Wer derzeit auf der Suche nach einer Lehrstelle ist, der hat – je nach Berufswunsch – ganz gute Chancen. Denn in Bayern ist jede fünfte Ausbildungsstelle unbesetzt. Ein Trend, der sich auch im Landkreis Haßberge beobachten lässt. Zu diesem Thema standen Franziska Schuler, Geschäftsstellenleiterin der Agentur für Arbeit in Haßfurt, Bereichsleiterin Melanie Geheb-Müller und Berufsberater Peter Stretz Rede und Antwort.
Die Statistik für das abgelaufene Berichtsjahr im Ausbildungsmarkt, das am 30. September endete, ist eindeutig: Auf jeden Ausbildungssuchenden kamen im Schnitt 1,7 Stellenangebote. 189 Ausbildungsplätze waren dabei zum Stichtag im Heimatkreis unbesetzt. "So viele Stellenangebote gab es bei uns noch nie", erklärte Melanie Geheb-Müller.
406 Bewerberinnen und Bewerbern standen in den vergangenen zwölf Monaten 702 Ausbildungsstellen gegenüber. Im Vergleich zum Vorjahr gab es bei beiden Zahlen einen Anstieg. Auf der Angebotsseite ist sogar ein Zuwachs der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätzen von rund 30 Prozent zu verzeichnen.
Industriemechaniker wird gerne gelernt
Ganz oben auf der Wunschliste der Bewerberinnen und Bewerber standen Berufe wie Industriemechaniker, Kauffrau für Büromanagement, Kfz-Mechatroniker oder Verkäuferin. Unter den gemeldeten Berufsausbildungsstellen, die unbesetzt blieben, stehen an erster Stelle Angebote für eine Ausbildung zum Kaufmann beziehungsweise zur Kauffrau im Einzelhandel, gefolgt von Fleischerei-Fachverkäuferinnen und -verkäufern. Auch andere Handwerksberufe wie Bäckerei-Fachverkäuferin oder Maler und Lackierer stehen auf der Liste der offenen Stellen.
Obwohl viele Betriebe schon sehr engagiert seien bei der Präsentation ihrer Ausbildungsangebote, fänden manche wenig oder keinen Zuspruch. Woran das liegt, machte Peter Stretz deutlich: "Viele Jugendliche sind sehr unsicher, welche berufliche Entscheidung sie treffen sollen". An fehlenden Praktikumsmöglichkeiten liege das laut dem Berufsberater nicht. Vielmehr fühlen sich die Berufsanfänger überfordert von den vielen Möglichkeiten, wie sie ihre Zukunft gestalten können, ist Stretz überzeugt. Er empfiehlt bei seinen Gesprächen mit den Jugendlichen deshalb, über den Tellerrand hinaus zu denken: "Wo wollt Ihr beruflich in zehn Jahren stehen?"
Schon jetzt an Weiterbildungsmöglichkeiten denken
Schon bei der Berufswahl sollten die jungen Frauen und Männer an Weiterbildungsmöglichkeiten denken und einen Karrieretraum verfolgen. Dabei stünden die Chancen derzeit nicht schlecht, seinen persönlichen Zukunftswunsch zu verwirklichen, denn der Fachkräftemangel werde bleiben. Davon ist Sretz überzeugt.
Der Blick in die Betriebe der Region zeigt: Zumindest große Industrieunternehmen scheinen so gut wie keine Probleme zu haben, Nachwuchskräfte zu akquirieren. Bei der Fränkische Rohrwerke Gebr. Kirchner GmbH & Co. KG in Königsberg und der Rösler Oberflächentechnik GmbH in Untermerzbach konnten zum diesjährigen Ausbildungsbeginn so gut wie alle Ausbildungsplätze besetzt werden.
"Wir haben derzeit 80 Auszubildende und duale Studenten, wovon 27 die Ausbildung 2023 begonnen haben", weiß Tamara Müller als Referentin für das Ausbildungsmarketing bei den Fränkischen Rohrwerken. Das weltweit tätige Unternehmen mit seinen insgesamt 5.800 Mitarbeitenden bildet in Königsberg unter anderem zum Industriemechaniker, Maschinen- und Anlagenführer, zur Fachinformatikerin sowie in weiteren Berufen aus.
Neben der Teilnahme an Berufsausbildungsmessen stehe im Vordergrund die Zusammenarbeit mit den regionalen Schulen, um Auszubildende zu finden. Fast alle Auszubildenden konnten dabei nach dem erfolgreichen Bestehen der Abschlussprüfung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden, berichtet die Referentin.
Rösler bildet seit diesem Jahr sogar Köche aus
Ähnlich ist die Lage bei der Rösler-Gruppe, die weltweit 1.500 Beschäftigte hat. Am Standort Untermerzbach gibt es Ausbildungsangebote für Chemielaboranten, Elektronikerinnen für Betriebstechnik, Industriekaufleute, Konstruktionsmechaniker und einige Berufe mehr. Ganz neu ab diesem Jahr bildet Rösler auch als Koch oder Köchin aus, wie Ausbildungsleiterin Anja Süppel informiert.
Aktuell beschäftigt Rösler 54 Auszubildende und sieben duale Studenten, wovon 24 junge Menschen im September dieses Jahres ins Berufsleben gestartet sind. "Die Ausbildung junger Nachwuchskräfte geht mit dem Ziel einher, diese im Nachgang bei uns zu übernehmen", verdeutlicht Süppel das Bestreben des Unternehmens.
Azubis mithilfe der sozialen Medien finden
Rösler ist auf vielen regionalen Messen und bei Schulveranstaltungen mit seinen Auszubildenden und Ausbildern aktiv vertreten. Ebenso bietet die Firma Praktika oder die Teilnahme am "Girls' Day" an. Über die sozialen Medien, wie Facebook und Instagram, versucht die Firma junge Schulabgänger anzusprechen, so Süppel.
Eine andere Lage zeichnet sich offenbar in kleineren Handwerksbetrieben ab. So zum Beispiel bei der Berchtold Maler & Gerüstbau GmbH in Zeil, einem Familienunternehmen, das 1990 von Malermeister Paul Berchtold gegründet wurde. Heute führt sein Sohn Johannes Berchtold das Unternehmen.
In den 33 Jahren seines Bestehens hat das Unternehmen über 50 Berufsanfänger, hauptsächlich als Maler und Lackierer ausgebildet, wie der Seniorchef erzählt. Teilweise hatte der Handwerksbetrieb ein bis zwei Auszubildende in jedem Lehrjahr gleichzeitig.
Beschäftigung von Azubis aus dem Tiefstand
Zurzeit sieht es jedoch anders aus. Mit nur einem jungen Mann, der bereits im zweiten Lehrjahr ausgebildet wird, habe die Beschäftigung von Auszubildenden seinen traurigen Tiefststand erreicht, berichtet er. Damit ist der Zeiler Handwerksbetrieb nicht alleine, denn im ganzen Landkreis gebe es beispielsweise nur zwei Maler-Azubis im zweiten Ausbildungsjahr, informiert der Firmengründer. Gerne hätten die Berchtolds auch heuer eine Nachwuchskraft eingestellt, nur mangelte es an geeigneten Interessenten.
Dabei sieht es Paul Berchtold eher von der praktischen Seite: "Schulnoten sind nicht in erster Linie ausschlaggebend." Vielmehr kommt es nach seiner Meinung auf das handwerkliche Verständnis und Engagement an. Ein Bewerber hatte vor etlichen Jahren zum Beispiel Zeugnisnoten, mit denen er wohl nach Berchtolds Meinung bei keiner anderen Firma eine Chance gehabt hätte. Paul Berchtold stellte den Auszubildenden damals trotzdem ein und sein Vertrauen wurde nicht enttäuscht: "Er ist heute ein sehr guter Handwerker, der mit viel Power bei der Sache ist."