Corey Flagg lebt außerhalb der Kleinstadt Wadena im US-Bundesstaat Minnesota, Hans Postler in Bundorf am Rande des Landkreises Haßberge. Die beiden Männer trennen gut 7000 Kilometer Luftlinie, ein Flug von etwa zehn Stunden sowie ein Zeitunterschied von rund sieben Stunden. Dennoch verbindet sie seit knapp 50 Jahren eine enge Freundschaft, die der großen Entfernung und der unterschiedlichen Nationalitäten trotzt.
Zutritt verboten: "Es war gar nicht so einfach, ihn in die Disko zu bekommen"
Alles begann im Jahr 1976, als Flagg sich entschied, den Zug von Schweinfurt nach Haßfurt zu nehmen. Der US-Amerikaner war in der Kugellager-Stadt als Soldat stationiert. "Es war das erste Mal, dass ich die Ledward Barracks verlassen habe", erinnert er sich. "Ich konnte nicht einfach nur herumsitzen und nichts tun. Also habe ich einen Zug genommen. Ich wusste nicht einmal, wie das genau funktioniert", sagt der heute 69-Jährige und lacht.
In Haßfurt angekommen sei er zunächst zum Marktplatz gegangen, dann ein wenig in der Stadt herumgehangen und schließlich in einer Diskothek gelandet. Dort traf er auf Hans Postler und dessen Bruder sowie ein paar weitere Einheimische, allesamt Mitglieder des örtlichen Motorradclubs der Condors. Es sollte nicht sein einziger Ausflug aus der Kaserne nach Haßfurt bleiben. Im Laufe der folgenden Wochen sei er immer wieder zurückgekommen. "Jedes Wochenende, wenn ich konnte", sagt Flagg.
"Es war gar nicht so einfach, ihn in die Disko zu bekommen", erzählt Postler. Verschiedene Clubs und Diskotheken hätten damals den Angehörigen des Militärs den Zutritt verboten, da es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Schlägereien gekommen sei. "Sei still, sag kein Wort", habe es immer geheißen, wenn er sich in der Gruppe aus Deutschen in die Disko schlich, erinnert sich Flagg mit einem Lachen an seine ersten Besuche in Haßfurt.
In Postlers Keller schraubten sie den Winter über an Flaggs Harley
Die Kommunikation miteinander gestaltete sich ebenfalls alles andere als leicht, denn Flagg sprach kein Deutsch und Postler anfangs – mittlerweile spricht er es fließend – kein Englisch. "Wir haben manchmal zwei, drei Stunden damit verbracht, die Bedeutung eines Wortes herauszufinden", berichten die beiden. Ein Wörterbuch hatten sie nicht zur Hand. Das erste Mal, das sie länger zusammensaßen, sei es um das Wort "insurance" gegangen, erinnern sie sich. "Ich wusste nicht, was es heißt, und Corey versuchte, es mir zu erklären."
Wenn die beiden nicht gerade damit beschäftigt waren, sich der Bedeutung eines Wortes wie "Versicherung" klar zu werden, sprachen sie – so gut es eben ging – über Motorräder. Ihre große gemeinsame Leidenschaft. "Im Winter '77 haben wir meine Harley in seinem Keller auseinandergelegt und wieder zusammengebaut. Es war am Ende ein komplett neues Motorrad", sagt Flagg mit einem Augenzwinkern. Hans habe zu dem Zeitpunkt auch eine neue Maschine gehabt. "Es war unser stolzester Tag, als wir beide Motorräder schließlich aus dem Keller geholt haben."
Nachdem der US-Amerikaner Ende 1978 in seine Heimat zurückkehrte, hielten sie Kontakt. "Hans hat immer angerufen, wenn ich gerade geschlafen habe", beschwert sich Flagg im Scherz. "Wir haben oft telefoniert, was damals richtig teuer war", erklärt Postler. "Fünf Dollar die Minute hat es gekostet", fügt Flagg an. "Und heute können wir per Video miteinander telefonieren – umsonst." Jede Woche würden sie auf diese Weise nun gemeinsam ein Bier trinken.
Spontanbesucher aus den USA mit Ehefrau und ohne gültigen Pass
Auch gegenseitige Besuche, teilweise mit der ganzen Familie, gab es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder. Mindestens 15 Mal sei er nach Deutschland gekommen, berichtet Flagg. Mitunter auch recht spontan. "Da ist jemand für dich am Flughafen. – Wer ist am Flughafen? – Flagg ist am Flughafen", erinnert sich Postler, wie ihn einst jemand über die Ankunft seines Freundes aus den USA informierte. "Ich hatte ihm nicht erzählt, dass ich geheiratet hatte, und meine Frau mitgebracht", ergänzt Flagg mit einem Lachen. Eine Unterkunft hatten sie nicht, also blieben sie bei Postler und dessen Frau.
Zum 40. Geburtstag seines Freundes reiste Flagg 1997 kurzfristig für drei Tage an – mit einem Ticket nur für den Hinflug und einem abgelaufenen Pass. Bei der Einreise habe er stattdessen seinen Führerschein vorgelegt, berichtet der US-Amerikaner. Für sein Rückflugticket indes sammelte die hiesige Freundesgruppe untereinander Geld. Der abgelaufene Pass sorgte dann aber doch noch für Probleme: "Auf dem Heimweg wurde ich am Flughafen bei der Kontrolle rausgezogen. Der Typ dachte sicher, er hat den Fang des Jahres gemacht."
Es sind Erinnerungen wie diese, die Corey Flagg und Hans Postler gemeinsam zum Besten geben, als sie im Gespräch mit der Redaktion ihre Freundschaft Revue passieren lassen. Zuletzt war der Deutsche für drei Wochen in den USA, dann der US-Amerikaner für vier Wochen in Deutschland. "Ich habe neulich mit meinem Bruder telefoniert und gesagt: Kannst du dir vorstellen? Sieben Wochen mit einem Freund und er hat mir nur fünf Mal gesagt, dass ich die Klappe halten soll", erzählt Flagg und lacht.
Das Geheimrezept ihrer Freundschaft? So ganz genau wissen die beiden das auch nicht. Die Chemie stimmt wohl einfach irgendwie. Sie hätten immer viel Spaß zusammen und würden einfach das Leben genießen, erklären die Freunde. Groß gestritten hätten sie sich in all den Jahren nicht. Eine Regel aber gibt es, wie Postler sagt. Über Politik und Religion werde nicht gesprochen. "Damals, wenn ich Hans in der Disko gesehen habe, wusste ich, es würde ein gutes Wochenende werden", erinnert sich Flagg. "Und hier sitze ich nun für vier Wochen. Ich hatte wohl recht."
Hinweis: Das Gespräch mit Corey Flagg und Hans Postler wurde auf Englisch geführt und im Nachhinein übersetzt.