
Wenn heute vor "Weimarer Verhältnissen" gewarnt wird, dann ist vor allem vom Niedergang der ersten deutschen Demokratie zwischen 1918 und 1933 die Rede. Ein Grund für den Aufstieg der Nationalsozialisten war damals auch die schwierige wirtschaftliche Situation. Inzwischen wird immer wieder von Parallelen zur damaligen Zeit gesprochen. Dass es diese – zumindest in Teilen – durchaus gibt, zeigt ein Fund vor einigen Tagen im Rathaus der Stadt Königsberg.
In einem der vielen Zimmer musste der alte Holzfußboden einem neuen weichen. Beim Herausreißen der Dielen kamen zwischen den Balken einige sehr unterschiedliche Papierschnipsel und Gutscheine zum Vorschein. Sie alle sind datiert auf das Jahr 1919, stammen also noch aus der Zeit vor der Eingliederung Königsbergs nach Bayern 1920.
Bei den Gutscheinen handelt es sich unter anderem um nicht übertragbare Wertmarken für "elf Doppelsemmeln zu je 75 Gramm", ausgestellt von "Vereinigte Coburgische Kommunalverbände Coburg". Auch Fleischmarken sind dabei. Sie zeigen, dass die Zeit kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 keine leichte Epoche war.
Energiekrise: Problem bei der Kohleversorgung Europas
Noch interessanter aber dürfte ein anderer Fund sein: ein zerknittertes Stück Zeitung, das damals vermutlich zum Ausstopfen eines Hohlraumes verwendet worden war. Auf dem Papier sind Überschriften wie "Das Problem der Kohlenversorgung Europas" zu lesen. In diesem Artikel vom 29. August 1919 heißt es unter anderem: "Wir gehen einer Weltkatastrophe entgegen, wenn es nicht gelingt, mit größter Beschleunigung eine, wenn auch nur halbwegs leidliche Kohlenversorgung Europas vor dem Eintritt des Winters herbeizuführen."

In einem weiteren, nur teilweise lesbaren Artikel mit der Überschrift "Vorschläge gegen die Kohlennot" wird von Empfehlungen für eine zwangsweise Begrenzung des Verbrauchs des fossilen Energieträgers und über Verkehrseinschränkungen der Eisenbahnen berichtet. Letztere liefen zu dieser Zeit noch unter Dampf, die Kessel mussten mit Kohle beheizt werden. Betriebe konnten aufgrund von Kohlemangel nur im beschränkten Umfang produzieren.
Kriegswucheramt sagt Preissteigerung den Kampf an
Interessant ist auch ein weiterer Artikel in der gleichen Ausgabe, er trägt die Überschrift "Verschärfter Kampf gegen den Lebensmittelwucher". In diesem Text, der auf den 30. August 2019 datiert ist, ist zu lesen: "Das Kriegswucheramt gibt bekannt, dass nach den Beobachtungen der letzten Zeit die Preise für Lebensmittel und alle anderen Gegenstände des täglichen Bedarfs von Tag zu Tag steigen und einer unerträglichen Höhe zustreben. Es kann nicht bezweifelt werden, dass Wucherer und Kettenhändler mehr als je am Werk sind. Infolgedessen drohe der wirtschaftliche Zusammenbruch immer näher zu kommen, weshalb das Kriegswucheramt beschlossen hat, den Kampf gegen Wucher und Kettenhandel zu verschärfen. Es wird vom ehrbaren Handel erwartet, dass er das Kriegswucheramt bei der verschärften Bekämpfung des Wuchers unterstützen werde."
Energiekrise und Inflation infolge des Ukraine-Kriegs
Das stand vor etwas mehr als einem Jahrhundert in einer Zeitung, von der nur ein Bruchteil einer Seite gefunden wurde. Die Entwicklungen, die in diesen wenigen Zeilen geschildert werden, scheinen einem zumindest in Teilen bekannt vorzukommen.
Zwar waren die Voraussetzungen, bedingt durch den seinerzeit kurz zuvor zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg, insgesamt deutlich schwieriger. Auch ein "Kriegswucheramt" gibt es heute nicht mehr. Doch gewisse Parallelen lassen sich bei einigen Entwicklungen in der heutigen Zeit erkennen. Etwa die Energiekrise aus dem Winter 2022/2023 in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine und die starke Inflation bei Lebensmitteln. Inzwischen sind diese Krisen weitgehend überwunden, anders als zu Zeiten der Weimarer Republik. Von Verhältnissen wie damals ist die Bundesrepublik also noch weit entfernt, das sagen auch Historiker. Die Warnungen davor aber bleiben.