Der Ärger ist ihm deutlich anzusehen. Rudi Russ, Landwirt aus Sand, "kämpft" bereits seit mehreren Jahren – doch bislang vergeblich. Sein "Gegner": Kanada-, Grau- und Nilgans. Die haben sich im Maintal breitgemacht, vermehren sich nach wie vor nahezu ungebremst, haben ihren Bestand in den letzten Jahren fast verdreifacht. Das Schlimme daran: Die Vögel stillen ihren Hunger an den Äckern zwischen den Sander Baggerseen und dem Main.
Die Population der Wildgänse von Theres bis Bamberg wird aktuell auf rund 2200 Tiere geschätzt. "Und fünf Gänse fressen so viel wie ein Schaf", verdeutlicht Russ den immensen Appetit der Vögel. Er und seine Kollegen aus Sand, Zeil und Zell wissen mittlerweile nicht mehr weiter. Denn der Plage Herr zu werden, ist alles andere als einfach. Die Tiere haben kaum natürliche Feinde, die Nistplätze auf den Inseln in den Baggerseen sind für Fuchs und Co. kaum zu erreichen, Schonzeit und Naturschutz tun ein Übriges, dass sich die Tiere ungestört vermehren und ernähren können. Sämtliche Äcker in unmittelbarer Nähe sind zum Teil halb leer gefressen. Erbsen, Soja, Zuckerrüben, die gefräßigen Gänse machen vor nichts halt.
Pilotprojekt hat kaum etwas gebracht
Ein Pilotprojekt, in dem sich Landwirte, Jäger, Naturschützer, Verwaltung und Politik zusammengeschlossen haben, um die Population zumindest einzudämmen, fruchtet dabei nur bedingt. Dieses Anfang 2014 gestartete Wildgans-Management besteht hauptsächlich aus der "Gelegebehandlung". Dabei sollen Fachleute die Nester auf- und die darin befindlichen Eier untersuchen. Wenn noch kein Küken erkennbar ist, werden die Eier angestochen und so der Nachwuchs verhindert. "Doch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein", klagt Russ. Die Nester sind zu gut versteckt, die Inseln dürfen zudem aus Naturschutzgründen nicht betreten werden, bleiben somit außen vor.
"Die bisherigen Maßnahmen haben kaum etwas gebracht", weiß auch Helmut Scharbert, dass eine wirklich effektive "Gelegebehandlung" auch nur mit erhöhtem Personalaufwand zu erreichen sei. Scharbert macht also das, was er tun kann: er gibt mehrmals pro Tag selbst eine menschliche Vogelscheuche. Doch kaum kehrt er seinen Feldern den Rücken, sind die Gänse schon wieder im Anmarsch und setzen ihre Mahlzeit fort. Eine Sisyphusarbeit.
Dabei fressen die Gänse bei weitem nicht alles, was die Äcker so hergeben. Sie picken sich gerne die "Filetstücke" heraus: Die Blätter der Zuckerrüben werden verschmäht, denn die sich gerade entwickelnden Rüben in der Erde sind durch den Zuckergehalt offensichtlich das schmackhaftere Futter. Und die werden kurzerhand per Schnabel ausgegraben und verspeist.
Gar von einem "Totalschaden" spricht Matthias Rippstein angesichts der Schäden, den die Gänse auf den Äckern anrichten. Dabei sind die Felder zwischen Baggersee und Main mit die besten, die es weit und breit gibt. "Doch nutzt das nichts, wenn die Pflanzen abgefressen werden", trauert der Sander der erheblich dezimierten Ernte nach. "Die guten Äcker, um die wir früher beneidet wurden, sind praktisch wertlos geworden. Die Gänse holen sich einfach alles."
Doch was tun? Ein Patentrezept haben auch die Landwirte nicht. Sie hoffen nun auf die Politik, die die Jagdsaison auf die Gänse früher eröffnen soll, um die starke Vermehrung der Tiere einzudämmen. Bisher dürfen Jäger vom 1. August bis 15. Januar auf Wildgänse anlegen. Die geplagten Landwirte wollen die Jagd ausdehnen, einen entsprechenden Antrag hat Rudi Russ schon im März bei der Unteren Naturschutzbehörde eingereicht, bislang aber noch keine Antwort erhalten. Seine Kollegen erhoffen sich indes finanzielle Unterstützung, fordern eine Entschädigung für die Ernteausfälle, "wie es im Landkreis Schweinfurt bereits beschlossen ist", verweist Daniel Diehm aus Zeil auf unbürokratische Hilfen im Nachbarlandkreis.
Bis 2018 lief ein entsprechendes Entschädigungs-Projekt der bayerischen Staatsregierung. Dadurch war es den Landwirten möglich, die Schäden bis zu drei Jahre mit einer Mindesthöhe von 2500 Euro an die Landwirtschaftsämter zu melden. Von dort wurden diese dann nur zu 50 Prozent ausgeglichen. Laut Russ beläuft sich der Schaden seit Beginn der Erfassung im Jahr 2010 für alle Landwirte in und um Sand auf über 130 000 Euro, eine Entschädigung ist aktuell nicht in Sicht.
Für ein wenig Abhilfe haben die Landwirte selbst gesorgt. Die Bereiche, in denen die Jungtiere an Land "klettern", um auf die anliegenden Äcker zu gelangen, haben sie abgezäunt, um den Tieren den Weg zu versperren. Diese Bereiche sind frei von Büschen und Bäumen und werden vom Gänsenachwuchs gerne genutzt. Die Angler, die an diesen Plätzen ebenso gerne ihre Ruten aufstellen, können die Zäune mit einem Handgriff entfernen. "Die wollen wir ja nicht verjagen", macht Russ klar.
Russ und seine Kollegen wollen allerdings nicht als Tierfeinde dastehen, gönnen den Gänsen sogar ihr Futter. "In dem Ausmaß können wir das aber nicht hinnehmen", weiß der Sander, dass sein Kampf gegen die Wildgänse wohl noch einige Zeit andauern wird.