Diesen Samstag ist es 75 Jahre her: Am 20. Juli 1944 scheiterte das Hitler-Attentat von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Wolfsschanze. Danach, gegen 13.50 Uhr, bestieg Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg das Flugzeug, das ihn vom Landeplatz Rastenburg in Ostpreußen zurück nach Berlin bringen sollte. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass sein Anschlag auf Adolf Hitler misslungen war. Der Führer hatte die Explosion der Bombe, die Stauffenberg in einer Aktentasche unter dem großen Kartentisch platziert hatte, leicht verletzt überlebt. Stauffenberg wusste an Bord der zum Passagierflugzeug umgebauten Heinkel-111 (HE-111) auch nicht, dass er selbst den nächsten Morgen nicht mehr erleben sollte – kurz nach Mitternacht wurde der gescheiterte Attentäter in Berlin im Hof des Bendlerblocks erschossen.
Die Besatzung der HE 111 war ebenso ahnungslos. Sie hatte nicht einmal die blasseste Ahnung, wer der Oberst mit der schwarzen Augenklappe war, den sie damals zusammen mit dessen Adjutanten Werner von Haeften vom Führerhauptquartier in Rastenburg-Wolfsschanze die 650 Kilometer in die Reichshauptstadt fliegen sollten.
Bordfunker war damals Oswald Bauernschubert aus Mechenried (Lkr. Haßberge). Er verstarb am 27. März 2014 im Alter von 94 Jahren. Zu seinem 90. Geburtstag, am 5. August 2009 hatte diese Redaktion den Jubilar zu seinem Lebenslauf interviewt. Er kam in seinem angenehm unaufgeregten Tonfall beiläufig auf den 20. Juli 1944 zu sprechen. Diese Zeitung berichtete in weiteren Beiträgen über den letzten Zeitzeugen und löste damit ein bundesweites Aufsehen in der Öffentlichkeit und bei zahlreichen Militärhistorikern aus.
An die Ereignisse des denkwürdigen Tages erinnerte sich Bauernschubert damals noch sehr gut. Sein Platz als Bordfunker war direkt hinter dem Cockpit. Es gehörte zu seinen Aufgaben, mit der Flugüberwachung Kontakt zu halten, um den Piloten mit wichtigen Fluginformationen zu versorgen. Von seinem Platz aus sah er in den Passagierraum, in dem bis zu zehn Personen sitzen konnten. Ihm sei nichts Besonderes an Oberst Stauffenberg und seinem Adjutanten aufgefallen, sie hätten weder nervös noch hektisch gewirkt. Der Rückflug habe 130 Minuten gedauert und gegen 16 Uhr landete die HE-111 in Rangsdorf bei Berlin. Die Worte, die Graf von Stauffenberg anschließend an das Empfangskomitee richtete, das dort schon auf ihn gewartet hatte, haben sich in Oswald Bauernschuberts Gedächtnis eingebrannt: „Meine Herren, der Führer Adolf Hitler ist tot.“ Wie vom Donner gerührt hätten Bauernschubert und der Rest der Flugzeugbesatzung sich gefühlt, sagte der Haßbergler Jahrzehnte später.
Zur Verabschiedung der Passagiere hatte sich die Crew-Besatzung, wie es damals üblich war, in Reih und Glied auf dem Rollfeld aufgestellt. „Oswald Bauernschubert ist der letzte Zeitzeuge dieser Ereignisse“, meinte im Jahr 2011 Gerd Thieme. Der Berliner beschäftigt sich seit etlichen Jahren intensiv mit der Geschichte des Flugplatzes in Rangsdorf bei Berlin. Aus diesem Grund war er im Internet unter www.mainpost.de auf den Artikel gestoßen, der 2009 in dieser Zeitung über Oswald Bauernschubert und seine besondere Verbindung zum 20. Juli 1944 erschienen ist. Daraufhin hatte Thieme sich an den Mechenrieder gewandt.
Seinem Brief lag die Kopie eines Dokuments bei, das für Oswald Bauernschubert eine ganz besondere Bedeutung hat: Der Flugbefehl für den „kriegswichtigen Sonderflug und Verlegungsflug“ – so im Original – von Rastenburg (Wolfsschanze) nach Berlin. Das Dokument belegt eindeutig, dass der damalige Feldwebel Bauernschubert tatsächlich als Bordfunker dabei war. Dies zu beweisen, war Bauernschubert bis dahin nicht möglich gewesen. Er besaß zwar noch sein altes Flugbuch mit den entsprechenden handschriftlichen Eintragungen. Doch diese könnten nachträglich gefälscht worden sein. Der Flugbefehl war jedoch für Bauernschubert und die drei weiteren Besatzungsmitglieder bereits unmittelbar nach dem Flug noch viel wichtiger. Denn nachdem Stauffenbergs Attentat auf Hitler noch am selben Tag als Verschwörung entlarvt worden war, starteten die führertreuen Schergen eine groß angelegte Verhaftungs- und Hinrichtungswelle. Auch die Besatzung des Flugzeugs, das Stauffenberg zurück nach Berlin gebracht hatte, war den Nazis verdächtig und wurde unter Arrest gestellt. Der Flugbefehl bewies allerdings, dass sie mit der Verschwörung nichts zu tun hatten, sondern auf Befehl gehandelt hatten. Daraufhin wurden sie freigelassen. Noch am selben Tag flogen sie zurück zum Heimatstandort Lötzen in Ostpreußen, wo Oswald Bauernschuberts Fliegereinheit als Flugbereitschaft des Generalstabs stationiert war.
Wie die Geschichte für Stauffenberg endete, ist bekannt. Die von ihm platzierte Bombe hatte den Diktator nicht getötet. Experten vermuten, dass der Attentäter nur eine von zwei Bomben in einer abgestellten Aktentasche hatte scharf machen können. Dies und das Zögern beim Auslösen von „Operation Walküre“, der in Berlin vom Verschwörerkreis vorbereiteten Pläne zur Machtübernahme nach der Liquidierung Hitlers, ließen den Umsturzversuch scheitern.
Gerd Thieme hatte den Flugbefehl im Jahr 2006 von der Witwe Ewald Agatz' erhalten, der die HE-111 vom Fliegerhorst Lötzen aus geflogen hatte. Als die Frau nach dem Tod ihres Mannes dessen alte Uniformjacke in die Hand nahm, fand sie in einer Tasche einen beigefarbenen Zettel – den Flugbefehl vom 20. Juli 1944. Sie händigte Gerd Thieme das Original aus – „für einen Tag“, wie der Berliner sagt. Dennoch genug Zeit für Thieme, um mit dem Flugbefehl zur Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“ im ehemaligen Oberkommando der Wehrmacht in Berlin, dem Bendlerblock, zu gehen, um sich die Echtheit bestätigen zu lassen. Man sei dort zunächst skeptisch gewesen, dann jedoch sehr dankbar für die Hilfe, als klar war, dass es sich tatsächlich um den echten Flugbefehl handelt, beschrieb Thieme die Reaktion der Mitarbeiter der Gedenkstätte.
Nach dem Attentat auf Hitler ruhte der Flugbetrieb in Lötzen zunächst, die Flugzeugbesatzung war jedoch schon aus dem Arrest entlassen worden, wie Oswald Bauernschubert zu Lebzeiten gegenüber der Redaktion berichtete. Der Flugplatz wurde wenig später wegen der heranrückenden Roten Armee aufgelöst, die Zeit des Mechenrieders als Bordfunker war damit so gut wie beendet, doch der Krieg war noch nicht vorbei. Am 4. August 1944, so steht es in seinem Flugbuch, war Oswald Bauernschuberts letzter Kriegsflug. Es war eine Verlegung nach Wien, wo er zu einer Einheit Fallschirmjäger kam. Man hatte ihm zuvor die Wahl gelassen, ob er zu einer SS-Einheit oder zu den Fallschirmjägern wolle, sagte der Mechenrieder vor zehn Jahren im Gespräch mit dieser Redaktion. Das Kriegsende erlebte er als Fallschirmjäger in Holland. Nach vier Monaten Kriegsgefangenschaft kehrte er noch im Jahr 1945 zurück in die Haßberge.
Rückblickend sei Stauffenberg für Bauernschubert ein Held gewesen, wie er damals sagte. Im Krieg habe er dies noch nicht so gesehen. „Wir waren ja Patrioten“, sagte er gegenüber der Redaktion. „Und wir wollten nicht die Niederlage Deutschlands.“ Er vermutete, dass sich Stauffenberg sehr sicher gewesen sein muss, dass der Anschlag auf Hitler geglückt war. „Er hätte ja nicht nach Berlin fliegen müssen“, sagte Bauernschubert. Stauffenberg hätte mit der Pistole in der Hand das Flugzeug beispielsweise auch ins neutrale Schweden umleiten können, dort wäre er in Sicherheit gewesen.
Mit der Geschichte, die er als Mitbeteiligter der historischen Ereignisse rund um das Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 zu erzählen hatte, drängte sich Oswald Bauernschubert zeitlebens nie in den Vordergrund oder gar in die breite Öffentlichkeit. Auch dann nicht, als sich Hollywood des Themas im Jahr 2008 annahm und den Film mit dem Titel „Operation Walküre“ mit Tom Cruise in der Hauptrolle als Graf von Stauffenberg in die Kinos brachte. „Wenn mich jemand nach meinen Erlebnissen gefragt hat, dann habe ich davon erzählt. Aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, mich damit zu profilieren“, sagte Oswald Bauernschubert wenige Jahre vor seinem Tod gegenüber dieser Zeitung.