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Hofheim
Rote Linien gegen braune Tendenzen: Wie ein besonderes Seminar in Hofheim stark gegen Rassismus macht
Ablenken, relativieren, Opfer zu Tätern machen – Rassisten nutzen typische Argumentationsmuster. Ein Seminar in Hofheim zeigte, dass Gegenrede sich oft lohnt.
Seminarleiterin Vera Affeln-Altert zeigte 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wie man auf Rassismus und rechte Parolen im Alltag wirkungsvoll reagieren kann. 
Foto: Natalia Mleczko | Seminarleiterin Vera Affeln-Altert zeigte 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wie man auf Rassismus und rechte Parolen im Alltag wirkungsvoll reagieren kann. 
Natalia Mleczko       -  Natalia Mleczko ist in Polen aufgewachsen und lebte dann in Rostock. Nach einer Ausbildung und diversen Jobs studiere sie auf dem Zweiten Bildungsweg Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen im Master an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seit 2022 arbeitete sie als freie Journalistin. Natalia Mleczko ist seit April 2024 Volontärin bei der Main-Post.
Natalia Mleczko
 |  aktualisiert: 12.09.2024 02:34 Uhr

Eine Geburtstagsfeier, fünf Familienmitglieder und ein angetrunkener Onkel, der einen rassistischen Spruch nach dem anderen heraushaut. Eine Szene, die so manch einen möglicherweise an das eigene Umfeld erinnert. Doch in diesem Fall sind die Familienmitglieder nicht echt, es sind Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer eines Anti-Rassismus-Seminars. Und auch der rassistische Onkel ist nur eine fiktive Figur, die nachgeahmt wird. Die Aufgabe der nachgestellten Familie ist es, dem Onkel Paroli zu bieten. Und das ist oft keine leichte.

Auch auf der Arbeit, beim Einkaufen oder im Bus, wenn rassistische Sprüche fallen, verschlägt es so manchem sprichwörtlich die Sprache. Von dieser Erfahrung berichteten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars gegen Rassismus, das an einem Samstag Ende August in "Maya's Unverpacktladen & Café" in Hofheim stattfindet. 24 Personen sind an diesem Tag zusammengekommen – sie wollen rassistische Sprüche in ihrem Alltag nicht länger hinnehmen. Am Ende des Seminars werden die Teilnehmerinnen und Teilenehmer gelernt haben, dass es keine Patentlösung gegen Rassismus gibt. Solidarität mit den Betroffenen lohne sich allerdings immer.

Die Initiative kam von der Café-Leiterin Tamara Walk, die von den journalistischen Enthüllungen der Remigrationspläne erschüttert gewesen war. Ende vergangenen Jahres trafen sich in einem Potsdamer Hotel unter anderem mehrere AfD-Politiker und Mitglieder der rechtsextremen Szene. Sie schmiedeten Pläne zur "Remigration", darüber, wie sie Millionen von Menschen aus Deutschland vertreiben können.

"Aufstehen gegen Rassismus" bestärkt Seminarteilnehmer bei rassistischen Sprüchen Kontra zu geben 

Walk wollte etwas gegen den Rechtsruck tun. Ihren Chef Christian Wittmann, den Inhaber des Unverpacktladens, musste sie nicht lange bitten. Organisatoren sind außerdem der Verein "Besser gemeinsam leben Haßberge" in Kooperation mit den "Omas gegen Rechts" und dem Freundeskreis Asyl. Das Seminar wird vom Bundesfamilienministerium im Rahmen des Programms "Demokratie Leben!" finanziert. Es ist vom Bündnis "Aufstehen gegen Rassismus" konzipiert worden. Organisationen, Verbände und Gewerkschaften haben das Bündnis 2016 ins Leben gerufen.  

Das Seminar findet in einem fensterlosen Nebenraum des Unverpacktladens statt. Ein Beamer flirrt ein Bild an die weiße Wand. Der Raum ist eng bestuhlt, die Veranstaltung gut besucht. Die Referentin Vera Affeln-Altert steht etwas abseits und führt durch das Seminar, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmer einiges abverlangt – und zwar sechs Stunden lang. Denn das Seminar ist nicht nur an Betroffene gerichtet, sondern auch an all jene, die Rassismus nicht tolerieren.

Schrecksekunden überwinden und selbstbewusst Position beziehen

Aus einer Mischung aus Theorie und Praxis vermittelte Affeln-Altert, dass Rassismus ein Herrschaftssystem sei. Es sei historisch entstanden. Christlicher Fundamentalismus, Rechtsradikalismus, (Neo-)Faschismus oder auch der Neoliberalismus der AfD – all diese Strömungen erzeugen Affeln-Altert zufolge Rassismus.

Das Seminar gegen Rassismus richtete sich an Betroffene und an die, die Rassismus nicht tolerieren wollen. 
Foto: Natalia Mleczko | Das Seminar gegen Rassismus richtete sich an Betroffene und an die, die Rassismus nicht tolerieren wollen. 

Das Bündnis will deshalb "rote Linien ziehen", so Affeln-Altert. Ziel ist es auch, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Schrecksekunden überwinden und selbstbewusst Position zu beziehen.

Und das ist Übungssache. Einer der Teilnehmer berichtet, dass er als Jugendlicher rassistisch beschimpft worden sei. Er sei handgreiflich geworden, weil er sich nicht anders zu helfen wusste. Dass das nicht die Lösung sein könne, das weiß er heute. Auch deshalb nimmt er am Seminar teil.

Die Gruppe stellt problematische Szenen aus dem echten Leben nach

Den ganzen Tag über schlüpfen Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer mal wieder in die Rolle des Rassisten, in die des Betroffenen und auch in die eines Zaungastes.

Die nächsten Szenen: Eine ältere Frau steht an der Supermarktkasse und beleidigt dunkelhäutige Kinder. Ein unangemessener Spruch an der Kinokasse. Immer wieder werden an diesem Tag Grenzen überschritten. Seminarleiterin Affeln-Altert geht nach jeder Szene auf das dargestellte Szenario ein.

Wie empfand der Betroffene die Situation? Warum hat man so gehandelt? Wie hätte man besser Widerrede geben können?  Die Szenen sind nicht einfach so an den Haaren herbeigezogen, sondern tatsächlich so vorgefallen, erzählt die studierte Pädagogin der aufmerksam lauschenden Seminargruppe. 

Auch eine Teilnehmerin spielt mit ihrer Gruppe nach, was ist schon passiert ist. Sie berichte von einem Vorfall, dass ihr mit ihrem neugeborenen Kind im Kinderwagen widerfuhr. Eine ältere, ihr fremde Frau habe in den Kinderwagen gespitzt und dabei ungefragt die Hautfarbe des Kindes kommentiert. Die Mutter und Teilnehmerin des Seminars sei zu diesem Zeitpunkt über den Rassismus der älteren Frau sprachlos gewesen.

Rassistinnen und Rassisten nutzen typische Argumentationsmuster

Auch dieses Erlebnis rollen die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer neu auf. Lösungsansätze gibt es viele. Der eine reagiert mit einem flotten Spruch, der andere belehrt die alte Dame. Affeln-Altert macht den Zuschauenden deutlich: so etwas wird "bewusst gesagt". Sie empfiehlt, wenn so ein Verhalten von Freunden oder Familie gezeigt wird, sollte man mit ihnen ruhig "Klartext" sprechen. Fremde würde man bereits oft mit einer Rückfrage in Erklärungsnot bringen.

Das Bündnis 'Aufstehen gegen Rassismus' will Interessierten Lösungsansätze zeigen, wie man gegen rassistische Sprüche Widerrede gibt. 
Foto: Natalia Mleczko | Das Bündnis "Aufstehen gegen Rassismus" will Interessierten Lösungsansätze zeigen, wie man gegen rassistische Sprüche Widerrede gibt. 

Die Pädagogin erklärt, Rassistinnen und Rassisten nutzen typische Argumentationsmuster, um ihren Rassismus zu rechtfertigen. Sie benutzen unter anderem Verallgemeinerungen, versuchen ihr Umfeld emotional einzunehmen. Sie lenken ab, sie relativieren. Opfer werden zu Tätern gemacht. Es gehe so weit, dass sie Gerüchte ungeprüft wiedergeben und Lügen verbreiten.

Dem zu widersprechen, das falle vielen nicht leicht. Eine einzelne richtige Antwort gebe es nicht. Wie reagiert werden kann, sei abhängig von der Situation. Und auch vom Charakter. 

Einer der Teilnehmer ist Jastin Wedemayer aus Knetzgau. "Es gibt Menschen, mit denen kann man reden, aber es gibt auch welche, mit den kann man nicht mehr reden. Das hat das Seminar mir noch mal verdeutlicht", resümiert er. Denn das ist auch eine Erkenntnis der Veranstaltung– nicht mit jedem lohne es sich, zu sprechen. 

Teilnehmer finden ihre Stimme gegen Rassismus

Kurz vor Ende des Seminars bildet Affeln-Altert mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwei Kreise: Einen Inneren, und einen Äußeren. 60 Sekunden lang reißen die Personen im inneren Kreis problematische Sprüche. Und 60 Sekunden lang müssen die Männer und Frauen im äußeren Kreis aus dem Stand heraus kontern. Sie müssen Widerrede geben, Vorgehensweisen identifizieren und Argumente entkräften.

Rassismus, Homophobie, Wissenschaftsfeindlichkeit, Klimaleugnung: Spätestens hier müssen selbst die Schüchternen in der Gruppe aus sich herauskommen und Gegenrede halten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben nochmal alles. Der Raum dröhnt. Dann, nach knapp sechs Stunden antirassistischen Inputs, findet so mancher seine selbstbewusste Stimme gegen Rassismus. 

 
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  • Erik Reitter
    Super Aktion. Es ist tatsächlich ein alltägliches Problem. Wie oft hab ich schon überlegt, sag ich was, sag ich nichts und wie sage ich es?
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  • Katrin Weber
    Sehr gut!!!
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