Die Nutzung der Sonnenenergie ist zum einen ein unverzichtbarer und wichtiger Bestandteil der Energiewende. Dem tritt jedoch zum anderen immer wieder der Einwand aus der Landwirtschaft entgegen, dass solche Anlagen Land kosten, sehr viel wertvolles Land. Eine Lösung dieses Zwiespalts könnte Agri-Photovoltaik sein, eine Technik, die Ackerbau und Erzeugung von Solarstrom gemeinsam auf einer Fläche ermöglichen soll. Ob Landwirtschaft und Solaranlagen zusammen funktionieren können, soll ein Pilotprojekt beweisen, das derzeit im Landkreis Haßberge angedacht wird.
Deutschland müsste deutlich mehr Solarstrom produzieren
Die Bundesregierung will bis 2030 rund 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern gewinnen. Wasser, Wind, Sonne und Biomasse sollen nach und nach Atomenergie, Kohle, Öl und Erdgas ersetzen, um den Strombedarf Deutschlands zu decken. Die Ampel-Koalition will deshalb allein zwei Prozent der Fläche der Bundesrepublik für Windanlagen ausweisen und auch die Erzeugung von Sonnenenergie benötigt immer größere Flächen.
Andererseits wird die Menge der in Deutschland benötigten elektrischen Energie nicht geringer, allein der Ausbau der Elektromobilität schlägt hier deutlich zu Buche. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE müsste in der Bundesrepublik das Sechs- bis Achtfache des bisher erzeugten Solarstroms produziert werden. Eine bedeutende Rolle dabei spielen die Flächen von Tagebauseen, Gebäudefassaden, Schienen und Straßen sowie Parkplätzen.
Energie und Lebensmittel: Schließt sich das aus?
Die größte Leistungsfähigkeit jedoch schreibt diese Studie der Landwirtschaft und ihren Flächen zu. Oft genug sträuben sich jedoch Landwirte, hochwertigen Ackerboden für den Aufbau von Photovoltaikanlagen zu "verschwenden" und sie damit der Erzeugung von Nahrungsmitteln zu entziehen. Wenn es jedoch möglich wäre, einerseits solche Flächen der Lebensmittelerzeugung zu erhalten und andererseits auf diesen Flächen dennoch Solarstrom zu gewinnen, könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Im Landkreis Haßberge gibt es Bestrebungen, mit einem Pilotprojekt die Machbarkeit einer solchen Doppelnutzung aufzuzeigen. Treibende Kraft hinter dem Projekt ist Oliver Kunkel vom Verein "Wir gestalten Heimat". Für ihn böte ein Agri-Solar-Pilotprojekt die Möglichkeit, zu zeigen, welche gewaltigen Synergieeffekte sich dadurch realisieren ließen. Seit drei Jahren verfolgt Kunkel schon dieses Vorhaben. In seinen Überlegungen hat das Projekt bereits Gestalt angenommen.
Genug Platz für Mähdrescher zwischen den Solarreihen
Gedacht ist an sogenannte bifaziale Solarmodule, die senkrecht aufgestellt werden wie ein Zaun. "In einer Höhe von etwa 1,20 Metern", so Kunkel im Gespräch mit dieser Redaktion. "Wir benötigen keine Mähdrescherhöhe." Das würde zu teuer. Allerdings die Abstände zwischen den "Zäunen" soll schon Mähdrescherbreite entsprechen. Denn zwischen den Solarreihen soll ja eine uneingeschränkte landwirtschaftliche Bewirtschaftung möglich sein.
Direkt unter den in 1,20 Metern Höhe angebrachten Solarmodulen kann Kunkel sich zum Beispiel Sträucher vorstellen. Zusätzlich zum Ertrag der Äcker und zum erzeugten Strom könnte dann noch Beerenobst geerntet werden. Zudem würde durch die "Solarzäune" und die dazugehörigen Sträucher die Bodenerosion reduziert werden. Außerdem werde sich eine solche Einrichtung positiv auf die Entwicklung von Insekten auswirken.
Eine Ackerfläche als "Staubsauger für CO2"
Und last but not least würden "die Ackerflächen vom bisherigen CO2- Emittenten damit zu einer Art Staubsauger für CO2", erläutert Kunkel. Die Böden würden fruchtbarer und resilienter gegen Klimafolgen und könnten zudem CO2 einlagern. Durch Gehölze auf den zehn bis 20 Prozent der Fläche eines Ackers, die für die PV-Anlage aufgewendet werden müssten, könnte die Fruchtbarkeit der verbliebenen 80 Prozent der Fläche gesteigert werden. "Wir wollen bei der Pilotanlage auch prüfen", so Kunkel, "wie man Bäume integrieren kann, ohne dass es zu Abschattungen kommt."
Apropos Pilotanlage – wenn die landwirtschaftliche Fläche schon auch elektrische Energie erzeugen soll, dann muss diese ja auch einen Abnehmer finden, sprich Einspeisemöglichkeiten haben. Hier kommt das Stadtwerk Haßfurt mit ins Boot. Geschäftsführer Norbert Zösch steht dem Projekt positiv gegenüber. Zusammen mit Oliver Kunkel sucht er derzeit eine geeignete Fläche, die alle gewünschten Kriterien erfüllt und zudem nicht zu weit entfernt von bestehenden Stromleitungen liegt. "Vorstellbar wäre eine Leistung von einem Megawatt", zeigt sich der Stadtwerkleiter zuversichtlich, dass das Pilotprojekt erfolgreich sein könnte.
Erste Gespräche mit Landwirten, die entsprechende Flächen bewirtschaften und bereit wären, an dem Experiment mitzuwirken, haben bereits stattgefunden. "Aber spruchreif ist noch nichts", sagt ein Landwirt der Redaktion, der sich zwar interessiert zeigt, aber namentlich nicht genannt werden möchte. Auch mit Herstellern von bifazialen Solarzellen hat Oliver Kunkel schon Kontakt aufgenommen. Aber bis es soweit ist, dass im Landkreis Haßberge gleichzeitig Landwirtschaft und Stromerzeugung parallel auf einer Fläche stattfinden können, müssen noch etliche Schritte aus dem Stadium der Planung hin zur Durchsetzung unternommen werden.
Bauernverband sieht das Projekt als "grundsätzlich richtigen Weg"
Der Kreisverband Haßberge des Bayerischen Bauernverbandes BBV sieht das Projekt als "grundsätzlich richtigen Weg", betont Klaus Merkel im Gespräch mit der Redaktion. Der Ehren-Kreisobmann aus Mariaburghausen, der von 2007 bis 2022 an der Spitze des Kreisverbandes stand, notiert allerdings auch hier den Ukraine-Krieg als bremsenden Faktor. Dadurch sei der Stahlpreis erheblich gestiegen, was die benötigten Aufbauten für die "Solarzäune" immens verteuere.
Zum einen sieht Merkel auch, dass mit reinen Freiflächen-PV-Anlagen ein höherer Gewinn zu erzielen sei. Aber "es gefällt uns natürlich nicht, dass dadurch immer mehr wertvolle Flächen für die Landwirtschaft völlig verloren gehen". Deshalb sei die Agri-Photovoltaik aus Sicht des BBV ein "guter Weg". Der Freistaat sei derzeit auch durchaus bereit, solche Projekte zu fördern, so Merkel, die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Schwarzenau suche sogar nach Landwirten, die sich an einem solchen Projekt aktiv beteiligen. Vielleicht wird man dabei ja im Landkreis Haßberge fündig.