Einst bewarben sich Jugendliche um einen Ausbildungsplatz, heute umwerben Betriebe die Schulabgängerinnen und Schulabgänger. "Betriebe suchen über nahezu alle Branchen hinweg händeringend nach Auszubildenden", sagt Thomas Stelzer, Leiter der Agentur für Arbeit in Schweinfurt. Fast 1000 Lehrstellen sind aktuell unbesetzt. Ein Höchststand.
Niemals zuvor seien im Bereich der Arbeitsagentur, der neben Stadt und Landkreis Schweinfurt auch die Landkreise Haßberge, Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen umfasst, mehr Berufsausbildungsstellen gemeldet worden als im nun beendeten Berufsberatungsjahr 2022/2023. Insgesamt waren 4445 Ausbildungsstellen im Angebot. Das sind 336 mehr als im Vorjahr, ein Plus von 8,2 Prozent. Demgegenüber standen 2415 Bewerberinnen und Bewerber. Das ist nach dem Abwärtstrend in den Corona-Jahren ein Zuwachs von 4,9 Prozent.
Von einer Trendwende will Stelzer aber nicht sprechen: Der leichte Anstieg sei auf die Wiederholer aus dem Corona-Jahr 2021 zurückzuführen. "Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage geht weiter auseinander." Zugunsten der Jugendlichen. Aktuell kommen auf einen Bewerber oder eine Bewerberin etwa zwei Ausbildungsstellen. Im Jahr 2006 war das genau umgekehrt. Da mussten sich zwei Personen eine Lehrstelle teilen.
Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Lehrstelle ist folglich auf sehr niedrigem Niveau. "Wir bieten jedem Jugendlichen etwas an", sagt Thomas Schlereth, Teamleiter für den Bereich Berufsberatung. Lediglich acht Jugendliche, die sich bei der Arbeitsagentur gemeldet hatten, seien unversorgt geblieben.
Große Auswahl sorgt für Unsicherheit
Das große Angebot an Lehrstellen bietet den jungen Menschen eine große Auswahl, die aber auch für Unsicherheit sorgt. "Jugendliche fühlen sich häufig von den vielen Möglichkeiten überfordert", weiß Schlereth. Sie seien unsicher, welche berufliche Entscheidung sie treffen sollen. Mit der Konsequenz: Sie fangen erst spät an, sich zu bewerben. Betriebe, Behörden und Institutionen müssen deshalb ihre Bewerbungsfristen verlängern.
"Und es bleibt das Gefühl, dass sich viele nicht entscheiden wollen", so Schlereth. Im Vergleich zu den Corona-Jahren konnten zwar etwas mehr Jugendliche aus Mittel-, Real- und Wirtschaftsschulen für eine Ausbildung gewonnen werden. Der Trend, weiterführende Schulen zu besuchen, sei aber ungebrochen. Für etwa ein Drittel sei dies der Königsweg. Auch bei den Abiturientinnen und Abiturienten sei das Interesse an einer Ausbildung oder einem Dualen Studium leicht rückläufig.
Engmaschige Betreuung in den letzten zwei Schuljahren
An fehlenden Praktikumsmöglichkeiten liegt das nicht. Auch nicht an mangelnder Information. "Wir beraten, was wir können", sagt Schlereth. Ein Leuchtturmprojekt ist hier das von der Arbeitsagentur Schweinfurt ins Leben gerufene Berufsorientierungsnetzwerk (BON) an Mittelschulen, ein alternatives Praktikumsmodell mit einer kompakten Schnupperwoche zum Kennenlernen der betrieblichen Abläufe und einem Praxistag pro Woche über mehrere Monate hinweg im Rahmen des schulischen Unterrichts. Die Platzzahl wird jedes Jahr nach Bedarf erhoben. 2022 nutzten 825 Jugendliche das Angebot.
Zusätzlich gibt es die Berufseinstiegsbegleitung. Ein Angebot für Jugendliche, die intensivere Betreuung brauchen. 141 Plätze bot die Agentur für Arbeit verteilt auf nahezu alle Mittelschulen an. Wer trotzdem nicht weiß, was er nach der Schule machen soll, dem finanziert die Arbeitsagentur noch einmal ein Praktikum oder bietet als Übergangsmaßnahme eine Berufsvorbereitung an. Von den 76 Plätzen sind aktuell 60 besetzt. Manche starten auch ohne Ausbildung in die Erwerbstätigkeit. Der Anteil ist mit 3,3 Prozent aber gering.
Auch während der Ausbildung gibt es Hilfe im Rahmen von sozialer Begleitung oder Förderunterricht. Die 350 von der Arbeitsagentur zur Verfügung gestellten Plätze seien recht gut besetzt, sagt Stelzer, die Platzzahl sei seit mehreren Jahren konstant.
Die engmaschige Betreuung der Jugendlichen in den letzten zwei Schuljahren bis in die Ausbildung und bei Bedarf noch darüber hinaus lohnt sich: 64 Prozent der bei der Arbeitsagentur in Schweinfurt gemeldeten Absolventen befanden sich zum 30. September in einer ungeförderten Berufsausbildung. In Bayern liegt die Quote hier bei 57 Prozent, bundesweit sogar nur bei 50 Prozent. Das restliche Drittel geht entweder weiter zur Schule, arbeitet ohne Ausbildung, macht ein Soziales Jahr oder befindet sich in Fördermaßnahmen. "Keiner geht verloren, das ist unser Anspruch", sagt Stelzer.
Im Verkauf gibt es die meisten freien Ausbildungsstellen
Nicht nur das Angebot, auch die Berufswahlmöglichkeiten sind mit 350 Ausbildungsberufen groß. Bei den jungen Männern boomt nach wie vor der Kfz-Mechatroniker, gefolgt vom Industriemechaniker, Fachinformatiker und Elektroniker. Kaufmann und Verkäufer stehen auf der Top-Ten-Liste ganz hinten. Bei den jungen Frauen rangiert die Medizinische Fachangestellte unverändert auf Platz eins, gefolgt von Büro- und Industriekauffrau sowie Verkäuferin.
Während die Industrie ihre Stellen noch gut besetzen kann, sieht es im Verkauf schlechter aus. Hier gibt es im Arbeitsagenturbezirk Schweinfurt das größte Angebot an Ausbildungsstellen und gleichzeitig die höchste Zahl an unbesetzten Stellen.
Geflüchtete aus der Ukraine waren laut Stelzer noch keine nennenswerte Größe auf dem Ausbildungsmarkt. "Das ist zu früh", hier müsse man mindestens noch ein Schuljahr abwarten. "Da wird sicher Potenzial da sein."
Unterm Strich ziehen Stelzer und Schlereth ein positives Fazit: "Wir haben überall einen guten Ausbildungsmarkt." Die Jahresstatistik belegt das: Die Arbeitsagentur unterbreite im Rahmen der Berufsberatung 5627 Personen in 79 Schulen 56.852 Vermittlungsvorschläge. Dazu gab es 16 Berufswahlseminare, 52 Elternveranstaltungen und rund 900 Stunden Berufsorientierung in den Schulklassen vor Ort sowie Werbemaßnahmen auf Messen in der gesamten Region. "Wir sind überall vertreten, wo es wichtig ist."