der WM das Katar, das wir eigentlich sehen müssten, gar nicht zu Gesicht bekommen, weil die betroffenen Menschen abgeschirmt oder gar nicht mehr im Land sind. Allen WM-Gästen wird ein roter Teppich ausgerollt und eine heile Glitzerwelt präsentiert…

Und dagegen sollte man sich stemmen?

Rudolph: Ich glaube schon, dass alle kritischen Äußerungen wahrgenommen werden, deshalb war es gut, dass wir direkt vor der deutschen Nationalmannschaft in Herzogenaurach sprechen konnten, wo ich das Gefühl hatte, dass unsere Botschaften ankamen. Es war auch gut das wir in dem Rahmen offen unsere Kritik äußern konnten. Daraus muss sich eine Haltung entwickeln, weil wir uns den Themen stellen müssen. Wir müssen ehrlich mit dieser WM umgehen, wir dürfen nicht wegschauen. Das sind wir den Menschen, die in Katar unter Angst leben, weil sie sich nicht frei bewegen und äußern können, weil ihnen Verfolgung, Folter oder Tod droht, einfach schuldig. Das ist das mindeste. Wir dürfen die WM nicht verteidigen, es ist wichtig das wir die Missstände öffentlich ansprechen nur so erreichen wir Veränderungen. Wir müssen den Menschen vor Ort Mut geben und eine Stimme.

Sind Sie schon in Katar gewesen?

Rudolph: Nein.

Sind nicht die wahren Schuldigen diejenigen, die 2010 im Fifa-Exekutivkomitee für Katar gestimmt haben?

Rudolph: Klar, aber die sind heute nicht mehr da. Ich störe mich jetzt wirklich mehr an Stimmen wie von Uli Hoeneß, der nichts verstanden hat, wenn er uns daran erinnert, dass wir doch froh sein sollten, dass unsere Wohnungen bald mit Flüssiggas aus Katar geheizt sind. Das ist eine sehr bequeme Haltung von einem reichen Menschen, der sicher keine Probleme hat, seine Villa zu heizen und mehr verbraucht als zum Beispiel eine Familie mit geringerem Einkommen in einer kleinen Wohnung.

Sie hören sich insgesamt so an, als hätte diese WM zwingend boykottiert werden müssen.

Rudolph: Natürlich hätte diese WM nie dorthin gegeben werden dürfen. Und natürlich hätte es Alternativen gegeben, die WM noch woanders auszurichten, als klar war, dass sich in Katar in Bezug auf zum Beispiel die Rechte von Frauen und queeren Menschen nichts ändert oder in Sachen freier Meinungsäußerung. Aber jetzt ist es zu spät.

Steffen Baumgart, der Trainer vom 1. FC Köln, hat zuletzt Kritik an Katar geübt, aber auch daran erinnert, dass in Deutschland ganz viel schiefläuft. Beispielsweise in der Bildungspolitik. Und die Liste ließe sich leicht verlängern. Wie hoch darf die moralische Messlatte gelegt werden?

Rudolph: Noch mal: Es geht um die Menschenrechte, die haben verdammt noch mal überall zu gelten. Das hat nichts mit westlichen Werten zu tun. Natürlich haben wir hier auch Probleme, und darüber mache ich mir ja gerade Gedanken: Die WM in Katar raubt uns so viel Kraft und Energie, aber ich bin überzeugt von meiner Pflicht, den Umgang mit der WM zu kritisieren, damit wir unsere Verantwortung wahrnehmen wenn der DFB an einem solchen Turnier teilnimmt.

 
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