Es lässt sich kaum verhindern, dass bedeutende Personen der Geschichte zur Projektionsfläche werden. So manche Biographie über große Persönlichkeiten sagt mehr über ihren Autor und seine Ideen aus, als über den Menschen, dessen Leben nacherzählt werden soll. Keine Ausnahme stellt hier auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg dar, der berühmt ist für seinen Versuch, Adolf Hitler zu töten. Mit den vielen Stauffenberg-Bildern, die in der Welt herumgeistern, hat sich seine Enkelin, die Historikerin Sophie von Bechtolsheim, in ihrem Buch "Stauffenberg – mein Großvater war kein Attentäter" beschäftigt, aus dem sie am 12. September in Haßfurt lesen wird.
"Der Titel ist natürlich eine Provokation", sagt die 1968 geborene Autorin. Sie könne und wolle niemandem verbieten, ihren Großvater als Attentäter zu bezeichnen; auch sie selbst habe das Wort in der Vergangenheit schon im Zusammenhang mit ihm gebraucht. "Aber ich muss zugeben, dass mich oft ein Unbehagen erfasst hat, wenn mich Leute gefragt haben, ob mein Großvater der ,Attentäter' war", erzählt sie. "Attentäter" werde da fast zu einer Art Berufsbezeichnung. Sie sieht das Problem, dass Menschen bei dem Wort "Attentat" schnell an Terrorismus denken. An Täter, die Angst und Schrecken verbreiten wollen; kein Begriff also, der zu jemandem passt, der einen Massenmörder in seinem Tun stoppen will.
Stauffenberg als Mensch und Vater
Sophie von Bechtolsheim bezeichnet den Titel ihres Buches vor allem als "Einladung, über ein paar Begriffe nachzudenken". So schlägt sie auch eine Alternative zum Begriff "Attentat" vor: "Mir ist das Wort ,Tyrannenmord' lieber." Denn gerade die Tatsache, dass damit von einem "Mord" die Rede ist, eröffne auch das Dilemma, das in dieser Tat steckt. "Ihnen war bewusst, dass sie Schuld auf sich laden", sagt die Historikerin. So sei es auch in den Kreisen der Verschwörer nicht unumstritten gewesen, ob die Konsequenz aus der Ablehnung der Nationalsozialisten wirklich ein Anschlag auf den Diktator sein könne.
Sophie von Bechtolsheim erzählt, schon als Kind habe sie die Frage interessiert, was ihren Großvater und all die anderen, die an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 beteiligt waren, beispielsweise von den RAF-Tätern unterscheidet – auch wenn sie die politische Dimension damals noch nicht interessiert habe. "Es ging eher darum, wie er als Mensch und als Vater war." In ihrem Buch versucht sie, sich der Person Claus von Stauffenberg auf eine persönliche Weise zu nähern. Ihr Ansatz sei, im Gegensatz zu manchen anderen Autoren, keine Thesen aufzustellen, sondern die Personen, über die sie schreibt, "in ihrer Lebenswirklichkeit zu belassen". "An meiner Seite kann mich der Leser begleiten", sagt sie.
Doch wie hat die Autorin versucht, sich ein Bild von einem Mann zu machen, der zum Zeitpunkt ihrer Geburt bereits seit 24 Jahren tot war? "Indem man Menschen, die ihn gekannt haben, gefragt hat", sagt sie. Zunächst waren das die Kinder von Oberst Stauffenberg, vor allem zwei seiner Söhne; der Vater und der Onkel der Autorin. Später, etwa ab ihrem 17. Lebensjahr, erfuhr sie dann besonders viel von ihrer Großmutter Nina, der Witwe des Widerstandskämpfers. "Vorher hatte ich mich nicht getraut, sie zu fragen", sagt Sophie von Bechtolsheim: Zu groß war die Angst, dass die Trauer ihre Großmutter übermannen könnte. Doch dann habe sich Nina von Stauffenberg als gute Erzählerin herausgestellt.
Damals war die Familie in den Landkreis Haßberge gezogen, wo Sophie von Bechtolsheims Mutter und Vater, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Franz Ludwig von Stauffenberg, heute noch leben. Die Autorin war damals Abiturientin und ging in Bamberg zur Schule, wo auch ihre Großmutter lebte.
Viel mehr als eine kleine Gruppe
Im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt Sophie von Bechtolsheim auch über weit verbreitete falsche Vorstellungen von ihrem Großvater und dem Anschlag vom 20. Juli 1944; unter anderem über die starke Konzentration auf die Einzelperson Stauffenberg und den kleinen Kreis seiner engsten Mitverschwörer. "Man weiß heute nicht, wie viele insgesamt dabei waren", sagt sie. Allerdings halte sich immer noch die falsche Vorstellung von einer sehr kleinen Gruppe – wohl auch eine Propagandalüge der Nazis, die nicht wollten, dass der Eindruck von einer großen Widerstandsbewegung entsteht. Das Bild von der Geschlossenheit zwischen Volk und Führer hatte ohnehin durch den Anschlag einen Kratzer bekommen.
Tatsächlich war die Gruppe der Verschwörer wohl viel größer als lange angenommen und umfasste nicht nur Soldaten wie Oberst Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow oder die in der Nacht zum 21. Juli zusammen mit Stauffenberg hingerichteten Offizieren Friedrich Olbricht, Albrecht Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften. Sophie von Bechtolsheim verweist dabei auf die aktuelle Forschung, die eine Vernetzung zwischen den Rebellen im Militär mit anderen Widerstandsgruppen, auch aus dem linken politischen Spektrum, nahelegt. "Das war so weit verzweigt, dass man weder von einer militärischen noch von einer konservativen Revolution sprechen kann."
Und was sagt die Autorin zu der von einigen Autoren geäußerten Kritik, ihr Großvater sei anfangs selbst ein Nazi gewesen und habe sich erst von Hitler abgewendet, als er sah, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war? "Das ist eine extreme Verkürzung", sagt Sophie von Bechtolsheim. Es gebe keine Belege dafür, dass Stauffenberg anfangs ein Anhänger des Diktators war. Ohnehin sei er "überhaupt kein Anhänger von irgendwas" gewesen. "Er war kein Bejubler", lautet die Einschätzung seiner Enkelin, die sich dabei vor allem auf die Erzählungen ihrer Großmutter stützt.
"Was man aber auch klar sagen muss: Er war zu Beginn auch kein Gegner", sagt die Autorin. Denn in einigen Punkten hatte er in seinen Ansichten durchaus mit denen der Nazis übereingestimmt, beispielsweise was die Ablehnung des Versailler Vertrags angeht. So beschreibt sie seinen Blick auf Hitlers Aufstieg eher als "beobachtendes Staunen", bei dem er allerdings übersehen habe, "was für eine mörderische Bedrohung dahintersteckt". "Das kann man meinem Großvater sicher vorwerfen", sagt Sophie von Bechtolsheim und spricht vom "Versagen einer ganzen Generation".
Sprache als Vorbote schrecklicher Taten
In diesem Zusammenhang lässt sich vielleicht auch ein recht verstörendes Zitat erklären, das von Stauffenberg überliefert ist. Während des Polenfeldzugs 1939 hatte er das Land in einem Brief an seine Frau Nina folgendermaßen beschrieben: "Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt." Seine Enkelin spricht von einem "furchtbaren Satz, den ich gar nicht relativieren will"; die Sprache, die er verwendet, bezeichnet sie als "abstoßend". Dennoch – und das dürfe eben auch nicht unterschlagen werden – sei er von den Übergriffen und dem Umgang mit den Menschen, vor allem auch der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten, entsetzt gewesen. Dies habe die Überzeugung geschaffen, dass Hitler beseitigt werden müsse. "Wir wissen heute, dass Sprache ein Vorbote sein kann für schreckliche Taten." Und mit einer gewissen Sorge fügt sie hinzu: "Die Zeit kippt wieder." Dabei gebe es durchaus Belege dafür, dass ihr Großvater sich schon lange vor dem Anschlag von Hitler abgewendet habe; beispielsweise durch überlieferte Aussagen eines Kameraden in russischer Kriegsgefangenschaft.
Was ihr an vielen Interpretationen der Ereignisse vom 20. Juli 1944 nicht gefällt, sei, "wenn man die eigenen Thesen zu Sicherheiten aufbläht". Stattdessen müsse man "transparent machen, wie dürftig die Quellenlage ist", findet die Historikerin. Unangemessen findet sie Pauschalurteile, in denen alle Adligen und alle Offiziere in einen Topf geworfen werden. Als besonders unanständig sieht sie auch Vereinnahmungen von Widerstandskämpfern für die heutige Politik mit Aussagen wie "Stauffenberg hätte dieser oder jene Partei gewählt". Ähnlich perfide werde auch mit anderen Widerstandskämpfern wie Sophie Scholl umgegangen.
Und wie steht die Stauffenberg-Enkelin zu den diversen Spielfilmen, in denen die Geschichte des Anschlags auf Hitler dargestellt wird? "Die Kunst ist frei", betont sie, dass sie keinem Regisseur und keinem Drehbuchautor in seine Darstellung ihres Großvaters hineinreden kann oder will. Die Qualität der Filme sei unterschiedlich, manche Filmemacher hatten auch den Kontakt zur Familie Stauffenberg gesucht, während andere die Nachfahren ihres "Filmhelden" außen vor ließen. Generell sei ein Problem der meisten Filme die zu starke Konzentration auf Stauffenberg, bei der die große Zahl an anderen bedeutenden Persönlichkeiten verlorengehe – wobei sie Verständnis dafür zeigt, dass in einem Spielfilm eine gewisse Verdichtung nötig ist. Dieses Problem sieht sie auch bei dem Film "Operation Walküre", in dem ihr Großvater von Tom Cruise gespielt wurde. Ansonsten wertet sie gerade diesen Film als gut umgesetzt und durchaus gründlich recherchiert.
Zu einer Lesung aus ihrem Buch "Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter" kommt Sophie von Bechtolsheim am 12. September zur Vhs in der Ringstraße 14 in Haßfurt. Beginn ist um 19.30 Uhr.
Lesen Sie zum Thema "Stauffenberg" auch den Kommentar von Martin Sage.
Ich verstehe nicht welche Probleme Frau von Bechtolsheim hat. Der übelste Tyrann den es in Deutschland je gab musste beseitigt werden, ob durch Attentat oder Tyrannenmord, völlig egal.
@Frau von Bechtolsheim
Ihr Opa war einer der wenigen die sich überhaupt getraut haben konkret etwas zu unternehmen. Das allein ist entscheidend, daran zu kritisieren gibt es nichts und darauf stolz sein durfte ihr Opa.