Es brodelt in der Kultur- und Veranstaltungsbranche. Finanzielle Ausfälle und fehlende Perspektiven lassen immer mehr Künstler zu Hartz-IV-Empfängern werden. In der Branche, deren Bruttowertschöpfung in Deutschland im Jahr 2018 noch 100,5 Milliarden Euro betrug und die damit die chemische Industrie, die Energieversorger und die Finanzdienstleister übertraf, kämpfen viele seit der Corona-Pandemie ums Überleben. Einer, der, wie er selbst sagt, Glück hat, weil er auf mehreren beruflichen Standbeinen steht, ist Otmar Schmelzer. Kabarettist, Winzer und Straßenwärter bei der Autobahnmeisterei in Knetzgau (Lkr. Haßberge). Trotzdem kritisiert er die "stark humpelnde Verhältnismäßigkeit politischer Entscheidungen". Warum er sogar den "Todesstoß für die Kultur" befürchtet, erzählt der Oberschwappacher Kabarettist im Interview.
Otmar Schmelzer: Nein, ich ruhe in mir. Aber ich sag's mal so: Im Supermarkt steht einer neben dem anderen, in Gasthäusern ist es proppevoll, Flugzeuge werden mit Passagieren vollgeknallt und doch scheint im Theater die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus offenbar doppelt so groß zu sein. Anders kann ich mir das alles nicht mehr erklären. Auf meine Bühne in Oberschwappach dürfte ich jetzt statt 82 Leute nur 12,5 Zuschauer reinlassen. Ich überlege, ob ich den Pilotenschein mache, ein paar Flügel und eine Lüftung einbaue und die Bühne als Flugzeug deklariere. Diese Art der Politik zaubert mir ein großes Fragezeichen in mein harmoniebedürftiges Gemüt.
Schmelzer: Bitte nicht falsch verstehen. Das Virus kann man nicht wegleugnen. Würden bei uns so viele Menschen sterben wie im italienischen Bergamo, wäre das Geschrei natürlich groß. Die Maskenpflicht bereitet mir keine Probleme. Hier bin ich sogar Gewinner: Manche Gesichter will ich eh nicht sehen. Und Kinder suchen bei meinem Anblick auch nicht mehr kreischend das Weite. Aber dass andernorts mit oder ohne Maske Räume, Busse, Flugzeuge vollgepfropft werden, während die Kultur abgewürgt und vernichtet wird, übersteigt mein Verständnis!
Schmelzer: Ich möchte zurzeit mit keinem Politiker tauschen. Doch mir fehlt die Verhältnismäßigkeit. Auf der einen Seite gibt es die Hypochonder, auf der anderen die Leichtsinnigen. Zwischendrin scheinbar nichts mehr. Ich hatte letztes Jahr 70 Auftritte, heuer einen einzigen auf dem Weinfestplatz in Volkach, den mir die Komödie Fürth ermöglicht hat. Bei der Komödie sind viele der ehemals 90 Mitarbeiter weg. Sie kommen auch nicht mehr zurück, weil ihre Zukunft zu unsicher ist. Viele Kulturschaffende stehen vor dem Nichts.
Schmelzer: Die sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Viele Künstler haben ein eigenes Management, eigene Beschallungsfirmen, Ton- und Bühnentechniker. Viele Kosten laufen weiter, auch wenn die Künstler nicht auftreten. Dazu kommt die mentale Seite: Ein Künstler muss auf die Bühne. Sonst ergeht es ihm wie dem Fisch, der kein Wasser hat.
Schmelzer: Natürlich nicht. Aber das Virus wird uns noch lange begleiten. Wir müssen mit gesundem Menschenverstand einen Weg finden. Bühnen sollten sich mit Eigenverantwortung selbst aus dem Sumpf ziehen dürfen. Wir können nicht ewig warten. Ich bin überzeugt, dass das Publikum, das in die Oper oder ins Kabarett geht, viel disziplinierter ist als das Publikum bei einem Weinschoppen, bei dem die Menschen dicht an dicht stehen. Ins Theater kommen die Leute mit Maske, setzen sich und verhalten sich anständig. Es wird höchstens mal ein Glas Sekt getrunken. Eine Ansteckung halte ich dort für sehr unwahrscheinlich.
Schmelzer: Natürlich. Deshalb haben ja die meisten Veranstalter von sich aus heuer die Notbremse gezogen. Aber nochmal: Es gibt mir einerseits zu viel Leichtsinnige, andererseits zu viel Angstmache, auch seitens der Medien.
Schmelzer: Zurzeit vermisse ich oft die mediale und politische Mitte, die die Menschen auch mal beruhigt anstatt jeden Tag neues Öl ins Feuer zu gießen und bei jedem Corona-Ausbruch eine regelrechte Hexenjagd zu veranstalten. Viele Menschen sind mittlerweile verängstigt. Neue Veranstaltungen bekommt man trotz Hygienekonzept gar nicht mehr voll.
Schmelzer: Eigentlich will es keiner hören. Viele Menschen möchten einfach unterhalten und abgelenkt werden. Ich bin zuversichtlich: Es gibt auch in diesem Jahr noch andere Themen.
Es geht ja nicht nur um die Not des einzelnen, es geht auch um Kulturgüter, die möglicherweise für länger verloren gehen. Ob das so gewollt ist?
Die Künstler haben sich doch bislang nicht daran gestört, dass diese auch für einige Bürger Ungerechtigkeiten und Härten enthalten. Wenn sie nun selbst auf diese Sicherungssysteme angewiesen sein sollen, sind sie plötzlich nicht mehr gut genug und sie fordern für sich Sonderregelungen.
Künstler sollten nicht immer nur willfährige und hörige Hofnarren der Regierung sein, sondern Mißstände kritisieren auch wenn sie - noch nicht - von ihnen betroffen sind.
Wer immer nur brav das Lied der Mächtigen singt, ihnen in Publicity-Shows artig die Bälle zuwirft und nie aneckt, der darf auch nicht jammern, wenn er selbst einmal betroffen ist.
Es darf auf keinen Fall so weit kommen, dass Künstler mit Sonderhilfen und außergewöhnlichen Zuwendungen, die es für "Normalbürger" nicht gibt ruhiggestellt und auf Linie gehalten werden.
Wer aber weder gespart hat noch eine Versicherung (Stichwort "Künstlersozialkasse", "Arbeitslosenversicherung") abgeschlossen hat, der muß eben Hartz-IV beantragen nachdem er sein Vermögen bis auf die Schongrenzen verbraucht hat.
Wieso soll es für Künstler Sonderrechte und Extra-Würste geben? Die sind auch nichts anderes oder besseres als Normalbürger und es schadet vielleicht mal nicht, wenn die sehen, wie der Normalbürger zurechtkommen muß.
Gut, die Künstler singen dann vielleicht nicht mehr gar so enthusiastisch ein Loblied auf die Staatsregierung, aber das wäre verschmerzbar.