Ganz Deutschland diskutiert im Winter 2022 über ein neues Einwanderungsgesetz. Dessen Ziel soll es sein, bürokratische Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland zu senken und so den massiven Mangel an qualifiziertem Personal in der Bundesrepublik zu beheben. Besonders betroffen ist das Gesundheitswesen, das in den vergangenen Jahren selbst zum Pflegefall geworden ist. Im Haßbergkreis versucht ein noch junges Unternehmen Abhilfe zu schaffen.
"Flegisto" aus Kirchlauter hat sich darauf spezialisiert, Pflegefachkräfte aus Drittstaaten zu rekrutieren. Also aus Ländern, die nicht Teil der Europäischen Union (EU) sind. Inzwischen aber hat sich das Problem auch auf andere Branchen ausgebreitet. In der Gastronomie, Industrie und IT steigt die Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeiterinnen und Arbeitern ebenso. Können Agenturen wie Flegisto dem etwas entgegensetzen? Und woher kommen die angeworbenen Fachkräfte überhaupt?
Erfahrung in Pflege und Integrationsarbeit
Ein Trio gründete Flegisto Ende 2019: Michael Weiß-Gehring, Sigrid Gehring und Monika Hoffmann. Alle drei hatten zuvor auf ihre Weise Erfahrungen mit den Themen Pflege und Integration gesammelt. Monika Hoffmann unter anderem als Sprachdozentin; Sigrid Gehring als langjährige Krankenschwester; Michael Weiß-Gehring als Pflegedienstleiter, eine Position, in der er auch Integrationsprojekte für internationale Mitarbeitende organisierte. Zwei Angestellte ergänzen das Team inzwischen. Und das soll schon bald weiter wachsen, denn die Aufgaben werden nicht weniger, ebenso wenig die Aufträge.
"Eines der größten Hemmnisse für Arbeitgeber, Fachkräfte aus Drittstaaten anzustellen, ist der bürokratische Aufwand", sagt Michael Weiß-Gehring. Flegisto führt Firmen durch den behördlichen Dschungel, der je nach Beruf besonders dicht ist. Für Unternehmen im Gesundheitswesen, so Gehring, sei er beinahe undurchdringlich. Dort sind die Hürden für Bewerberinnen und Bewerber aus Nicht-EU-Ländern extrem hoch. Flegisto nimmt auch diese Menschen an die Hand, stellt Kontakt her zu potentiellen Arbeitgebern, begleitet Bewerbungsprozesse, übernimmt Behördengänge, unterstützt bei der Anreise, beim Ankommen im fremden Land. Doch bis die Voraussetzungen erfüllt, die formalen Prozesse abgeschlossen sind, dauert es häufig.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, wie Sigrid Gehring erklärt, die als sogenannte Relocationmanagerin in Kontakt mit den zuständigen Behörden steht. "Aktuell gibt es im ZSEF einen Bearbeitungsstau – ein halbes Jahr tut sich bisweilen überhaupt nichts." Gemeint ist die "Zentrale Stelle für die Einwanderung von Fachkräften" in Bayern. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den damit verbundenen Fluchtbewegungen arbeitet auch die ZSEF an der Belastungsgrenze, mit Auswirkungen für alle Beteiligten. "Beginnt die Bearbeitung eines Antrags, sind die eingereichten Dokumente teils veraltet", so Gehring. Der Prozess startet mitunter von vorne. Die Arbeit von Flegisto, sie ist auch ein Geduldsspiel.
Versorgungssicherheit massiv gefährdet
Dabei müsste es schnell gehen. Oder zumindest schneller als derzeit. Zu diesem Schluss kam schon vor mehr als einem Jahr ein Monitoring im Auftrag der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB): Demnach war der Arbeitsmarkt in der Pflege bereits damals "leer gefegt". In einigen Bereichen Bayerns sei die "Versorgungssicherheit massiv gefährdet", prognostizierte der Verband. Auch die Region Main-Rhön sei betroffen, und mit ihr der Landkreis Haßberge. Mit der Pandemie dürfte sich die Lage seit der Präsentation des Berichts im Mai 2021 noch verschlechtert haben.
Ein Umstand, den eine Umfrage dieser Redaktion aus dem Oktober dieses Jahres weitgehend bestätigte. Damals hatte Anke Schäflein, Geschäftsführerin des Caritasverbandes für den Landkreis Haßberge, Alarm geschlagen: "Wir brauchen Hilfe", erklärte Schäflein sorgenvoll. Insbesondere für die Altenpflege suche sie schon seit mehreren Jahren nach qualifiziertem Personal – auch auf internationaler Ebene. Also dort, wo Flegisto aktiv ist.
Bislang rund 185 Klienten aus dem Ausland
"Unser Netzwerk haben wir vor allem durch Kooperationen mit Sprachschulen aufgebaut", erklärt Monika Hoffmann. Sie und Weiß-Gehring teilen sich die Geschäftsführung. Hoffmann ist zudem verantwortlich für die internationale Korrespondenz. Gestartet mit dem Netzwerk sei man 2019 im lateinamerikanischen Kolumbien und im nordafrikanischen Tunesien. Inzwischen zählen Länder wie Indien und Albanien dazu. Auch über die Gesundheitsbranche hinaus ist Flegisto aktiv.
185 Menschen, Flegisto nennt sie Klientinnen und Klienten, betreut das Unternehmen eigenen Angaben zufolge. Knapp 40 von ihnen befinden sich im Visaverfahren. Dabei werden nicht alle aktiv im Auftrag von deutschen Unternehmen gesucht. "Inzwischen melden sich auch viele Menschen aus diesen Ländern von sich aus bei uns", erklärt Monika Hoffmann, "wir vermitteln sie dann." Viel passiere heute über Mundpropaganda.
Angeworbene Menschen sind keine Ware
Flegisto schreibt sich auf die Fahne, neben der betrieblichen auch die soziale Integration nicht aus den Augen zur verlieren. "Wir alle kommen auch aus dem Ehrenamt", erklärt Sigrid Gehring. "Uns geht es auch um den Menschen, wir haben einen sozialen Auftrag." Die Dienstleistung sei für ausländische Fachpersonen kostenlos, die Firmen zahlen nach erfolgreicher Vermittlung.
Trotzdem ist der Personalnotstand in der Pflege für die Branche ein lukratives Geschäft – und das lockt mitunter auch dubiose Geschäftsleute. Sigrid Gehring erzählt von schlechten Erfahrungen, die Klientinnen und Klienten mit anderen Agenturen gemacht haben. Davon, dass Neuzugewanderte Arbeitskräfte teils viel Geld an Vermittler zahlen mussten, dass Originaldokumente als Druckmittel einbehalten wurden. "Manche haben sich gefühlt wie eine Ware."
Der von der Politik eingeschlagenen Weg, den Pflegenotstand durch Personal aus dem Ausland zu beheben, sorgt auch für Kritik. So betont etwa die Gewerkschaft Verdi, dass sich durch die Abwanderung von Fachkräften die Situation in den betroffenen Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten verschlechtere. Die Industriestaaten lösten ihre Probleme also einmal mehr auf Kosten der armen Länder, indem sie die Menschen vor Ort abwerben. Ein Argument, das Monika Hoffmann grundsätzlich versteht. Trotzdem betont sie: "Wir ziehen niemanden dort weg. Es ist der freie Wille der Menschen."
Mit einem neuen Einwanderungsgesetz möchte die Bundesregierung auch in Zukunft auf Zuwanderung von Arbeitskräften setzen. Ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild soll mehr berücksichtigen als nur die Ausbildung. Angst, dass Erleichterungen im Einwanderungsgesetz ihm das Geschäft kaputt machen könnte, hat Michael Weiß-Wehring nicht. Schon 2020 hatte es ein Novellierung gegeben, erzählt er lachend, "damals sind zwei neue Formulare mit neun Seiten hinzugekommen – es bleibt genug Arbeit".
Für Weiß- Gehring ist Zuwanderung nicht die eine Lösung aller Fachkräfteprobleme, aber dennoch ein sehr wichtiger Baustein. Doch auf lange Sicht müssen wohl vor allem die Berufe im Gesundheitswesen attraktiver werden.